Kultur | Zeitgenössische Musik

Zürnen gegen schöne Welten

Das Festival der Zeitgenössischen Musik Bozen ist am vergangenen Samstag mit der Reprise von Eduard Demetz’ „Atlas der schönen Welten“ gestartet. Ein Rückblick. Heute Abend stehen Uraufführungen auf dem Programm.
Atlas der schönen Welten, Eduard Demetz, Ensemble Windkraft, Alte Grieser Pfarrkirche
Foto: SALTO
  • Das Stück - eine „Wort - Musik - Performance“ - welche im Sommer letzten Jahres bei Transart uraufgeführt wurde, hat man von seinem geographischen Bezugspunkt entwurzelt. Dieser liegt beim Kloster Marienberg, aus dessen „Registrum“ - geschrieben von Goswin von Marienberg - eine der beiden Texthälften des Abends verlesen wurde. In die alte Grieser Pfarrkirche verpflanzt, und mit einer neuen Stimme versehen - Hanns Zischlers Lektüre aus der Klosterchronik übernahm Brigitte Jaufenthaler - oblag die Ausführung der Musik abermals dem beiden Festivals treuen Ensemble Windkraft (unter der Leitung Kasper de Roos). Die zweite Worthälfte kam bei beiden Aufführungen durch Patrizia Pfeifer zur Sprache: Sie ist aus dem verzweifelnd schönen Sprachbildern von Herta Müllers „Atemschaukel“ entlehnt.

    Die Aufführung zu Gries, eine eigentümliche Setzung als Eröffnungsakt des Festivals für zeitgenössische Musik Bozen, blickt dabei in die tiefe Vergangenheit einer fremden Klosterwelt (um 1400) und eine ebenso fremde Arbeitslager-Welt in Nowo-Gorlowka, in die Sowjet-Ukraine des 20. Jahrhunderts. In beiden Realitäten, so spürt man, haben sich die Musiker und Sprecherinnen durch gefrorene Erde nach verschüttet Universellem durchzugraben. Endzeitstimmung vor den Klostermauern, wo der Mönch von Erdbeben und einer Seuche berichtet, von denen ihm Wort zugetragen wird, zweifelsohne die Strafe Gottes, so befindet Goswin; Endzeitstimmung auch hinter den Lagermauern, wo eine Außenwelt unvorstellbar scheint und der Tod als gnädige Figur in Erscheinung tritt.

    Dazwischen kratzt, schabt und ächzt das Instrumentarium und eine Tuba-Fraktion mit Dämpfern im Seitenschiff der Kirche grollt bedrohlich. Die Struktur des Stücks, in fünf Akten an den Klosteralltag mit seinen Stundengebeten angelehnt, macht das musikalisch, wie textlich anspruchsvolle und eindrucksvolle Wechselspiel verdaubar. Einen Löwenanteil der Arbeit hatte dabei der Schlagwerker, welcher mit der „Großen Geste“ auch für etwas Auflockerung und Öffnung zur nahbareren Gegenwart sorgt. Das dritte große Stück des Abends (wenn man das Präludium mitzählt) wird zu eingespielten Klängen als Luft-Drumming vorgespielt - ähnlich, nur lückenloser und präziser als ein beliebter Mr. Bean Sketch. Was dabei anfänglich einfach aussieht, entpuppt sich als Knochenjob, der Präzision, Rhythmusgefühl und räumliches Vorstellungsvermögen verlangt. Einfach ist das keineswegs, erlaubt aber gleichzeitig das analoge, in der Kirche aufgetragene Instrumentarium aus Bläsern, Streichern und Schlagwerk um eine digitale Komponente zu erweitern. Diese bleibt bei den anderen Stücken bedrohlich und am Rande der Wahrnehmungsgrenze im Hintergrund, verstärkt die Stimmung, welche den Worten innewohnt. 

    Immer dann macht die Sprache Rast, wenn vermutlich noch Schlimmeres gesagt werden könnte. Bei historisch akkuraten antisemitischen Zwischentönen oder den Sprachbildern der Müller, die im Geist alptraumhafte Dimensionen annehmen. Für poetische Schönheit sorgt auch das Licht am Konzertabend, welches durch das Buntglas der Kirche dringt und langsam, mit dem Ausschwingen der Atemschaukel schwächer wird. Hoffnung und Licht, sie beide verlassen uns etwa im selben Moment.

  • Zum Programm für das weitere Festival geht es hier.