„Eine Gefahr für Leib und Leben“
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SALTO: Herr Jungblut, wie unterscheidet sich Kriegsberichterstattung von den anderen Formen der Nachrichtenberichterstattung?
Marc Jungblut: Primär fällt auf, dass auf Kriege viele Eigenschaften zutreffen, die man klassisch als Nachrichtenfaktoren bezeichnet. Also viele Eigenschaften, die einem Gegenstand einen hohen Nachrichtenwert geben. Kriege sind sehr negativ, sie lassen sich sehr gut personalisieren, sprich anhand von persönlichen Geschichten erzählen, und haben eine hohe visuelle sowie dramaturgische Qualität. Deswegen sind Kriege oder Konflikte sehr stark in den Medien vertreten. Gleichzeitig zeigt die Forschung, dass die Eigenschaften, die berichtenswert sind, dann nochmal zusätzlich betont werden. Innerhalb der Kriegsberichterstattung wird auch diese dramatische Qualität, dieser Konfliktcharakter nochmal herausgestellt, nochmal zusätzlich betont, was sicherlich ein Merkmal der Kriegsberichterstattung ist. Auf der Ebene der Wirkung kann man natürlich sagen, dass Kriege Ereignisse sind, die sehr starke Konsequenzen mit sich ziehen. Es geht wortwörtlich um Leben und Tod und deswegen ist die ethisch-normative Herausforderung bei der Kriegsberichterstattung eine ganz besondere für Journalisten, weil man zumindest denken müsste, dass die Wirkung der Berichterstattung vielleicht sehr folgenreich sein könnte.
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Zur Person
Marc Jungblut ist akademischer Rat am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er forscht zur Rolle von Medien in Kriegen, Krisen und Terrorismus sowie zu den Eigenschaften und Wirkungen strategischer Kommunikation in sich wandelnden Organisationsumwelten. Derzeit ist er Principal Investigator des DFG-geförderten Projekts „Responsible Terrorism Coverage“.
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Welche Verantwortung hat Kriegsjournalismus?
Die erste Verantwortung ist meiner Meinung nach, dass Journalisten bei den Qualitätskriterien bleiben sollten, die sie als gute Journalisten gelernt haben. Also immer zwei Quellen heranzuziehen, nicht alles zu glauben, was man online liest, kritisch zu sein, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen sowie nicht übertrieben zu emotionalisieren und dramatisieren. Mein Rat an Journalisten wäre, qualitativen Journalismus zu machen. All das, was man unter Qualität im Journalismus versteht, lässt sich auch auf die Konfliktberichterstattung übertragen.
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Wie sehr beeinflusst die Kriegsberichterstattung die öffentliche Meinung über einen Konflikt?
Wichtig zu betonen ist, dass alle Medieneffekte, die man findet, auch auf die Konfliktberichterstattung bezogen, keine absoluten, sondern nur bedingte Effekte sind. Sprich, der Einfluss hängt ganz stark von der Voreinstellung und der politischen Meinung des Lesers, des Hörers, des Publikums ab. Auch davon, wie aufmerksam Medieninhalte konsumiert werden und wie involviert die Konsumenten beim Thema Konflikt oder Krieg sind. Es ist wichtig, das zu beachten und nicht zu glauben, dass Medien manipulieren, wie wir denken. Das ist nämlich nicht der Fall. Trotzdem kann man sagen, dass Medien sehr wohl beeinflussen, was wir über Konflikte wissen. Zudem beeinflussen sie, welche Konflikte wir für dringlich und relevant halten. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Wenn man unsere Medienagenda betrachtet, sieht man hauptsächlich den Nahostkonflikt und den Ukraine-Krieg. Andere Konflikte, wie zum Beispiel in Afrika, sind kaum zu sehen, was nicht bedeutet, dass diese nicht existieren oder weniger dramatisch sind. Das wäre so ein ganz klassischer Effekt, den man in der Forschung unter Agenda-Setting beschreiben kann. Und dann hat Konfliktberichterstattung natürlich auch Einfluss darauf, wen wir als den Guten und den Bösen ansehen, welche Zukunftsszenarien oder Lösungsszenarien für Konflikte wir für möglich und wünschenswert empfinden und wie wir überhaupt den Grund, die Ursache eines Konfliktes interpretieren.
„Konfliktparteien versuchen, den Diskurs zu prägen und ihre Sicht als die dominante darzustellen.“
Wie stellen Journalisten vor Ort sicher, dass ihre Berichte wahrheitsgemäß sind, gerade, auch wenn Informationen von den Konfliktparteien stark manipuliert werden können?
Das ist natürlich eine riesige Herausforderung. Konfliktjournalismus entsteht in einem sehr schwierigen Umfeld. Es handelt sich um eine Form des Journalismus, der verhältnismäßig sehr teuer ist, aufgrund der Kosten für zum Beispiel schusssichere Westen oder Versicherungen. Gleichzeitig schrumpft das Korrespondentennetz, ebenso wie das verfügbare Budget für Medienhäuser, obwohl viel mehr Arbeit geleistet werden muss. Journalisten müssen eine Vielzahl an digitalen Informationen und Falschinformationen auswerten, auf ihre Authentizität prüfen und verifizieren. Im selben Zug steigt auch der Aktualitätsdruck, das heißt, man muss eigentlich alles nicht bis zur Tagesschau oder bis zu den Nachrichten um 20 Uhr fertig haben, sondern möglichst vorgestern schon. Diese Herausforderungen machen es natürlich unfassbar schwierig, für Journalisten adäquat zu berichten. Es gibt einige Hilfsbrücken, die man sich baut, wie zum Beispiel lokale Kontakte und das fehlende Korrespondentennetz aufzufüllen. Gute Kontakte sind aber natürlich keine Garantie. Gleichzeitig versuchen die Konfliktparteien, den Diskurs zu prägen und ihre Sicht als die dominante darzustellen. Aktuell haben wir sehr häufig sogenannte asymmetrische Konflikte. Das sind Konflikte zwischen einer stärkeren und einer schwächeren Partei, wo vor allem die Schwächere auf Hilfe von außen, von der internationalen Staatengemeinschaft angewiesen ist. Was können Journalisten also tun? Man sieht das wunderbar bei der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland. Auf deren Seiten gibt es immer einen Vermerk, dass Konfliktparteien keine verlässlichen Quellen sind. Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man diese Information auch an die Zuschauer, an die Leser, an die Hörer weitergibt und gleichzeitig versucht, immer zwei Quellen für eine Aussage zu finden oder eben Seite und Gegenseite gegenüberzustellen. Klar ist aber auch, dass es Fakten gibt, die Wirklichkeit sind. Es wäre sicherlich ethisch fragwürdig, wenn man die Konfliktsicht der Ukraine eins zu eins mit jener Russlands als zwei Wahrheiten gegenüberstellt.
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Sehen Sie langfristige Folgen der Berichterstattung über Kriege für die Gesellschaft?
Eine ganz spannende Erkenntnis ist die sogenannte Compassion Fatigue. Wenn über längere Zeit von Kriegen und ihren Folgen berichtet wird, stumpft man langsam ab. Wir merken, dass uns die Berichte aus Syrien vielleicht nicht mehr so treffen wie vor zehn Jahren. Auch die Berichte aus der Ukraine, die jetzt kommen, packen uns nicht mehr so sehr und erfüllen uns nicht mehr so sehr mit Angst.
Welche Schwierigkeiten kommen auf einen Journalisten in Kriegskorrespondenz zu?
Zum einen, die Kombination aus Zeitdruck, Ressourcenknappheit und Informationsflut. Andererseits kann man über viele Konflikte hinweg beobachten, dass Kriegsjournalisten immer häufiger auch gezielt zum Opfer von Angriffen werden. Also dass gezielt gegen Kriegsjournalisten vorgegangen wird, um mögliche Wahrheiten, mögliche Fakten, die man nicht gerne verbreitet sehen will, leichter zu verhindern. Sprich eine reale Gefahr für Leib und Leben.
„Je mehr es Berichte über zivile Opfer in Gaza gibt, desto mehr ändert sich der Fokus in der Berichterstattung.“
Welche Rolle spielt die Berichterstattung bei den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten?
Ich glaube, beim Ukraine-Konflikt geht es vor allem aus der Perspektive der Medienwirkung viel darum, wie sehr die Menschen bereit sind, wirtschaftliche Einbußen in Kauf zu nehmen, um die Freiheit und Sicherheit Europas zu gewährleisten. Der Nahostkonflikt hingegen ist ein sehr kompliziertes Beispiel, weil wir dort eine starke Entwicklung beobachten von einer Berichterstattung, die direkt nach dem 7. Oktober sehr verurteilend gegenüber der Hamas und pro-israelisch war und die im Zeitverlauf, so langsam ihre Position ändert. Je mehr es Berichte über zivile Opfer in Gaza gibt, desto mehr ändert sich der Fokus in der Berichterstattung.
Während des…
Während des Jugoslawienkrieges bin ich einmal im damals serbisch besetzten Teil Kroatiens (ganz hinten in Slawonien) festgenommen worden, weil ich mich aus purer journalistischer Neugier in das verbotene Kriegsgebiet ganz nahe an die Front begeben habe. Die Miliz, die mich festgenommen hat, wollte mich eigentlich gleich erschießen, aber ein Offizier der regulären serbischen Armee forderte mich für ein Verhör an. Da er in München mit einem Schulkameraden von mir studiert hatte und mit ihm oft zum Törggelen nach Südtirol gekommen war, wo wir uns möglicherweise bereits einmal begegnet waren, freundeten wir uns bald an und ich konnte nach einiger Zeit (er musste den Schein wahren) unbeschadet heimfahren. So ist das im Krieg: Zufälle entscheiden über Leben und Tod.
"... nicht zu glauben, dass…
"... nicht zu glauben, dass Medien manipulieren, wie wir denken. Das ist nämlich nicht der Fall." ... ???
Ja in welcher Welt lebt denn dieser Herr?? Unglaublich so eine Aussage. Dieser Satz disqualifiziert den ganzen Artikel.
Wir leben in einer Zeit wo Manipulation und Zensur in den Medien ganz massiv und bewusst getätigt wird. Richtig freie und objektive Berichterstattung ist leider nur mehr von einer Handvoll unabhängiger Journalisten zu erwarten. Sobald ein Journalist in einem Angestelltenverhältnis mit einem öffentlichen oder privaten Medienunternehmen steht, muss er sich an die Richtlinien dieses halten. Ansonsten ist er schneller arbeitslos als er denken kann. Das heißt, er kann nicht berichten was er weiß, wenn seine Recherchen nicht der vorgegebenen Linie seines Mediums entsprechen. Dazu kommt noch, dass sich die Arbeit eines Journalisten häufig nicht mehr am Geschehen abwickelt, sondern vor dem Bildschirm. Da werden dann die "Informationen" einfach von der Plattform irgendeines großen multinationalen Unternehmen angeklickt und abgeschrieben. Wenn man bedenkt, dass 80% der weltweiten Information in den Händen von 6 Großkonzernen ist, 5 davon sind in den USA, eines in Australien, dann sagt das schon alles.
Auch was die Kriegsberichterstattung anbelangt, muss man bedenken, dass ein Journalist nicht einfach in ein Kriegsgebiet und an die Front reisen kann. Zuerst muss er die Akkreditierung des Landes haben, in das er gehen möchte. Die dortigen Behörden schauen ganz genau, wer der Journalist ist, für wen er arbeitet und was er in der Vergangenheit geschrieben hat. Das ist dann schon der erste Riegel für eine freie Berichterstattung, denn das heißt, dass vom Journalisten Loyalität dem Land gegenüber erwartet wird, dessen Akkreditierung möchte.
Sollte es an die Front gehen, dann ist dies nur in Zusammenarbeit mit den Militärs möglich. Diese kontrollieren alles, was der Journalist seinem Medium berichten möchte, und wie er es berichtet. Das sind die Bedingungen. Im Englischen gibt es dafür den Ausdruck "embedded", also das genaue Gegenteil von freiem Journalismus.
Und dann behaupten, es gäbe keine Manipulation in den Medien, ist geradezu grotesk.