Chronik | Stellungnahme

“Kein öffentlicher Kommentar”

Die Präsidentin am Verwaltungsgericht Bozen Alda Dellantonio äußert sich zum Urteil von Walter Pelino in der Causa Renate Holzeisen. Aber nicht nur.
Verwaltungsgericht Bozen
Foto: Othmar Seehauser

Es war salto.bz, das erstmals über das Urteil berichtete, das am 25. Juni am Landesgericht Bozen hinterlegt wurde. Darin verfügt der Richter für die Vorerhebungen Walter Pelino die Archivierung des Strafantrags, den die damalige Präsidentin des Bozner Verwaltungsgerichts Edith Engl im Februar 2018 gegen die Rechtsanwältin Renate Holzeisen eingereicht haben. Zugleich hält Pelino fest, dass der Richtersenat des Verwaltungsgerichts in diesem Verfahren Schritte und Handlungen gesetzt habe, die berechtigte Zweifel an seiner Überparteilichkeit aufkommen ließen. Der Richter für die Vorerhebungen behauptet zwar nicht, dass das Verwaltungsgericht parteiisch gehandelt habe – es habe aber auch nicht genug getan, um diesen Verdacht zu widerlegen.

Nun meldet sich die aktuelle Präsidentin des Verwaltungsgerichts zu Wort. Und zwar in einem offenen Brief. Den verschickt Alda Dellantonio am Dienstag Nachmittag an die Medien, nachdem ff-Journalist Karl Hinterwaldner bei ihr nachgehakt hat. Dellantonio schreibt: “Sehr geehrte Damen und Herren, am vergangenen 8. Juli wandte sich der Journalist Hinterwaldner von der Wochenzeitung FF mit einigen Fragen an die Präsidentin des Verwaltungsgerichtes Bozen. Hauptsächlich geht es um den kürzlich hinterlegten Archivierungsbeschluss, in dem sich der Richter für die Vorerhebungen Dr. Pelino mit dem Verwaltungsgericht Bozen beschäftigt hat. Angesichts des Echos, das dieser Beschluss in den lokalen Medien hervorgerufen hat, erachte ich es für notwendig, meine Antwort an Herrn Hinterwaldner auch der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Ich ersuche deshalb um die vollinhaltliche Veröffentlichung des nachstehenden offenen Briefes, der einzig und allein ein abschließender klärender Beitrag sein soll.”

 

Der Brief im Wortlaut

 

Sehr geehrter Herr Hinterwaldner,

Sie geben mir mit Ihrer Anfrage die Gelegenheit, einen klärenden Beitrag über den vor Kurzem erlassenen Beschluss des Richters für die Vorerhebungen am Landesgericht, Dr. Pelino, zu leisten, der sich mit dem Verwaltungsgericht Bozen befasst hat.

Sie fragen mich, ob ich der Aussage, die Sie dem Richter Pelino zuschreiben, dass die Richter des Verwaltungsgerichtes Bozen parteiisch seien, zustimme.

In Wirklichkeit stellt sich diese Frage jedoch nicht, weil Richter Pelino nie eine solche Behauptung aufgestellt hat.

Der Gedankengang des Richters für die Vorerhebungen geht nämlich klar in die entgegengesetzte Richtung, wie sich aus einer auch nur oberflächlichen Durchsicht des Beschlusses ergibt.

Richter Pelino geht davon aus, dass es in der Rechtsordnung den Grundsatz gibt, dass jeder Richter, gleich welcher Instanz, Ordnung und Gerichtsbarkeit er angehört, nicht nur unabhängig sein muss, sondern auch unabhängig erscheinen soll. Aufgrund dieser Annahme archiviert der Richter für die Vorerhebungen das Strafverfahren zu Lasten einer Anwältin der Berufskammer von Bozen (Renate Holzeisen, Anm.d.Red.), die in einem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht als Rechtsbeistand fungierte und im Rahmen dessen gegen den Richtersenat die beleidigende Anschuldigung der Parteilichkeit erhob. Richter Pelino stufte diese Anschuldigung klar und eindeutig als beleidigend ein, meint aber, dass die Anwältin strafrechtlich nicht verfolgt werden könne, weil sie im Rahmen der Ausübung des Rechtes/der Pflicht zur Verteidigung gehandelt habe.

Zum besseren Verständnis werden im Anschluss die grundlegenden Gedankengänge des Archivierungsbeschlusses wiedergegeben.

Richter Pelino erklärt in unmissverständlicher Weise, dass die von der beschuldigten Anwältin gegenüber dem Richtersenat des Verwaltungsgerichtes ausgesprochenen Äußerungen beleidigend sind und somit, wie ich mir zu betonen erlaube, strafrechtliche Relevanz haben (siehe Seite 2, Zeile 13 und Seite 4, Zeile 4).

Dies festgestellt, kam der Richter Pelino bei der Entscheidung, ob er gegen die beschuldigte Anwältin das Hauptverfahren eröffnen soll, jedoch zum Schluss, dass die beleidigende Anschuldigung an das Verwaltungsgericht Ausdruck des Rechtes auf Verteidigung ist und somit ein Rechtfertigungsgrund vorliegt (siehe Seite 4, Zeile 8).

Der Richter zeichnet die verfahrensrechtlichen Entscheidungen des betreffenden Verwaltungsprozesses nach, wobei er lediglich einige davon hervorhebt, und kommt zum Schluss, dass diese vom Verwaltungsgericht getroffenen Entscheidungen geeignet waren, den Eindruck der Verzögerung und dadurch der Parteilichkeit zu erwecken.

Einzig darauf beruht der Archivierungsbeschluss des Richters Pelino: die Anschuldigung könne zwar brutal und beleidigend erscheinen, aber man könne wahrhaftig nicht behaupten, dass diese nicht Teil einer von der Verteidigung gewählten, wenn auch fragwürdigen, Verteidigungsstrategie des Frontalangriffs gewesen sei (siehe Seite 7, Zeile 5).

Einzig und allein deshalb wurde das Strafverfahren eingestellt.

Ich enthalte mich, den Beschluss des Richters Dr. Pelino öffentlich zu kommentieren oder in Frage zu stellen, wenn ich diesen aus juristischer Sicht auch in gewisser Weise nicht teilen kann

In diesem Zusammenhang ist mir wichtig zu betonen, dass Richter Pelino ausdrücklich und unmissverständlich klargestellt hat, dass es für ihn keinen Grund gebe, die Korrektheit der Prozessführung und der diesbezüglich getroffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes anzuzweifeln (Seite 7, Zeile 21).

Nichts desto trotz ist er der Ansicht, dass einige verfahrensrechtliche Entscheidungen des Verwaltungsgerichtes dazu geeignet waren, bei der beschuldigten Anwältin den Eindruck der Parteilichkeit zu erwecken.

Der Archivierungsgrund des Strafverfahrens zu Lasten der Anwältin fußt folglich ausschließlich auf einer von dieser gewonnenen Vorstellung.

Daher ist die von Ihnen, Herr Hinterwaldner, gestellte Frage einfach falsch: Richter Pelino hat nie „festgestellt, dass die Richter des Verwaltungsgerichtes Bozen parteiisch seien“.

Im Archivierungsbeschluss streift Richter Pelino auch das Thema der politischen Ernennung der Richter des Verwaltungsgerichtes und findet darin den Grund für die Kritik einer möglichen Abhängigkeit. Auf dieser Annahme beruht die Behauptung des Richters für die Vorerhebungen, dass für die Verwaltungsrichter, mehr als für alle anderen Richter, die Pflicht bestehe, nicht nur unparteiisch zu sein, sondern auch unparteiisch zu erscheinen.
Dies mag suggestiv sein, wie die jüngsten Stellungnahmen einiger lokaler Politiker zeigen. Ich erachte es aber für notwendig, die Sache doch noch etwas zu vertiefen und dabei erlaube ich mir, auf meine Rede zur Eröffnung des Gerichtsjahres 2020 zu verweisen, die auf der offiziellen Homepage der Verwaltungsgerichtsbarkeit veröffentlicht ist.

Von wesentlicher Bedeutung scheinen mir die dort dargelegten historischen und politischen Hintergründe zu sein, die zum Erlass der Verfassungs- und Durchführungsbestimmungen zur besonderen Form der Ernennung der Richter des Verwaltungsgerichtes Bozen geführt haben. Diese liegt in der Sonderfunktion des Verwaltungsgerichtes, Garant für das empfindliche ethnische Gleichgewicht zu sein, auf dem die Südtiroler Autonomie fußt.

Die Debatte über die Ernennung der Richter löst sich durch eine sorgfältige Analyse der Rechtsprechung auf, die sich eingehend mit diesem Thema befasst hat

Die Unabhängigkeit der Richter kann nach ständiger Rechtsprechung, einschließlich jener des Verfassungsgerichtshofes, im Übrigen nicht deshalb als verletzt angesehen werden, weil diese von anderen Staatsgewalten ernannt werden. Nicht die Aufnahme mittels Wettbewerb, sondern das mit dem Richterstatus verbundene Garantiesystem und das daraus resultierende Fehlen einer externen Kontrolle der Laufbahnen sind die Garantien, die die Richter, seien sie aufgrund eines Wettbewerbes oder durch Ernennung bestellt, von anderen Staatsgewalten unabhängig machen. Die Debatte über die Ernennung der Richter löst sich daher durch eine sorgfältige Analyse der Rechtsprechung auf, die sich eingehend mit diesem Thema befasst hat. Hierbei sei auf das Urteil Nr. 302/2019 des Verwaltungsgerichtes Bozen verwiesen, das sich umfassend mit dieser Frage befasst und sämtliche Präzedenzfälle aufgearbeitet hat.

Dies vorausgeschickt, vermute ich, dass der Hintergrund Ihrer Fragestellung, wenn auch unzutreffend formuliert, jener ist, von mir eine Stellungnahme zum Archivierungsbeschluss des Richters Dr. Pelino zu bekommen. Entgegen der derzeitigen Tendenz ist es trotz allem meine feste Überzeugung, dass in einer intakten und ausgereiften Demokratie der Respekt für und zwischen den Institutionen eine unverzichtbare Grundvoraussetzung darstellt. Ich enthalte mich daher, den Beschluss des Richters Dr. Pelino öffentlich zu kommentieren oder in Frage zu stellen, wenn ich diesen aus juristischer Sicht auch in gewisser Weise nicht teilen kann.

Sie fragen mich weiters, ob ich den Weg, den das Team K vorgeschlagen hat, für die Auswahl der Richter des Verwaltungsgerichtes einen öffentlichen Wettbewerb einzuführen, für richtig finde. Der Vorschlag ist nachvollziehbar und verdient Beachtung. Ich kann es mir aber nicht verwehren, eine Warnung auszusprechen: die sicherlich schwierigen Entscheidungen der damaligen Gestalter unserer Sonderautonomie sind auf die oben genannten politischen Gegebenheiten zurückzuführen, sodass für eine Abänderung der Auswahlform der Richter des Verwaltungsgerichtes eine umfassende, abwägende und unvoreingenommene Überlegung über unser Autonomiemodell und über die Mechanismen des ethnischen Gleichgewichtes notwendig ist.

Ist die Südtiroler Gesellschaft tatsächlich schon so weit fortgeschritten, offen und versöhnt?

Aber noch wichtiger erscheint die Grundsatzfrage, die sich die Erneuerer und im Grunde wir alle stellen müssen, nämlich, ob die Südtiroler Gesellschaft, in der eine Sprachgruppe neben der anderen lebt - die deutsche Sprachgruppe, die auf lokaler Ebene die Mehrheit stellt, aber auf gesamtstaatlicher Ebene in vollkommener Minderheit ist, und die italienische Sprachgruppe, für die genau das Gegenteil gilt - tatsächlich schon so weit fortgeschritten, offen und versöhnt ist und endgültig jegliche Spannung abgebaut hat, sodass die Mechanismen des Gleichheitsschutzes zwischen den Volksgruppen, die vom Verwaltungsgericht gewährleistet werden, ohne weiteres verzichtbar sind. 

Mit freundlichen Grüßen

Die Präsidentin
Alda Dellantonio