Politik | Vinschgau

Naturnser Politakrobatik

Eigentlich wollte die SVP vor dem Rathaus neue Baukubatur ausweisen. Aus Angst vor einem Referendum hat sie den Beschluss nun widerrufen und wirbt mit Partizipation.
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Foto: Salto.bz
„Wir starten bei der Neugestaltung des Parkplatzes beim Rathaus in Naturns wieder von vorne. Das Thema soll unter Berücksichtigung der bisherigen Rückmeldungen und den Ergebnissen aus dem Bürger*innenrat zum Gemeindeentwicklungsprogramm im Herbst unbelastet aufgegriffen werden. Wenn dann von den Bürger*innen gewünscht, wäre es auch möglich, bei der Neugestaltung des Platzes mit einem privaten Partner – wie bei der Vision 2030+ schon angedacht – zusammenzuarbeiten“, erklärt Bürgermeister Zeno Christanell (SVP). Da die Verschuldung der Gemeinde in den letzten Jahren wesentlich zurückgegangen sei, wäre es absolut nie darum gegangen, die Gemeindekassen zu füllen, sondern einen Mehrwert für die Bevölkerung zu schaffen. Das wird in Naturns nicht von allen so gesehen. 
Schließlich wurde der am 20. März dieses Jahres gefasste Beschluss zur Abänderung des „Gemeindeplanes für Bau und Landschaft“ (Bauleitplan) in letzter Minute von der SVP zurückgezogen, um ein abschaffendes Referendum zu verhindern. Laut einem der Gemeinde vorliegenden Vorentwurf des Architekten Hubert Schlögl soll vor dem Naturnser Rathaus eine Tiefgarage mit Überbauung von mehreren Tausend Kubikmetern entstehen.
 
 
„Als aktiv Mitwirkender im Bürgerbeteiligungsprozess ‚Vision 2030+‘ habe ich aus Eigeninitiative die seit rund 20 Jahren in der Gemeinde aufliegende Studie einer Tiefgarage mit Überbauung des leider bereits verstorbenen Architekten Christoph Mayr-Fingerle vertieft. Die Weiterentwicklung des vorhandenen Vorschlags ist ein Beitrag, mich mit meinen Kompetenzen als Architekt in der Gemeinde konstruktiv einzubringen. Die Studie soll ein neuer Impuls sein und die Basis für eine inhaltliche Diskussion zu diesem wichtigen Thema bilden. Ein Honorar war für diese Studie nicht vorgesehen“, so Schlögl.
Die SVP will sich diesen Spielraum aber behalten und wirbt nun selbst mit Partizipation.
Der Architekt bezieht sich hier auf das „Massenmodell“, das von Mayr-Fingerle 2003 erarbeitet wurde. Zudem beteiligte sich der verstorbene Architekt 2007 an einem Wettbewerb zur Neugestaltung des Dorfzentrums: Damals hatte die Gemeinde in Aussicht, das Gebäude des Kaufhauses „Gritsch“ an der Hauptstraße auf dem Tauschweg zu erwerben, um dort einen Dorfplatz zu errichten. Das Kaufhaus selbst sollte auf dem Rathaus-Parkplatz neu gebaut werden. Der Gewinner des Wettbewerbes Mayr-Fingerle hatte eine Verbauung des Rathaus-Parkplatzes vorgesehen, weil die Realisierung eines neuen Dorfplatzes möglich schien. Anderenfalls hätte es keine Veranlassung und keine Notwendigkeit gegeben, den Parkplatz zu überbauen. Das Projekt wurde allerdings nie verwirklicht.
 
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Der geplatzte Gritsch-Deal: 2007 plante die Gemeinde einen neuen Dorfplatz, das Projekt wurde allerdings nie umgesetzt. (Foto: Screenshot / Google Maps)
 

Neue Baukubatur?

 
Laut Schlögls Vorentwurf sollen über der geplanten Tiefgarage am Rathausparkplatz Flächen für Gastgewerbe, Einzelhandel und Wohnbau entstehen – auch wenn es im Gegensatz zum geplatzten Deal von 2007 keinen neuen Dorfplatz gibt. Die dafür laut dem Raumordnungsgesetz notwendige Bauleitplanänderung (Plan für die städtebauliche Umstrukturierung / PSU) wurde am 20. März im Gemeinderat mit den Stimmen der gesamten SVP-Fraktion beschlossen, die sechs Gemeinderät*innen der Opposition waren geschlossen dagegen.
Die Süd-Tiroler Freiheit kritisierte, dass Bürgermeister Christanell vor dem Beschluss des Gemeinderates weder die Gemeinderäte noch die Bevölkerung über die Pläne zur Neugestaltung des zentral gelegenen Parkplatzes informiert hat. Es gab lediglich mehrere Vorgespräche mit den Wirtschaftsverbänden. Die Ortsvertreter von HGV, HDS und die Tourismusgenossenschaft Naturns hatten wenige Tage vor dem Beschluss in einem geplanten Schreiben an den Gemeinderat ihr Missfallen am Projekt festgehalten.
Die Wirtschaftsverbände sprechen sich in dieser Stellungnahme zwar für die Tiefgarage aus, aber sie fordern, dass der oberirdische Platz frei bleiben soll. Naturns brauche keine neuen Hotels, Geschäfte oder Restaurants, sondern einen Platz, der auch für Veranstaltungen genutzt werden kann. „In den Augen der drei Wirtschaftsverbände ist es nicht die Aufgabe der Gemeindeverwaltung als Unternehmer aufzutreten und die Planung von Gastronomie- oder Geschäftsflächen zu forcieren, obwohl die direkt betroffenen Wirtschaftszweige sich dagegen ausgesprochen haben“, so HGV, HDS und Tourismusgenossenschaft Naturns.
 

Der umstrittene Beschluss

 
Das Schreiben der Wirtschaftsverbände wird kurz vor dem Gemeinderatsbeschluss im März aber zurückgezogen. Im Frühling erhält außerdem ein Naturnser Hotelbetrieb die Genehmigung für eine Erweiterung um mehrere tausend Kubikmeter – wenn auch nur rund die Hälfte des ursprünglich beantragten Erweiterungsvolumens. Zudem wird im Beschluss zur Bauleitplanänderung am 20. März die mögliche oberirdische Baukubatur vor dem Rathaus von 9.000 auf 7.000 Kubikmeter reduziert.
Nachdem auf den Gemeinderatsbeschluss drei Einsprüche aus der Bevölkerung einlangen, beschließt die Südtiroler Volkspartei (SVP) einen „Arbeitsabend für die Neugestaltung des Dorfzentrums von Naturns“ zu veranstalten: Nach einigen kritischen Stellungnahmen aus der Bevölkerung wurde gemeinsam mit Gemeindepolitiker*innen an mehreren Tischen zu Fragen der Dorfentwicklung diskutiert. In einer knappen Stunde sollten die Teilnehmenden 14 offene Fragen beantworten – zu wenig Zeit für komplexe Fragestellungen. 
 
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Der Parkplatz vor dem Rathaus in Naturns: Die Pläne des Gemeindeausschusses sorgten in den letzten Monaten für viel heiße Luft im Dorf. (Foto: salto.bz)
 
Indessen ruft der Beschluss zum Rathaus-Parkplatz einige Bürger*innen auf den Plan. Sie beantragen bei der Richterkommission für die Bewertung der Zulässigkeit von Volksabstimmungen in Bozen die Abhaltung eines abschaffenden Referendums zur Bauleitplanänderung bezüglich dem Vorhaben Plaza. Das Referendum wird von der Richterkommission Anfang Mai für zulässig erklärt. Das überrascht insbesondere, weil in den vergangenen fünf Jahren Anträge auf Referenden und Volksbegehren von den zuständigen Kommissionen abgelehnt wurden.
Nachdem das abschaffende Referendum grünes Licht erhalten hat, beginnen die Initiator*innen Unterschriften zu sammeln. Es braucht die Zustimmung von zehn Prozent der Wahlberechtigten, also mindestens rund 500 Unterschriften, damit die Volksabstimmung in der Gemeinde abgehalten werden kann. Die SVP wird nervös und lässt die nächste Gemeinderatssitzung um ein Monat vorverlegen, worauf innerhalb weniger Tage fast 600 Unterschriften gesammelt werden.
Am 6. Juni wird der Gemeinderatsbeschluss mit denselben Stimmen der SVP widerrufen – und das aus gutem Grund: Wäre bei dem abschaffenden Referendum herausgekommen, dass die Mehrheit das Projekt Plaza und die Bauleitplanänderung ablehnt, dann wäre die Neugestaltung wohl vorerst vom Tisch gewesen. Denn ein abschaffendes Referendum hat eine bindende Wirkung von drei Jahren, in dieser Zeit kann diesbezüglich keine neue Bauleitplanänderung beschlossen werden. Die SVP will sich diesen Spielraum aber behalten und wirbt nun selbst mit Partizipation – am 16. Juni gibt es einen „BürgerInnen Aperitif“ mit der Bläsergruppe der Naturnser Musikkappelle und einem Kurzreferat von Mobilitätslandesrat Daniel Alfreider (SVP).
 

Falsch verstandene Partizipation?

 
Die Neugestaltung des Rathaus-Parkplatzes ist also noch nicht wirklich vom Tisch. Der Bürgermeister begründet es mit der Vision Naturns 2030+. Diese wurde 2019 mit Bürger*innen der Gemeinde und mit Unterstützung von Eurac Research und der Universität Innsbruck erarbeitet. Das 58 Seiten lange Dokument enthält viele Wünsche und Visionen, unter anderem den Wunsch der Bevölkerung nach einer Tiefgarage in Naturns. Auch konkrete Vorschläge schafften es 2019 in das Strategiepapier, die von Arbeitsgruppen und in Rückkoppelung mit Bürger*innen- und Gemeinderat weiter vertieft werden sollen.
Eine der Arbeitsgruppen beschäftigte sich mit der Neugestaltung des Burggräfler Platzes, auch hier scheint Partizipation vor allem als Methode angewandt zu werden, um engagierte und interessierte Bürger*innen mit etwas zu beschäftigen, aber nicht unbedingt ernst zu nehmen. Mit der Unterstützung des Naturnser Bildungsausschusses und in Begleitung einer Arbeitsgruppe haben Student*innen der Uni Bozen im Jahr 2021 in Umfragen und Gesprächen mit Vereinen Anregungen gesammelt und die Ergebnisse in einem „Manuale“ zusammengefasst. Damit war ein konkretes Planungsprogramm vorgelegt.  
 
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Die Vision Naturns 2030+: In diesem Strategiedokument äußerten die beteiligten Bürger*innen den Wunsch nach einer Tiefgarage im Dorf. (Foto: salto.bz)
 
Daraufhin wurden die Architekten Zeno Bampi, Jürgen Wallnöfer und Hubert Schlögl von der Gemeinde eingeladen, aufbauend auf das Manuale ihre Entwürfe zu erstellen. Bampi nahm an dem Wettbewerb schlussendlich nicht teil. Während der Entwurf von Wallnöfer laut der Arbeitsgruppe auf die Ergebnisse der Bürger*innenbeteiligung eingeht, habe Schlögls Vorschlag „kaum innovative Aspekte“ und gehe zu wenig auf die Inhalte des Manuale ein. Trotzdem entschied sich der Gemeindeausschuss für den Entwurf von Schlögl. Da die Kostenschätzung jedoch bei Weitem zu niedrig gewesen sein dürfte, geriet die Umsetzung ins Stocken. Nun soll der Burggräflerplatz im Laufe des Sommers gepflastert werden, um zumindest den staubigen Boden des Platzes aufzuwerten.
Für die Initiator*innen des abschaffenden Referendums ist der Widerruf der Bauleitplanänderung zum Vorhaben Plaza bereits ein kleiner Erfolg, auch weil die Kommission für die Zulassung der Volksabstimmung die Begründung der Promotor*innen akzeptiert hat. Eine klassische Bürger*innenversammlung wurde diesbezüglich allerdings noch nicht abgehalten. Diese ist laut Gemeindesatzung nur dann verpflichtend, wenn es um Projektinvestitionen von mindestens 250.000 Euro geht oder der gesamte Bauleitplan genehmigt oder überarbeitet wird. Änderungen des Bauleitplanes machen hingegen keine Bürger*innenversammlung notwendig. Stattdessen experimentiert die Gemeinde nun mit „BürgerInnen Aperitifs“.