Wirtschaft | Bozen
Dorfplatz oder Durchzugsstraße?
Foto: Salto.bz
Der Grieser Platz an einem Vormittag Anfang der Woche: Es herrscht emsiges Treiben auf der Straße, Fußgänger*innen, Menschen auf dem Fahrrad oder im Auto, Busse, Müllabfuhr; In den Bars hingegen scheinen die Uhren ein wenig lansamger zu gehen. Es wird Kaffee getrunken, eine Zigarette angezündet, in die Zeitungen geschaut.
Silvia Tafani räumt das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine, wischt über die Arbeitsplatte und räumt einen leer gewordenen Tisch ab. Sie hat die Leitung des urigen „Café Gries“ vor zwei Jahren übernommen und beschäfigt vier Servicekräfte. Neben dem alten Mobiliar stehen neue Barhocker und wuchernde Pflanzen.
Die Stadt hat an Persönlichkeit verloren.
„Als ich erfahren habe, dass das Café neu verpachtet wird, habe ich alles in meiner Macht Stehende getan, um es zu übernehmen. Ich war bereits Kundin hier und fühlte mich zuhause“, erklärt Tafani in einer kurzen Pause, ihr einjähriges Kind schläft trotz lauter Geräuschkulisse neben der Bartheke im Kinderwagen. „Anfangs war das Café noch wenig besucht, obwohl der Grieser Platz so schön ist. Ich fand es komisch, dass die Anderen das nicht sehen.“ Heute habe sie Kundschaft aus der ganzen Region.
Evi Pardeller findet es wichtig, dass zumindest die Cafés und Restaurants am Grieser Platz für Leben im Viertel sorgen. Sie führt dort gemeinsam mit Alice Hönigschmid und Alex Parmeggiani seit Mai dieses Jahres das Yogastudio 108. „Wir waren für eineinhalb Jahre auf der Suche nach einer passenden Räumlichkeit in Gries, weil wir aus dem Bozner Zentrum raus wollten. Gries hat noch Dorfcharakter und ist weniger touristisch.“ Pardeller ist in Bozen auf dem Siegesplatz aufgewachsen.
„Der Charakter der Innenstadt hat sich mit der Zeit stark verändert, viele Bozner*innen sind aus dem Zentrum gezogen und wohnen nun etwas außerhalb. Der globale Trend der großen Einkaufsketten, die viele Menschen anziehen und einen großen Umsatz generieren, hat längst auch in Bozen Fuß gefasst. Ich vermisse heute die Sonntagsstimmung, wenn alle Geschäfte geschlossen sind und eine gemütliche Ruhe einkehrt. Die Stadt hat an Persönlichkeit verloren“, sagt Pardeller.
Im Sinne einer nachhaltigen Erreichbarkeit geht der europaweite Trend eher in die Richtung, Anreize für die Anreise mit dem Fahrrad zu fördern.
In Gries sorgen vor allem Verkehr und Parkplätze unter der ansässigen Bevölkerung für Diskussion. Denn der Grieser Platz ist nicht nur Ortskern des Stadtviertels, sondern durch die Vittorio-Veneto-Straße vom Durchzugsverkehr betroffen, die zum Krankenhaus sowie Richtung Meran und Überetsch führt. „Die Situation ist vor allem bei schlechtem Wetter völlig untragbar. Hunderte Kinder sind hier morgens unterwegs, um in die Schule zu gehen. Bei diesem Kolonnenverkehr möchte ich die Abgaswerte gar nicht wissen“, erklärt Team K-Chef Paul Köllensperger, der selbst dort wohnt.
Die Verkehrsbelastung bestätigt Renate Hiller von dem Lebensmittelgeschäft „Pro Natura“ am Grieser Platz. Sie führt den Laden seit 2007, seitdem habe der Verkehr stetig zugenommen. Stehen bleiben würden die Autos allerdings noch zu selten. Dazu hat auch der Ausbau der Radwege beigetragen, der die Anzahl der verfügbaren Parkplätze reduzierte. Seit einigen Jahren betreibt das „Hotel Post“deshalb eine Parkgarage mit Einfahrt bei der Vittorio-Veneto-Straße. Der Ausgang führt direkt auf den Grieser Platz.
Parkgutscheine als Lockmittel
Wer in den anliegenden Geschäftslokalen mindestens 25 Euro ausgibt, erhält bis 31. Dezember einen Gutschein für eine Gratisparkstunde beim Best Parking Gries des Hotels Post. Über 20 Geschäftslokale haben sich der Kampagne angeschlossen. Die Flyer und Plakate liegen bereits auf, auch die sozialen Netzwerke im Internet werden bespielt. „Wir wollen unserer Kundschaft die Parkplatzsuche erleichtern“, so Hiller.
Leerstand ist infektiös.
Martin Stampfer vom Kompetenzzentrum für Orts- und Stadtentwicklung des Handels- und Dienstleistungsverbandes Südtirol (HDS) kennt die Situation. Laut ihm seien Initiativen, welche den Standort wirtschaftlich stärken sollen, prinzipiell zu begrüßen. „Ob in einem Stadtviertel wie Gries und im Speziellen am Grieser Platz Parkgutscheine die geeignete Maßnahme sind, sollte jedoch grundlegend hinterfragt werden“, sagt Stampfer.
Gries habe, wie Stadtviertel anderer Städte auch, einen Auftrag für die Nahversorgung, welcher sich in erster Linie an die Bürger*innen des Stadtviertels richte. „Aufgrund der historisch angespannten Verkehrssituation rund um den Grieser Platz werden die Bürger*innen im Rahmen solch einer Initiative noch zusätzlich dazu animiert, sich ins eigene Fahrzeug zu setzen“, kritisiert Stampfer. Damit steige der Quell- und Zielverkehr. Überdies würden nur diejenige angesprochen werden, die über ein Auto verfügen und einen Führerschein besitzen.
„Im Sinne einer nachhaltigen Erreichbarkeit und einer damit einhergehenden Steigerung der Aufenthaltsqualität geht der europaweite Trend in der Stadtentwicklung eher in die Richtung, Anreizsysteme für die Anreise mit dem Fahrrad zu fördern und in die entsprechende Infrastruktur wie sichere Abstellplätze und Ladestationen zu investieren. Anreizsysteme sollten im Jahr 2023 und im Hinblick auf die Maßnahmen des Klimaplans Südtirol 2040 und des neuen Landesmobilitätsplanes nicht mehr mit einer stärkeren Nutzung des Individualverkehres verknüpft werden“, erklärt Stampfer vom HDS-Kompetenzzentrum.
Für Hiller von Pro Natura ist die Kampagne mit dem Parkgutschein in erster Linie eine willkommene Gelegenheit, um als Gewerbetreibende Kräfte zu bündeln: „Wir sind kleine, inhabergeführte Betriebe und haben uns zusammengeschlossen, um unsere Angebote bekannter zu machen, da das Marketing sonst sehr kostspielig und zeitintensiv wird.“
Die Standortfrage
Was der Grieser Platz zu bieten hat, ist im Vergleich zur Innenstadt jedoch überschaubar: „Die Grundversorgung ist vorhanden, aber Geschäfte zum Stöbern und Verweilen gibt es weniger“, sagt Pardeller vom Yogastudio. „Es stellt sich die Frage wie wir Gries zu einem Anziehungspunkt für interessante Geschäfte und Menschen machen können – wir haben jedenfalls schon einen Schritt gesetzt.“
Die Gemeinde Bozen hat den Grieser Platz zwar als Sorgenkind erkannt, allerdings scheint der Handlungsdruck eher gering.
Wie auch andere Bozner Stadtviertel ist Gries von steigendem Leerstand betroffen. Im Vergleich zum Jahr 2021 hat sich der Anteil nicht genutzter Geschäftslokale von 31 auf 46 Räumlichkeiten um fast 50 Prozent erhöht, wie eine im Frühling durchgeführte Standortanalyse des HDS zeigt. „Das Phänomen der zunehmenden Leerstände lässt sich in ganz Südtirol, sowohl in den Städten als auch in ländlichen Gemeinden, feststellen“, erklärt Stampfer vom HDS. Das betreffe den Handel und ebenso die Gastronomie, beispielsweise durch das Gasthaussterben.
Die Gründe hierfür seien vielfältiger Natur, darunter vor allem der Generationswechsel. „Wirtschaftstreibende gehen in Pension und finden keine Nachfolge für ihren Betrieb, da sich die jungen Menschen attraktiveren, ‚innovativeren‘ Berufen widmen möchten. Dazu ist auch zu sagen, dass die massiven Handelsflächen der 80er Jahre heute nicht mehr im herkömmlichen Sinn nachbesetzt werden können“, so der Wirtschaftsexperte.
Die Überetscher Bahn wäre ein wichtiges Projekt und nicht die Standseilbahn von Meran nach Schenna, die nur ein paar Hotels bedient.
In der Nachnutzung von leerstehenden Objekten seien deshalb alternative Konzepte wie Co-Working, Beherbergungskonzepte („alberghi diffusi“) sowie die Rückkehr von ortsaffinem Handwerk in die Ortszentren gefragt.
„Essenziell ist es vor allem, die Schaffung von weiteren Geschäftsflächen, auch in peripheren Lagen, einzuschränken und Bestehendes konsequent zu nutzen. Dazu ist es notwendig, dass Wirtschaftstreibende, Politik und Immobilienbesitzer*innen gemeinsam agieren. Denn Leerstand ist infektiös – ein Leerstand zieht meist weitere in der direkten Nachbarschaft nach sich und führt schleichend zu einer Abwertung des Standortes. Damit fallen zwar auch die Mietpreise, oft aber zu spät, um gegenlenken zu können.“
Politisches Zögern
Die Gemeinde Bozen hat den Grieser Platz zwar als Sorgenkind erkannt, allerdings scheint der Handlungsdruck eher gering. Vizebürgermeister und Landtagskandidat Luis Walcher (SVP) will sich diesbezüglich gegenüber salto.bz nicht äußern. Der vom Wiener Studio Calas bereits im Jahr 2021 ausgearbeitete Entwurf zur Neugestaltung des Platzes im Auftrag der Stadt wurde bisher noch nicht im Gemeinderat behandelt. Köllensperger beurteilt den Entwurf als vielversprechend, wenn auch noch nicht gänzlich ausgereift.
„Das Projekt zur Neugestaltung ist optisch gelungen, hat aber einige Haken. Zum Beispiel funktioniert die Zirkulation des Verkehrs nicht mehr, wenn die Ausfahrt der Penegal-Straße geschlossen wird. Es ist auch fraglich, ob alle Parkplätze von der Oberfläche verschwinden müssen oder ob einige für das Kurzzeitparken zum Einkaufen bestehen bleiben sollen“, so der Team K-Chef.
Ginge es nach ihm, müssten darüber hinaus radikalere Konzpete herangezogen werden, um eine Verkehrsberuhigung zu erreichen: „Wenn sie den Hörtenbergtunnel bauen und die Fagen- und die Cadorna-Straße für den Durchzugsverkehr nicht sperren, dann verschlechtert sich die Verkehrssituation bei uns“, prognostiziert Köllensperger. Denn es sei wenig wahrscheinlich, dass vom Sarntal aus kommend freiwillig ein Umweg über den Hörtenbergtunnel in Kauf genommen wird, um zum Krankenhaus oder nach Meran zu fahren.
Zudem plädiert der Landtagsabgeordnete für den Bau der Überetscher Bahn: „Sie würde 26.000 Autos ersetzen, die täglich von Überetsch nach Bozen pendeln. Das wäre ein wichtiges Projekt und nicht die Standseilbahn von Meran nach Schenna, die nur ein paar Hotels bedient.“
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