Umwelt | Interview

“Von Klimaneutralität weit entfernt”

Der Klimaforscher Marc Zebisch sagt: Klimaschutz kann eine Chance für Südtirol sein, die es zu nutzen gilt. In Meran und Bozen werden nun die Gemeinden tätig.
Marc Zebisch
Foto: Screenshot/Youtube

Ein neues Jahr beginnt bekanntlich oft mit guten Vorsätzen. Gut gemeint, aber nicht ernsthaft umgesetzt – das kann sich die Politik in Sachen Klimawandel nicht mehr leisten. In Bozen findet am kommenden Mittwoch (22. Jänner) eine Fachtagung zum Thema statt. “Klimanotstand – was geschieht in Südtirol?” Zu dieser Frage  diskutieren lokale Experten, Techniker, Vertreter von Forschungseinrichtungen und führende Wissenschaftler wie der Meteorologe und Klimatologe Luca Mercalli. Am selben Tag wird die Klimastrategie der Stadt Bozen präsentiert. In Meran ist es bereits am heutigen Donnerstag so weit. Um 20 Uhr findet die Vorstellung des “Aktionsplans für Nachhaltige Energie und Klima” für die Bürger statt. Der EURAC-Klimaforscher Marc Zebisch hat in federführend mit ausgearbeitet.

salto.bz: Herr Zebisch, in Südtirol gibt es bereits den Klimaplan des Landes, der bis Mitte 2020 überarbeitet werden soll. Wozu braucht es einen Klimaplan für Gemeinden wie es der “Aktionsplan für Nachhaltige Energie und Klima” ist, der für Meran ausgearbeitet wurde?

Marc Zebisch: Im Umgang mit dem Klimawandel gibt es zwei sich ergänzende Strategien. Der Klimaschutz beschäftigt sich damit, wie Treibhausgasemissionen reduziert werden können, um den weiteren Klimawandel abzuschwächen. Die Klimaanpassung umfasst Strategien, wie man sich an die unvermeidlichen Folgen des Klimawandels anpassen kann: mehr heiße Tage, ein Zunahme von extremen Niederschlägen, ein abnehmende Wasserverfügbarkeit im Sommer.
Der Aktionsplan, den Eurac Reserach zusammen für die Gemeinde Meran erarbeitet hat, ist ein Aktionsplan zur Anpassung an den Klimawandel. Dieser Plan ist eine Ergänzung zum bereits bestehenden Aktionsplan für Nachhaltige Energie und Klima der Gemeinde Meran, der sich mit dem Klimaschutz beschäftigt.  
Das Update des Klimaplans für Südtirol ist ein wichtiger Schritt für den Klimaschutz. Auf Landesebene werden viele wichtige Entscheidungen zu Regelungen und Förderungen getroffen. Dennoch liegen viele Entscheidungen, die Klimaschutz wie auch Klimaanpassung betreffen, auf Gemeindeebene. Insofern sind Pläne auf Gemeindeebene wichtig für die konkrete Umsetzung von Maßnahmen, vor allem in Bereich Bauen, Grünplanung und Infrastruktur.

Neben den regionalen Auswirkungen würde sich Südtirol auch den Auswirkungen des Klimawandels auf globaler Ebene nicht entziehen können: humanitäre, wirtschaftliche und eventuell auch militärische Krisen.

Wie viele Südtiroler Gemeinden haben einen solchen Plan? Wie verbindlich sind die darin enthaltenen Maßnahmen?

Wenn wir von einem Aktionsplan für Anpassung sprechen ist die Gemeinde Meran meines Wissens nach die erste Gemeinde in Südtirol, die einen solchen vorstellt. Auch Bozen wird einen solchen Plan in Kürze vorstellen. Der Plan wird auf Gemeindeebne beschlossen, die darin beschriebenen Maßnahmen sind Vorschläge, die dann von der Gemeinde noch detaillierter ausgearbeitet werden.  
 
Welche Maßnahmen können Städte bzw. Gemeinden ergreifen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken?

Bezüglich Anpassung kann man keine Patentrezepte aussprechen. Hier ist jede Gemeinde ein wenig anders gelagert. In Meran zum Beispiel sind die problematischen Klimawirkungen die Zunahme von heißen und trockenen Perioden und entsprechende Hitzeinseln in der Stadt. Hitzeperioden belasten die Gesundheit, vor allem von älteren Menschen und schaden dem Stadtgrün. Außerdem ist in Meran das komplexe Ent- und Bewässerungssystem nicht optimal auf Starkregenereignisse vorbereitet. Entsprechend beziehen sich die Schlüsselmaßnahmen für Meran auf diese Wirkungen.

Im Umgang mit dem Klimawandel gibt es zwei sich ergänzende Strategien: Klimaschutz und Klimaanpassung.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel sollen Hitzeinseln zunächst erfasst und dann bei Neubaumaßnahmen Frischluftschneisen erhalten werden. Oder im Fall von Hitzewellen sollen in den Stadtvierteln Anlaufpunkte mit gekühlten Räumen und sozialen Dienstleistungen eingerichtet werden. Zur Verbesserung der Situation bei Starkregenereignissen soll eine Arbeitsgruppe zur zukünftigen Zweckbestimmung, Modernisierung und zentralen Steuerung und Verwaltung der Meraner Kanalsysteme eingerichtet werden, sowie Maßnahmen zur Entsiegelung getroffen.

Können solche Maßnahmen auch für andere Gemeinden sinnvoll sein?

Zum Teil. Für andere Gemeinden, etwal in höhere gelegenen Regionen, können die kritischen Klimawirkungen und entsprechend auch die Anpassungsmaßnahmen aber ganz andere sein und zum Beispiel mehr mit Naturgefahren (z.B. Rutschungen) oder dem Rückgang der Schneesicherheit im Tourismus zu tun haben. Auf den Hochplateaus mag hingegen die Wasserversorgung für die Landwirtschaft ein wichtiges Thema sein.
Was auf jeden Fall immer angebracht ist, ist eine gründliche Analyse der möglichen Anfälligkeiten in einer Gemeinde und die gemeinsamen Ausarbeitung von Maßnahmen mit entsprechenden Beteiligten sowie eine Sensibilisierung der Bevölkerung.

 

In Meran wird der Strategieplan nun den Bürgern präsentiert. Sie haben ein Szenario für Meran gezeichnet, wie sich das Klima bis zum Ende des Jahrhunderts verändern wird, falls keine wirksamen Maßnahmen und Programme umgesetzt werden, um den Klimawandel zu einzudämmen. Wie wird sich Südtirol insgesamt verändern? Mit welchen Folgen?
 
Seit den 1960er Jahren ist die Jahresdurchschnittstemperatur um 1,5 Grad angestiegen. Im Sommer ist es in Bozen und Brixen sogar um fast drei Grad wärmer geworden. Nach dem pessimistischsten Szenario muss man bis für den Sommer mit einer weiteren Erwärmung bis 2100 um fünf Grad rechnen. Auffallend ist auch die Zunahme der sogenannten Tropennächte, in denen die Temperatur nicht unter 20 Grad fällt. In den 1960er Jahren konnte man sie in Bozen an einer Hand abzählen. 2015 waren es 29 – ein Rekord. Doch bis Ende des Jahrhunderts könnten 60 Tropennächte im Jahr Normalität sein. Eine solcher Klimawandel würde vermutlich neben den regionalen Auswirkungen auf der globalen Ebene humanitäre, wirtschaftliche und eventuell auch militärische Krisen auslösen, denen sich Südtirol nicht entziehen könnte. Auch bei einer Verringerung der Emissionen würde der Klimawandel immer noch mit einer Erwärmung um 2-3 Grad einhergehen. Insofern gibt es aus meiner Sicht keine Alternative zu der vom EU-Parlament beschlossenen Klimaneutralität bis 2050, die nur durch einen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen möglich ist.

Die drei wichtigsten Sektoren beim Klimaschutz: Verkehr, Gebäudesanierung, Verringerung des Energiebedarfs für Heizen und Kühlen.

Welche sind die größten Klimagefahren für Südtirol?

Das unterscheidet sich von Region zu Region. Im Süden und im Unterland sind Hitze und Trockenheit ein Problem für die Bevölkerung, aber auch die Land- und Forstwirtschaft. Die abnehmende Schneedecke in Winter schränkt die Möglichkeiten für den Wintersport ein und reduziert die Wasserverfügbarkeit im Frühsommer.
Zunehmende Extreme wie Starkniederschläge und Stürme gefährden weite Teile Südtirol und betreffen neben Land- und Forstwirtschaft auch Infrastruktur, Verkehr und Gebäude. Land- und Forstwirtschaft sind durch eine zunehmenden Druck durch Pflanzenkrankheiten und Schädlingen betroffen. Aber auch die menschliche Gesundheit ist durch die Verbreitung von Zecken, Tigermücke oder durch allergene Pollen beeinträchtigt.

Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf in der Südtiroler Klimaschutz-Politik?

Wenn wir über Klimaschutz reden, sind die drei wichtigsten Sektoren der Verkehr – vor allem die Förderung von emissionsfreiem Verkehr, insbesondere Öffentlichem Nahverkehr –, die Gebäudesanierung bezüglich Isolation, und die Verringerung des Energiebedarfs für Heizen und Kühlen sowie die Förderung von erneuerbaren Energien.

Südtirol sollte alle seine Möglichkeiten nutzen, um in allen Sektoren die EU-Strategie einer Klimaneutralität bis 2050, oder besser früher, umzusetzen.

Sehen Sie in diesen Bereichen Fortschritte?

Das größte Sorgenkind ist aus meiner Sicht der Verkehr, da hier die Emissionen weiter zunehmen statt abnehmen. Aber auch im Gebäudebereich gehen die Maßnahmen zu langsam, hier sind wir noch weit von einem Trend in Richtung Klimaneutralität entfernt. Die Emissionen in der Landwirtschaft sind bisher nur sehr pauschal erfasst. Ebenso gibt es bisher wenig Überlegungen zur Senkung der Emissionen in der Landwirtschaft. Eine Förderung von lokalen Produkten und weniger Import – von Fleisch und Futtermitteln – und Export, etwa von Äpfeln, würde die Emissionen schon senken.

Und die privaten Haushalte?

Private Haushalte tragen natürlich über Verkehr, Heizen, Kühlen zu Emissionen bei, aber auch durch das Konsumverhalten, das einen großen Anteil an den globalen Emissionen hat – auch wenn diese meist nicht in Südtirol, sondern in anderen Regionen wie China (Konsumprodukte) oder Südamerika (Fleisch, Kraftfutter) entstehen.

Was kann Südtirol tun?

Südtirol sollte alle seine Möglichkeiten nutzen, um durch Regelungen – Steuern, Vorschriften –, Anreize, technische Maßnahmen sowie eine Sensibilisierung der Bevölkerung in allen Sektoren die EU-Strategie einer Klimaneutralität bis 2050, oder besser früher, umzusetzen. Es müsste sichergestellt sein, dass die Summe aller Maßnahmen auch tatsächlich geeignet ist, die angestrebten Emissionsreduzierung zu erzielen. Klimaschutz ist eine Chance! Gerade eine Kombination aus modernen Technologien, regionalen Wirtschaftskreisläufen und eine nachhaltige Sicherung der natürlichen Ressourcen würde langfristig die Lebensqualität der Südtirolerinnen und der Südtiroler sichern und die Region zum Vorbild in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit machen.