Kultur | Salto Weekend
„Niemand hört von den Opfern“
Foto: Tiberio Sorvillo
Anfang April war Yadanar Win in Bozen zu Gast und hat gemeinsam mit Ko Latt durch eine intensive und direkte Performance in der Ar/Ge Kunst die anwesenden Zuseher beeindruckt. Wir waren vor Ort und haben berichtet. Nach Ihrer Performance hat die Künstlerin uns ein Interview in englischer Sprache gegeben, welches hier in Übersetzung erscheint.
Salto.bz: Der Abend war sowohl eine Entkontextualisierung, als auch eine Rekontextualisierung. Während der performative Spaziergang Gesten des Protests aus ihrem Kontext entnommen hat, war Ihrer Performance eine Einführung in die jüngere Geschichte Myanmars vorangegangen. Kann beides als Sensibilisierung für ein Thema funktionieren?
Yadanar Win: Im Walk ging es um Umweltthemen und um die Beziehung zwischen Menschen und Pflanzen. Die Künstlerin, Poly Marchantia, wollte ihn als eine Art des Aktivismus gestalten, so dass jede und jeder teilnehmen kann. Ich habe auch mitgemacht und war nicht vorbereitet auf diese starke Energie.
In meiner Performance wollte ich die Situation in meinem Land widerspiegeln, darüber, wie wir gegen die Militärdiktatur kämpfen und dabei leiden sprechen. Die Menschen hier in Südtirol leben in einem ganz anderen Kontext als die Menschen in Myanmar, was die Kultur, Wirtschaft und das Sozialgefüge betrifft.
…und auch unsere Privilegien.
Ja, auch die diversen Privilegien. Hier wie dort wird für Umweltthemen gekämpft. Aber Myanmar ist ein Land, in dem ständig Krieg herrscht. Deshalb war es wichtig, dass Franz Xaver Augustin eine kurze Einführung gegeben hat. Unser Land hat 60 Jahre Diktatur und eine Abschottung von der Außenwelt erlebt. Meine Eltern haben nie das Land verlassen, genau wie die meisten Menschen, die ich in Myanmar kenne. Sie verlassen das Land nicht aus vielerlei Gründen: Die Preise für ein Flugticket und der Zustand der Flugzeugen, oder Visa-Probleme… Es kommen keine Menschen von außen ins Land und niemand verlässt das Land. Also spricht man nicht über unser Land und die Menschen wissen kaum bescheid. Wenn ein Land auf diese Weise im Verborgenen liegt, dann können die Machthaber machen, was sie wollen. Niemand hört von den Opfern.
Sie erstatten also mit den Mitteln der Kunst Bericht?
Unsere Performance ist eine Art Präsentation, sie führt in das Thema ein und bringt die Menschen dazu, darüber zu reden, auch hier, in Bozen. Ich bin sehr glücklich, weil nun einige Stimmen gehört wurden und etwas Information nach außen dringt. Wir informieren die Menschen durch Kunst. Wie Sie wissen, ist dabei die Kontextualisierung sehr wichtig.
Es waren so viele Dinge, dass ich Gewalt nicht vermeiden konnte und sie zum Teil meines Ausdrucks wurde.
Was an Ihren Arbeiten beeindruckt, ist dass es in allen Performances und Fotoarbeiten ein Element von Gewalt zu geben scheint. Ist das Gewalt, welche Sie erfahren haben oder ist es auch eine Art gewaltsame Reaktion?
Ich habe Erfahrung mit Gewalt gemacht, habe mit meinen Performance-Arbeiten aber 2011 begonnen. Wenn ich davon spreche, wie ich angefangen habe, dann war da natürlich die Diktatur prägend und es ist auch zu erwähnen, dass das Bildungsangebot in Mianmar unterentwickelt ist und es natürlich auch keine ordentliche Lehre für zeitgenössische Kunst gibt. Trotzdem gehöre ich zur dritten Generation von zeitgenössischen Performance-Künstlern. In Xavers Präsentation haben Sie auch Beispiele gesehen für Malerei aus Mianmar, die keine politischen Konzepte enthält sondern einfach nur Malerei ist. In den 10 Jahren der demokratischen Öffnung begannen aber mehr Menschen auf diese Weise politisch nach zu denken. Mein Interesse in jener Zeit war die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen im Land und ich habe nach verschiedenen Ausdrucksformen dafür gesucht und bin zur Performance-Kunst gekommen.
Wie kam es dazu?
Mein Lehrer in Sachen Performance-Kunst war ein Opfer der zweiten Militärdiktatur. Er war im Gefängnis und wurde gefoltert. Er arbeitete mit diesem Moment der Folter und mit starken Farben. Das war ein starker Ausdruck für sein Martyrium und ich habe das damals oft in meinen Performances verwendet, aber nicht immer. 2021 war ich Teil des Protests und in der Menge und las täglich in den Nachrichten, dass jemand erschossen worden war. Ich habe bei mir zuhause auch immer wieder Schüsse gehört. Ich war kein direktes Opfer von Gewalt, aber sie war 2021 Teil des Alltags.
Sie waren anfänglich in Covid-Quarantäne, nachdem Sie wieder nach Myanmar eingereist waren, als die Frühlingsproteste begannen und haben sich diesen dann angeschlossen…
Als ich das Taxi vom Flughafen nahm, riet man mir vorsichtig zu sein, weil jemand erschossen worden war. Ich hatte große Angst und ich bat den Taxifahrer zu wenden, als bei einem Checkpoint ein Soldat mit seiner Waffe auf uns zu gerannt kam. Das war eine Kriegserfahrung für mich. Nachdem ich das Land im April verließ, erfuhr ich, dass viele meiner Freunde den Guerilla-Kampf trainierten, in echten Kämpfen waren oder inhaftiert wurden. Menschen, die ich gute kenne wurden dort auf schlimmste Weise gefoltert, eine Frau vergewaltigt… Es waren so viele Dinge, dass ich Gewalt nicht vermeiden konnte und sie zum Teil meines Ausdrucks wurde.
Würden Sie auch sagen, dass Ihre Werke in gewisser Weise antipatriarchal sind? Diese Strukturen der Unterdrückung und Gewalt sind dominant männlich.
Ich weiß nicht, aber wer startet die Kriege? Putin ist keine Frau. Ich sage das nicht, weil ich eine Frau bin, auch wenn ich ein Mann wäre, müsste ich diese Wahrheit akzeptieren. Das ist aber nicht der eigentliche Kampf, vielleicht wird er es in Zukunft einmal sein. Aktuell ist das einfach ein Krieg zwischen Menschen.
Ich weiß nicht, aber wer startet die Kriege? Putin ist keine Frau.
Ein starker Moment in der Performance war auch als Sie beide sich gegenseitig schwarze Farbe ins Gesicht geschmiert haben. Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich falsch liege, aber ich habe das als Subtraktion der Identität gelesen. Sind für Sie die zahlreichen Ethnien und Identitäten im Land eher etwas, was eine Entschärfung der Konflikte erschwert oder kann das Teil der Lösung sein?
Es ist Teil der Lösung, die meisten Menschen sind nicht Teil des Problems. Wir bauen gemeinsam ein System auf und die Revolution, die wir anstreben ist nicht mehrheitlich von Bamar mitgetragen. Das Militär ist mehrheitlich Bamar. Die verschiedenen Ethnien haben eigene Sprachen und Traditionen, sie hatten aber nie eine Plattform um zu sprechen. Beim ersten Putsch hat der Diktator die Tötung verschiedener Führungspersonen der ethnischen Minderheiten veranlasst. Im Volk der Shan, einer thailändisch geprägten Gruppe, gab es den Chao Pha, eine Art König und er wurde ohne Grund getötet. Er war ein sehr gebildeter Mann, der sich für die Entwicklung eingesetzt. Ein Verwandter von ihm ist an der Ausstellung beteiligt.
Aber erschwert diese große Diversität nicht auch das Zusammenleben?
Das könnte sein, aber Sie sehen die Lösung: Sprachgrenzen bestehen, auch hier, in Europa. Die Minderheiten wurden nie gleichberechtigt behandelt, besonders von Seiten des Militärs. Ich bin ethnisch zum Teil Chinesin, bin also keine Bürgerin von Burma. Wäre ich eine Shan, oder gehörte einer anderen Gruppe an, dann wären die Dinge für mich vielleicht ein kleinwenig einfacher. Die Probleme der Rohingya gehören zu den größten, aber auch andere Ethnien scheinen im Ausweis schon auf.
Was treibt Sie als Künstlerin im Exil an? Ihr Leben ist kein einfaches…
Es ist schwer hier in Europa zu überleben, auch, was die Sprache anbelangt. Hier ist auch nicht der Ort an dem ich aufgewachsen bin und eine Erziehung erhalten habe. Ich weiß nicht, wie das System funktioniert und kenne selbst die Regeln der Kunstwelt noch nicht, was ich hier tun sollte und was nicht. Ich muss von Null aus beginnen, aber meine Identität ist jene einer Exilkünstlerin. Wenn ich, wie hier, eine Plattform habe um zu sprechen, dann geht es mir gut. Ich lebe derzeit in Frankreich, wo selbst zu sagen, wer ich bin, sehr schwierig ist. Man spricht dort kaum Englisch. Wenn ich sage, von wo ich bin, wissen viele nicht, wo mein Land liegt. Gibt es politisch aktive Künstlervereinigungen, bei welchen ich über mein Land sprechen kann, dann wissen die wenigsten Bescheid, weil ich nicht Ukrainerin oder Russin bin. Es gibt so viele Schwierigkeiten, wenn man noch einmal am Anfang steht. Es hilft, dass ich Erfahrungen mit Kunst und Reisen gesammelt habe. Ich hoffe, dass meine Nachricht angekommen ist, durch meine Performance, auch wenn ich nicht die Sprache des Ortes gesprochen habe.
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