Kultur | Salto Weekend

Blue I love you

Der Chor "Choriosum" sorgt immer wieder für Aufsehen. Letztens etwa mit einer Meldung über einen Song, der es in einen angesagten US-Spielfilm geschafft hat. Wie bitte?
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Foto: Choriosum

salto.bz: Mit den Schlagworten Brad Pitt und Netflix hat es der Chor Choriosium in der vergangenen Woche in beinahe jedes lokale Medium geschafft. Dabei liegt die eigentliche und durchaus erzählenswerte Entstehungsgeschichte einige Jahre zurück. Warum seid ihr als Chor erst jetzt an die Öffentlichkeit?

Hannes Knollseisen: Das stimmt und lässt sich so erklären. Wir bekamen bereits im November 2018 die Anfrage der Produktionsfirma des Films The Last Black Man in San Francisco zu dem gewünschten Lied Blue, welches sie auf Youtube entdeckt hatten. Der Film wurde beim Sundance Film Festival 2019 vorgestellt und lief im Sommer 2019 in den US-Kinos. Bis dahin durften wir ohnehin nichts sagen und keine Infos weiterleiten. Nachdem der Film hier in Europa aber nie in die Kinos kam und wir den Film auch nie zu Gesicht bekamen, dachten wir uns, dann brauchen wir darüber auch nicht groß reden, da den Film ohnehin niemand sehen kann. Ein Chorkollege hat dann aber vor kurzem entdeckt, dass der Film seit 22. Dezember 2022 auf Netflix zu sehen ist. Das war dann für uns der Aufhänger und wir sagten, das müssen wir nun kommunizieren und gingen an die Öffentlichkeit.
 

Nach der dritten Email haben wir dann eingesehen, dass es sich tatsächlich um eine seriöse Anfrage handelte. 


Sie haben sich den Film schon angesehen?

Ja. Es ist schon ein sehr spezieller Film, da die Filmemacher sehr besondere Stilmittel verwenden – beispielsweise werden mit Musik, vor allem in Szenen wo eigentlich nicht viel passiert, starke Emotionen erzeugt. The Last Black Man in San Francisco ist ein melancholischer Film, bei dem es um Gentrifizierung geht. Letzten Endes geht es um das Gefühl, dass jeder kennt, wenn er nach vielen Jahren an seinen Herkunftsort zurückkehrt, und das Gefühl hat, dass der Ort nicht mehr der ist, wie er ihn in Erinnerung hatte. Es geht um Entwurzelung.

Wie wurde der von Choriosum interpretierte Song "Blue" in den Film eingebaut?

Der Song ist in mehreren Szenen zu hören. In einer Lastwagenszene sind wir als Chor am deutlichsten zu hören. 
 

Filmausschnitt aus "The Last Black Man in San Francisco" / Quelle Choriosum


Der Song von Joni Mitchell stammt aus dem Jahr 1971 und die Sängerin blickt wehmütig auf die Hippie-Ära zurück. Warum für den Film nicht der Originaltrack, sondern unsere Version gewählt wurde, wissen wir nicht wirklich. Da kann man nur Vermutungen anstellen.

Wie ist der Kontakt entstanden? Aus der Gerüchteküche ist zu vernehmen, Choriosum hätte die Anfrage lange nicht beantwortet?

Das stimmt. Die Produktionsfirma musste uns mehrmals anschreiben. Wir glaubten nämlich zunächst, da will sich jemand einen Scherz mit uns erlauben und uns hereinlegen. Nach der dritten Email haben wir dann eingesehen, dass es sich tatsächlich um eine seriöse Anfrage handelte. 
 

Die Erarbeitung war echt schwierig, aber das Lied hatte etwas Besonderes und je mehr wir mit diesem Lied arbeiteten, desto mehr steigerte sich die Freude.


Wer hatte überhaupt die Idee gehabt, diesen Song einzustudieren? 

Das ist wohl auf meinem Mist gewachsen. Wir hatten 2014 eine Konzertreihe zu den vier Elementen mit dem Titel Die Fantastischen Vier. Ich fand diesen Song sehr passend, auch wenn die Adaption eigentlich für einen Jazz-Chor geschrieben wurde, für zehn Stimmen! Ein Chor singt normalerweise vierstimmig – Sopran, Alt, Tenor, Bass. Dementsprechend verzogen die Chormitglieder ihre Gesichter, als ich ihnen diese komplexe Partitur vorlegte. Die Erarbeitung war echt schwierig, aber das Lied hatte etwas Besonderes und je mehr wir mit diesem Lied arbeiteten, desto mehr steigerte sich die Freude. Wir haben damals sehr viel Arbeit nur für dieses Lied investiert.

Wird der Song ein Comeback auf der Bühne erleben? 

Kann gut sein. Wir haben „Blue“ bereits 2016 erneut für eine CD-Aufnahme gesungen. Das war am Ende auch unser das Glück, da die Filmemacher von The Last Black Man in San Francisco nach unserem OK nachfragten, ob wir eine bessere Version, als jene bei Youtube hätten. Ich konnte ihnen dann die Masterdateien der CD-Einspielung schicken. 
 

Track of Horns: Beim Festival Transart (2015) überraschte die bekannte norwegische Künstlerin Tori Wrånes die Besucher*innen auf ihrer Fahrt mit dem Sessellift am Vigljoch – gemeinsam mit Alphörnern und Sängerinnen und Sängern des Südtiroler Chores Choriosum / Quelle: Transart

 

Wie sieht es nach diesen Erfahrungen mit denkbaren Spielfilmambitionen bei Choriosum aus? Beim Projekt mit der bekannten norwegischen Künstlerin Tori Wrånes für das zeitgenössische Kulturfestival Transart (2015), war Choriosum auch schauspielerisch aktiv. Könnte das nächste Projekt eine Zusammenführung von Gesang und Schauspielerei für ein Spielfilmprojekt sein?

Auf keinen Fall. Aber unsere Ambitionen sind schon immer weiter gesteckt, als das reine gesangliche Darstellen von Musik. Wir bauen bei unseren Konzerten auch immer wieder gerne kleine Choreografien ein, Sketche und Moderationen. Zudem achten wir darauf, wie wir uns auf der Bühne präsentieren und uns verwandeln. Es macht uns einfach Spaß, neben einer soliden musikalischen Darstellung – die muss auf jeden Fall passen –, dem Publikum auch darüber hinaus etwas zu bieten. In dieser Hinsicht sind wir sehr offen und dringen dadurch in andere künstlerische Welten ein oder suchen nach neuen Verbindungen.

Also reicht die Schauspielerei und der Gesang…

Genau. Wichtig ist uns, dass das Publikum am Ende eines Konzertabends einen tollen Abend hatte.