Wirtschaft | In die Gänge kommen.

Energiewende oder Filmende…

…für unsere wohlstandsverwöhnte Gesellschaft. Die Umstellung von Industrie, Mobilität und Gebäuden auf erneuerbare Energiequellen ist unaufschiebbar.
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  • Das Prinzip der Trägheit gehört zu den Freiheiten, die wir uns nehmen, um unsere Eigenständigkeit als Individuen zu zelebrieren. Ob Hausaufgaben, Bügeln oder Arbeitsberichte: Wir sind es gewohnt, Dinge, die zu erledigen sind, als Termingeschäfte zu betrachten, die bis zuletzt aufgeschoben werden können. Das kann uns auf den Kopf fallen, wenn wir auch bei der Sorgenahme um unseren Lebensraum so handeln. Darauf weisen Klimaexperten wie Georg Kaser immer wieder unermüdlich hin. Noah musste seine Arche ja auch vor der Flut schon gebaut haben. 

    Wind und Sonne statt Öl und Gas

    Wir wissen, dass die stetig steigende Klimaerwärmung es erfordert, einen neuen Weg in der Bewirtschaftung unseres Planeten einzuschlagen. Rund drei Viertel der EU-weiten Treibhausgasemissionen entfallen auf den Bereich Energie (für Industrie, Verkehr, Haushalte u.a.). Um die Klimaziele bis 2030 und Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, will die EU-Kommission das Energiesystem der EU dekarbonisieren. Das heißt, dass traditionelle Energiequellen wie Erdöl und Erdgas sukzessive durch erneuerbare Energiequellen, die vor allem Sonne und Wind nutzen, ersetzt werden. Zudem ist es notwendig, die Energieeffizienz zu verbessern und sparsam mit Energie umzugehen. Auf dem internationalen Symposium von AFB und Europäischem Zentrum für Arbeitnehmerfragen EZA befassten sich vorige Woche in der Brixner Cusanus-Akademie namhafte Fachleute mit der Energiewende, darunter der Klimaforscher Marc Zebisch von der Eurac, Béla Galgóczi vom Forschungsinstitut ETUI des Europäischen Gewerkschaftsbundes, Prof. Harald Bradke vom Fraunhofer-Institut ISI in Karlsruhe und Rudi Rienzner, Geschäftsführer des Südtiroler Energieverbandes. 

    Ehrgeizige Ziele

    Die Energiepolitik ist ein zentraler Baustein des EU-Green Deal, der zur Umsetzung der Ziele der Klimakonferenz in Paris 2015 aufgelegt wurde. Bis 2030 wird eine Emissionsreduzierung um 55% gegenüber 1990 angepeilt, gepaart mit der Steigerung des Anteils an erneuerbaren Energien von 30% auf 42,5% und der Energieeffizienz von 32,5% auf 39%. Für 2040 hat die EU eine Reduzierung um 90% befürwortet. Ab 2050 ist Klimaneutralität die Devise. Dazu ist es erforderlich, ein Gleichgewicht zwischen Kohlenstoffemissionen und der Aufnahme von Kohlenstoff aus der Atmosphäre in sog. Kohlenstoffsenken herzustellen. Zusätzlich zu den natürlichen Kohlenstoffsenken (Böden, Wälder und Ozeane) würden künstliche Kohlenstoffsenken benötigt, um den Prozess der Dekarbonisierung der Energieträger angesichts der drohenden Heißzeiten zu beschleunigen. Da solche noch nicht zur Verfügung stehen, müssen wir auf die verstärkte Nutzung erneuerbarer Energiequellen wie Wasser, Sonne, Erdwärme und Windkraft setzen. 

    Energieerzeugung, Energieverteilung und -nutzung erfolgen weitgehend unter Marktbedingungen. Somit steht dem hehren Ziel der Rettung des Planeten eine mächtige Front an wirtschaftlichen Interessen gegenüber, für die eine Änderung der Rahmenbedingungen mit Investitionsrisiken und deutlichen Profitminderungen verbunden wäre. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass es den in diesem Sektor tätigen Konzernen gelungen ist, für die überaus profitable Tätigkeit seit 1970 riesige Subventionen locken zu machen, sodass Gewinne mit Öl und Gas global von ca. einer Billion US-Dollar erzielt werden konnten. 

    EU will sozialverträglichen Wandel

    Die EU verfolgt das Ziel, den Umstieg auf erneuerbare Energiequellen zu fördern und den Energiemarkt innerhalb der EU so zu gestalten, dass sowohl die Marktmechanismen gewährleistet sind als auch die Versorgungssicherheit und die Leistbarkeit. Das Emissionshandelssystem wird zu diesem Zweck auf den Bausektor und den Straßentransport mit Festlegung jährlich reduzierter Emissionsobergrenzen ausgedehnt. Aus dem Sozialen Klimafonds stellt die EU den einzelnen Staaten Mittel zur Verfügung, um den gesamten Transformationsprozess zu unterstützen und insbesondere die Auswirkungen auf sozial schwächere Bevölkerungsgruppen und Kleinunternehmen abzufedern.

    Viele Rädchen müssen ineinandergreifen

    Es müssen also zwischen politischen Weichenstellungen auf EU-Ebene und in den einzelnen Staaten, technischen Innovationen und der Unterstützung der Neuausrichtung der Unternehmen, der Neuausrichtung von Marktmechanismen, der Sicherung der Versorgungskapazität und der Abfederung der Kosten der Umstellung für Arbeitnehmerhaushalte und sozial Schwächere viele Zahnrädchen ineinandergreifen, damit dieser Wandel gelingt. Damit sind die Faktoren für das Trilemma Klimaziele, Markteffizienz und Sozialverträglichkeit benannt. Das Problem dabei ist, dass der grüne Planet und damit die Nachhaltigkeitsziele nicht an den politischen Verhandlungstischen sitzen und ebenso wenig bei den Vorstandssitzungen der Energiekonzerne und der Finanzplätze Sitz und Stimme haben. Die EU und namentlich Kommissionspräsidentin von der Leyen hat mit dem ER-Green Deal einen mutigen Impuls für eine verantwortungsvolle Klimapolitik gesetzt. Nun scheinen ihr jedoch die Mitstreiter abhanden zu kommen, da die Großparteien im EU-Wahlkampf jeweils die nationalen Interessen und damit die Anliegen der Unternehmen und der Wirtschaftslobby privilegieren, die durch direkte Kontakte auf höchster Ebene, geharnischte öffentliche Stellungnahmen, einseitige Informationskampagnen und Stimmungsmache über die Medien die geballte Einflusskraft auf die politischen Entscheidungen gelten machen. 

    Gewerkschaften in Doppelrolle

    Béla Galgóczi betonte zwar, dass die Spitzenvertreter der Gewerkschaften überzeugte Unterstützer des EU Green Deal sind. Er konnte jedoch keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen benennen, mit denen der EGB oder die Gewerkschaften der einzelnen Länder planen und imstande wären, Druck auf die jeweiligen Regierungen, EU-Rat und EU-Parlament auszuüben, damit die nächste EU-Kommission einen deutlichen Auftrag erhält, die verantwortungsvolle Transformation von Industrie, Mobilität und Gebäuden voranzubringen. Die Gewerkschaften sollten zusammen mit den Umweltverbänden als Fürsprecher der Umwelt und der Zukunftssicherung auftreten und ihre Erfahrung in der politischen Konzertierung mit der Politik und in den Aushandlungsprozessen mit den Unternehmen einbringen. Ihre Aufgabe ist es, die industriellen Transformationsprozesse mit den Unternehmen zu gestalten und dafür zu kämpfen, dass die Versorgung mit erneuerbaren Energiequellen für Arbeitnehmerhaushalte und Rentner:innen leistbar gestaltet wird. Positive Beispiele für Abkommen mit großen Konzernen wie ENI und ENEL gibt es bereits. Das Stahlwerk ILVA in Taranto zeigt hingegen, dass Innovationen auch aufgrund stümperhafter und zögerlicher politischer Manöver steckenbleiben. 

    Anreize, Kompensationen, Investitionen

    Die wissenschaftlichen Erkenntnisse bestätigen eindeutig, dass es keine Alternative zum Ausstieg aus Öl und Gas als Energiequellen gibt. Marc Zebisch hat dies an klimatologischen Daten und an den wirtschaftliche, ökologischen und lebensweltlichen Folgen der Klimaerwärmung veranschaulicht. Prof. Harald Bradke verwies darauf, dass aktuell 80% des globalen Energieverbrauchs auf fossilen Energieträgern beruhen. Der Übergang ins emissionsfreie Zeitalter ist eben erst eingeleitet. Er erklärte, dass mit der Photovoltaik und der Windenergie sehr gute und ausbaufähige erneuerbare Energiequellen zur Verfügung stehen. Was fehlt, sind zielgerichtete und abgestimmte Schritte seitens der EU und der einzelnen Staaten, die notwendigerweise in Abstimmung mit den Unternehmen erfolgen und folgende Elemente beinhalten müssen: Förderungen für die Transformationsprozesse in den Unternehmen, Anreize für Innovationen und Risikobereitschaft, Kompensationen für Schäden, Einkommensunterstützungen und soziale Sicherungen für Arbeitnehmer:innen, Garantien für den erschwinglichen Zugang zu den neuen Energietechnologien für die gesamte Bevölkerung gemäß dem Motto "Keiner wird zurückgelassen". Die EU selbst und die einzelnen Staaten müssen für zusätzliche Investitionen im Infrastrukturbereich und in der Forschung künftig jährlich Finanzierungen im Bereich des EU-Next-Generation-Fund bereitstellen, um dem Prozess die nötige Dynamik zu verleihen. Im Bereich der Energiespeicher sind ebenfalls bereits nutzbare Technologien vorhanden und an in größeren Dimensionen einsetzbaren innovativen Lösungen wird intensiv gearbeitet. 

    Technokratische Verschleierung überwinden

    Günther Gantioler vom Active House Institute Italia konnte ihm nur beipflichten. Er hält die fehlende Entscheidungsfreudigkeit der Politik für die größte Hürde. Tatsächlich ist es so, dass zwischen EU-Bestimmungen, nationalen Gesetzen, unterschiedlichen Ausrichtungen zwischen Umweltgesetzen, Industrieförderung und Bestimmungen im Energiesektor so viele unterschiedliche Ebenen der Regulierung bestehen und ins Spiel gebracht werden können, dass der dringend notwendige Prozess der Neuausrichtung schon auf der Ebene der technischen Mechanismen ins Stocken kommt. Es ist eine gezielte, auf die erwünschten langfristigen Ziele ausgerichtete Steuerung erforderlich. Wir müssen die Trägheit der Verantwortungsverweigerung überwinden und einen großen Schritt von der Aufschubgesellschaft in die Jetztzeitgesellschaft vollziehen. Das heißt, Wissen als Grundlage von Entscheidungen anerkennen, zumal wenn es das xte Mal erbracht und durch Erfahrungswissen bestätigt worden ist, und dann Entscheidungen treffen und durchziehen, die unseren Lebensraum und den der kommenden Generationen langfristig sichern. Anpassungen sind immer möglich und deshalb die Veränderungen der Rahmenbedingungen im Auge zu behalten. Gewerkschaften und Umweltverbände sowie Verbraucherschutzorganisationen müssen laut werden, um den sozialen und umweltpolitischen Anliegen eine Stimme zu verleihen, die von den Gesetzgebern auch gehört wird. Vor allem müssen sie die technokratische Verschleierung der offensichtlichen Fakten aufdecken und der Bevölkerung erklären, dass die Wege in eine lebenswerte nahezu emissionsfreie Zukunft begehbar sind und dafür einfache Zielsetzungen und Forderungen formulieren, die die Menschen an ihre politischen Vertreter:innen adressieren können - am besten noch vor der EU-Parlamentswahl.

     

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Michael Bockhorni So., 26.05.2024 - 09:29

dabei könnten die Gewerkschaften eine wichtige Rolle spielen, damit diese unumgängliche Transformation sozial gerecht verläuft und somit Rechtspopulisten das Wasser abgraben (und somit auch ihre eigene politische Zukunft sichern)

So., 26.05.2024 - 09:29 Permalink
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Salto User
wartl Mi., 29.05.2024 - 18:39

Wir werden am Filz der Reichen mit ihren politischen (EVP, Rechtsaußenparteien) und medialen Handlangern zugrundegehen, die die notwendige Transformation sabotieren.

Mi., 29.05.2024 - 18:39 Permalink