Gesellschaft | Flüchtlinge

Wenn hier kein Platz ist...

Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gibt es nicht genügend Unterbringungsplätze. Und die Kritik am Umgang mit diesen besonders Schutzbedürftigen reißt nicht ab.
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Foto: salto

Was macht ein junger afrikanischer Flüchtling im Weltall? Der 12-jährige Amadou ist der Protagonist der Kampagne “The Space Migrant”, die die Kinderschutzorganisation Save The Children vor einigen Wochen gestartet hat. In einem provokanten Video wird die Geschichte von Amadou, der von einem jungen Schauspieler gespielt wird, erzählt. Er musste aus Afrika fliehen, auf der Suche nach einem besseren Leben hat er sich auf den Weg gemacht – alleine. Amadou ist einer der rund 19.900 unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die – so die Schätzungen von Save the Children – in den ersten zehn Monaten des heurigen Jahres die italienischen Küsten erreicht haben. Doch die Hoffnung von Amadou erfüllt sich nicht, anstatt eines besseren Lebens erwarten ihn weitere Hindernisse, Mauern, Zäune, die ihn von der Weiterreise abhalten. Mithilfe von Save the Children bereitet sich Amadou nun auf die Ausreise ins All vor – “dem einzigen Ort, an dem junge Menschen wie Amadou ein besseres Leben finden könnten wenn sich die Politik der irdischen Länder in Bezug auf Flüchtlinge nicht umgehend ändert”, so die Botschaft des Videos.

Schicksale wie jenes von Amadou sind nicht nur Thema der #SpaceMigrant-Kampagne. Es war Anfang der Woche, da schlug Antonella Fava Alarm. “Wir haben keinen Platz mehr für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge”, sagt die Leiterin der Staatsanwaltschaft beim Jugendgericht in Bozen in der Montag-Ausgabe des Alto Adige. Es ist nicht das erste Mal, dass Fava auf die prekäre Situation hinweist, in der sich Flüchtlingskinder, die ohne Begleitung ins Land kommen, befinden. 2015 wurden 340 MiSNA – “minori stranieri non accompagnati”, wie der technische Begriff der italienischen Gesetzgebung für diese unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge lautet – in Südtirol registriert. Heuer waren es bislang 257. Doch so unvorhergesehen wie sie auftauchen, sind die jungen Flüchtlinge häufig auch wieder verschwunden. Die allermeisten von ihnen sind nur auf der Durchreise, auf dem Weg Richtung Norden, zu Verwandten oder Bekannten. Doch aufgrund der vermehrten Kontrollen an der Grenze zu Österreich stranden in letzter Zeit immer mehr unbegleitete Minderjährige in Südtirol, bestätigt Fava.

Theoretisch sind Minderjährige auf der Flucht, die ohne Begleitperson unterwegs sind, durch internationales und nationales Recht geschützt und haben unter anderem Anspruch auf Unterbringung. “Nach einer Meldung bei der Staatsanwaltschaft beim Jugendgericht müssten über die Sozialdienste eine Unterkunft bereit gestellt werden”, sagt ein Rechtsanwalt, der sich auskennt. Doch die Praxis sieht es oftmals ganz anders aus. So gibt es etwa in Bozen nur maximal 16 Plätze für unbegleitete Minderjährige. Und diese sind alle längst belegt, wie nicht nur Antonella Fava weiß.


Löchriges System

Am Mittwoch (12. Oktober) Abend berichtet der Trentiner Anwalt Nicola Canestrini auf seiner Facebook-Seite von einem Fall, der sich jüngst in Bozen zugetragen hat. Ende September werden im Bahnhofspark zwei minderjährige Somalier von den Polizeikräften kontrolliert und auf die Quästur gebracht. Die beiden 17-Jährigen sind allein unterwegs, daher fragt die Quästur um die Unterbringung in einer geeigneten Aufnahmestruktur an – senza avere risposte positive, wie im Protokoll vermerkt wird. Auch die Staatsanwaltschaft beim Jugendgericht wird verständigt und die beiden 17-Jährigen schließlich einem erst seit wenigen Monaten Volljährigen aus Gambia anvertraut. “Per motivi umanitari” – aus humanitären Gründen, so die Begründung der Quästur. “Was macht der gambische Staatsbürger, der wohl kaum mit den Somaliern verwandt sein dürfte, mit den Jungen?”, fragt sich Canestrini. Er kritisiert die Tatsache, dass Minderjährige “aufs Geratewohl in Obhut gegeben werden”. Mit seiner Kritik am Umgang mit minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen, die zu den besonders Schutzbedürftigen (“vulnerabili”) zählen, steht Canestrini nicht alleine.


Freiwilligkeit an der Grenze

“Wenn sie am Bahnhof ankommen, wird ihnen oft gesagt, dass sie auf die Straße müssen. Oder man rät ihnen, zurückzufahren”, berichtete Caroline von Hohenbühel vergangene Woche im salto.bz-Interview. Von Hohenbühel ist eine der Freiwilligen von Binario 1, die sich seit mittlerweile eineinhalb Jahren ehrenamtlich um Flüchtlinge kümmern, die sonst keinerlei Hilfe bekommen. Immer wieder begegnen sie Kindern und Jugendlichen, die alleine unterwegs sind und alleine gelassen werden. Nicht selten sind es die Freiwilligen der Zivilgesellschaft, die angesichts der fehlenden Unterbringungsplätze für unbegleitete Minderjährige, versuchen, zumindest einen Schlafplatz zu finden. Denn vielen geht es wie Caroline von Hohenbühel, die sagt: “Es ist absolut undenkbar, dass man diese Kinder schlechter behandelt wie jeden anderen.”

 

“Nicht unsere Absicht”

Vor exakt einem Jahr brachte Elena Artioli das Thema unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in den Landtag. In der aktuellen Fragestunde der Oktober-Sitzung wollte die Landtagsabgeordnete von Team Autonomie unter anderem wissen, wie die Landesregierung gedenkt, künftig mit diesen äußerst Schutzbedürftigen zu verfahren. “Wir haben nicht die Absicht, uns in der Aufnahme von unbegleiteten ausländischen Minderjährigen zu spezialisieren”, antwortete die zuständige Landesrätin Martha Stocker damals. Damit gibt sich Artioli auch ein Jahr später nicht zufrieden.

Nach dem Zwischenruf von Staatsanwältin Fava am Montag dieser Woche wiederholt Artioli ihre Forderung, mehr Unterbringsmöglichkeiten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge bereit zu stellen. Chi ha la sfortuna di sbarcare in Italia avendo perso i genitori, deve poter avere un futuro di integrazione, schreibt die Landtagsabgeordnete in einer Aussendung. Auch die Grüne Stadträtin Chiara Rabini fordert “eine ausreichende Anzahl an Plätzen für die Aufnahme von Minderjährigen, die alleine sind”. Bleibt noch der Appell, den Antonella Fava vor über einem Jahr lanciert hat. “Ich erwarte mir, dass diese Menschen nicht auf der Straße gelassen werden, und das sage ich in erster Linie als Bürgerin und nicht als Staatsanwältin”, sagte Fava im März 2015. Ihre Worte dürften angesichts der derzeitigen Situation wohl aktueller denn je sein.