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Radetzkymarsch

Die Vereinigten Bühnen Bozen wagen sich an Joseph Roths Jahrhundertroman „Radetzkymarsch”. Ein Unterfangen, das nur allzu leicht wie sein Protagonist enden kann.
Radetzkymarsch
Foto: Vereinigte Bühnen Bozen

Es tönen die Pauken und es tönen die Tschinellen, es spielt die Blaskapelle vor dem Haus des Bezirkshauptmanns. Franz von Trotta ist der Sohn des ehrwürdigen Helden von Solferino, der dem Kaiser einst das Leben rettete. Ja so erzählt man es sich. Ob die Legende wirklich wahr ist? Und jener Franz von Trotta ist nicht bloß ein Sohn, sondern besitzt selbst einen. Der hört auf den Namen Carl Joseph und ist ein hoffnungsloser Fall. Joseph Roths „Radetzkymarsch” erzählt seine Geschichte. Wie er auf Wunsch seines strengen Vaters Soldat wird, als Erbe eines Geschlechts, das längst zu Ruhm gekommen ist, wie er inmitten der k.u.k. Monarchie, jenem unsäglichen Geflecht aus Macht und Erhabenheit, durch das Leben stolpert, und das wahrhaftig, wie er zwischen Pflicht und Ehrbarkeit strauchelt, von den Frauen aufgefangen und fallen gelassen wird, aus den unterschiedlichsten Gründen nämlich, wie er trinkt und trinkt und trinkt und im Alkohol Trost findet, wie er sich gegen das Korsett des Militärdienstes sträubt und dessen lasterhaften Zügen verfällt. Im dortigen Spielkasino verliert er, und diese Niederlage steht stellvertretend für sein Leben. Von Anfang an, und so erlebt es der Zuschauer auch in dieser Dramatisierung, ist Carl Joseph von Trotta ein armer Bursche. Seine ihm so wichtige Freiheit, das Geld, die Freunde, ja gar das von Hassliebe geprägte Verhältnis zu seinem Vater verliert er. Und noch eine Sache doch darauf soll nicht eingegangen werden, nicht in einer Besprechung dieses Stücks, wenngleich sich die Vereinigten Bühnen Bozen nicht zu schade sind, in ihrem Programmheft davon zu erzählen und somit zu verraten, was nicht gewusst werden sollte. Vorausgesetzt, man kennt Joseph Roths großen Roman noch nicht. Die Jugend dürfte das kaum, wird er doch seit geraumer Zeit nicht mehr in den Klassenzimmern besprochen. Dem würdig wäre er auf jeden Fall. Denn einerseits zeichnet Roth ein präzises und deshalb so mitreißendes Bild einer Familie, die trotz ihres auf der Vergangenheit aufbauenden Ruhms mehr und mehr in den Abgrund stürzt, andererseits bedient sich Roth einer Sprache, die einzigartig ist. Die Komplexität des Romans hüllt der Schriftsteller in ein verwobenes Netz poetischer Sätze. Es ist ein sehr bildstarker Text. Also wie geschaffen für die Bühne?

Nun, das darf diskutiert werden. Einen Roman wie „Radetzkymarsch” für das Theater zu adaptieren, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Dramatisierung der Vereinigten Bühnen Bozen basiert auf der Fassung des Niederländers Koen Tachelet und wurde ins Deutsche übersetzt. Es ist also keine rein indivuelle Fassung, was schade ist, da jeder neue Versuch, den „Radetzkymarsch” zu dramatisieren, neue Blickwinkel schafft. Stellenweise wurden jedoch Originalzitate aus dem Roman übernommen. Das Stück verhält sich in der Inszenierung von Regisseur Rudolf Frey wie ein Gedankenstrom. Szenen fließen ineinander über und Figuren treten dementsprechend auf und ab, Sätze werden eingeworfen und unterbrochen, dabei jedoch die Charaktere mit großer Sorgfalt behandelt. Obwohl mehrere Darsteller, und auf die soll gleich eingangen werden, unterschiedliche Figuren spielen, herrscht nie ein Zweifel darüber, welch gescheiterte Existenz da gerade durch die vorkriegszeitlichen Unruhen stolpert. Nur anfangs sind alle eins, da dürfen die Zuschauer nämlich selbst auf der Bühne stehen und im Rahmen eines Prologs mittendrin statt nur dabei sein. In wechselnden Rollen sprechen die Darsteller über Carl Joseph und dessen Vorgeschichte, dabei wiederholt sich das Spiel immer wieder, bis es schließlich wirklich losgeht. Knappe drei Stunden nimmt sich Rudolf Frey Zeit, um die Geschichte vor dem Publikum auszubreiten. Dabei kommt keine Langeweile auf, was vor allem daran liegt, dass das Ensemble überzeugen kann. Angeführt von Dominik Raneburger als Carl Joseph, der verwirrt und verletzlich und merklich verloren mit sich und seinem Schicksal strauchelnd die Identifikationsfigur für das Publikum mimt. Zu ihm gesellt sich Lukas Lobis als sein Vater der Bezirkshauptmann. In all der Strenge, die er seinem Sohn entgegenbringt, schafft es Lobis dennoch, eine Figur zu zeigen, die verstanden und respektiert werden kann. Peter Schorn, Alexander Ebeert, Roman Blumenschein, Fabian Schiffkorn und Hannes Perkmann sind in Mehrfachrollen zu sehen und wechseln wie angesprochen fließend zwischen ihnen. Als einzige Frau mit Sprechanteil schlüpft Elke Hartmann in die Rolle von gleich drei Frauen, denen Carl Joseph in seinem Leben begegnet und die ihn, so viel sei verraten, einiges über die Liebe lehren. Die Entscheidung, die Rolle der Frauen auf eine Schauspielerin zu reduzieren, wäre vermutlich im Sinne von Joseph Roth. Denn obwohl sich die drei Figuren charakterlich unterscheiden, kommt ihnen allen drei dieselbe, funktionale Rolle zu. Sie sind Lustobjekte, reizen und erfüllen die Begierde des jungen (und einfältigen) Carl Joseph. Nur bei den Männern gibt es wirklich Vielfalt. Es ist bezeichnend, dass die Besetzung sich dieser historischen Nachlässigkeit beugt und damit unterstützt.

Abgesehen davon weiß die Inszenierung durch nette Einfälle zu unterhalten. Neben dem minimalistischen Bühnenbild von Vincent Mesnaritsch, das im Laufe des Stücks mehrere Wandlungen durchläuft, bereichern die drei Tänzerinnen Sabrina Fraternali, Anastasia Kostner und Sarah Merler das Geschehen. Mal als revolutionäre Arbeiter, mal als Prostituierte, mal, und das hebt das Finale auf eine völlig neue, poetische Ebene, als Ballerinas. Wie eine unaufällige, aber ausgeklügelte Choreographie in das Spiel und die Geschichte verwoben wird, und dabei nie zu sehr in den Vordergrund tritt, ist bemerkenswert. In manchen Momenten geschieht derart viel gleichzeitig auf der Bühne, dass man am liebsten zurückspulen würde, um auch jedes noch so kleine Detail zu entdecken. „Radetzkymarsch” ist in der Inszenierung der Vereinigten Bühnen Bozen ein rundes Stück Theater, das in seinen stärksten Momenten atemlos daherkommt und eine Abwärtsspirale erzeugt, die trotz all ihrer Tragik und der Verrohung der nur allzu menschlichen Schicksale widerlich faszinierend ist.