Gesellschaft | Kommentar

Del Gemeinde

Wie man junge Menschen schikaniert. 216 Euro kostet es in Bozen zu pinkeln. Dabei schaffen es die Sittenwächter kaum, einen deutschen Satz richtig zu schreiben.

Ich gebe es zu.
Eines meiner drei Kinder ist schwer kriminell. Mein Sohn, volljährig, Student in Wien, hat in Bozen einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Stadtpolizeiverordnung begangen.
Der Tatort ist ein bekanntes Gasthaus in Bozen. Tatzeitpunkt war der 4. Februar 2016. Es ist der „Unsinnige Donnerstag“. In dem Lokal findet eine äußerst gut besuchte Faschingsfete statt. Weil alle Toiletten besetzt sind und die Schlange immer länger wird, greifen mein Sohn und einer seiner Freunde zur Notwehr. Sie gehen über die Straße und pinkeln dort auf einer Baustelle.
Es ist natürlich eine Sünde, das ist klar. Es ist auch nicht die beste Kinderstube. Aber was danach passiert, dürfte ein Beispiel dafür sein, wie man es jungen Menschen in Bozen schwer macht.
Es ist genau 16.47 Uhr. Während die beiden ihre Notdurft verrichten, fällt ihnen ein diskreter Herr auf, der sie beim Pinkeln fotografiert. Es ist ein Stadtpolizist in Zivil. Er und ein Kollege befinden sich an diesem Tag und an diesem „gefährlichen Ort“ - es geht immerhin um eine Ansammlung von äußerst gefährlichen Jugendlichen – sozusagen im Undercover-Einsatz. In Zivil straft das Duo an diesem Nachmittag Dutzende Jugendliche.

Wärend die beiden ihre Notdurft verrichten, fällt ihnen ein diskreter Herr auf, der sie beim Pinkeln fotografiert. Es ist ein Stadtpolizist in Zivil.“

Der Mann zückt seinen Dienstausweis. Darauf steht Ispettore Capo. Dazu kommt noch ein Kollege. Man verlangt die Ausweise der Delinquenten und notiert die Personalien.
Wenig später trudelt dann zu Hause das Strafprotokoll ein. Darauf steht, dass mein Sohn gegen Artikel 4 der Stadtpolizeiverordnung verstoßen hat. Die vorgesehenen Strafen gehen von 100,00 bis 1000,00 Euro.
Wie bitte?
Aber die zivilen Herrn und die Stadtgemeinde Bozen sind bürgerfreundlich. So ist auf dem Strafprotokoll zu lesen: „Innerhalb von 60 Tagen ab Feststellung der Übertretung oder ab der Zustellung des vorliegenden Übertretungsprotokolls ist die Bezahlung eines geringeren Betrages möglich.
Wunderbar.
Danach aber heißt es. „Und zwar 200 Euro plus 16,50 Euro an Zustellungsgebühren“.
Wie man zu dieser Summe kommt, steht in einer Klammer (Art. 16 G. 689/81). Schaut man sich diese Gesetzesbestimmung an, wird man aufgeklärt:

„Je nachdem, welcher Betrag für den Übertreter vorteilhafter ist, kann dies das Doppelte des Mindestbetrages oder ein Drittel des Höchstbetrages der für die jeweilige Verletzung vorgesehenen Strafen sein. Nach Ablauf der oben genannten Frist legt die Verwaltung nach eigenem Ermessen den Strafbetrag bis zum vorgesehenen Höchstmaß, zuzüglich Zustellungskosten, fest.“

Also eine Art Gnadenakt der Gemeinde.
Welch ein Glück, dass die beiden jungen Leute nicht besoffen waren. Ich wage nicht mir auszumalen, wenn das geschulte Auge der Stadtpolizei auch noch Trunkenheit an einem öffentlichen Ort erkannt hätte. Dann wäre ich – der Vater und Sponsor - wahrscheinlich einen Monatslohn los gewesen.
Dabei sind 216 Euro pro Nase eine ordentliche Stange Geld. Vor allem für einen Studenten. Aber das zählt anscheinend nicht.
Die Gemeinde Bozen hat allein mit den zwei Straftätern immerhin fast 500 Euro verdient. An diesem Tag wurden Dutzende Jugendliche bestraft. Viele, weil sie eine Flasche oder ein Glas in der Hand halten und sich mehr als 5 Meter vom Lokal entfernt aufhalten.
Interessant aber wird es, wenn man sich das Strafprotokoll genauer anschaut. Es handelt sich wohlgemerkt um ein vorgedrucktes Formular, auf dem die Beamten nur mehr die erhobene Straftat ankreuzen müssen, die Personalien, Ort und Zeitpunkt der Straftat einsetzen müssen.
Das öffentliche Dokument, das vor Gericht Bestand halten muss, ist in einem Deutsch verfasst, das einen im wahrsten Sinne des Wortes sprachlos macht.
So steht bei der von meinem Sohn begangenen Straftat:

„Es ist verboten di eigenen Bedürfnisse ausserhalb der dafür vorgesehenen Orte zu verrichten.“

Doch nicht nur mit den Artikeln scheinen die Undercoveragenten der Gemeinde Bozen ihre Mühe zu haben.
Noch abstruser wird es, wenn man auf die Sparte „Rekurs“ schaut.
Dort steht wörtlich:

„Laut Art. 18 des Gesetzes Nr. 689 vom 24.11.1981 kann sich der Betroffene innerhalb von 30 Tagen ab der Zustellung des Übertretungsprotokolles beim Bürgermeister del Gemeinde Bozen vorlegen oder je nach Zuständigkeit von verlangen angehört zu werden.“

Der Betroffene kann sich vorlegen. Bei del Gemeinde. Alles verstanden?

Auszug aus dem Strafprotokoll: „...kann sich der Betroffene beim Bürgermeister del Gemeinde Bozen vorlegen“.

Dass man jungen Menschen, die einen Blödsinn machen, gleich 216 Euro abknüpft, halte ich für sehr problematisch und für eine Schikane. Dass dieselbe Behörde aber nicht einmal einen normalen deutschen Satz zusammenbringt, ist eine Zumutung.
Wer drastische Strafen ausstellt, sollte wenigstens in normalem Deutsch ein Protokoll ausfüllen können.
So darf die Frage erlaubt sein, was die schwerwiegendere Verfehlung ist.
Auf einer Baustelle zu pinkeln oder solche Sätze zu schreiben und zu verschicken?
Aber schuld ist immer nur die böse und freche Jugend.