Renzis Plan B
Update: Sie sind zum neuen Symbolbild für die Probleme der europäischen Flüchtlingspolitik geworden: Rund 50 Migranten campierten die zweite Nacht in Folge auf Klippen vor dem italienisch-französischen Grenzübergang in Ventimiglia. Mit wärmender Folie bedeckte Menschen in einer Landschaft, die viele mit unbeschwerten Sommerferien verbinden. Dazu Hunderte von Migranten, die auf Bahnhöfen in Mailand und Rom festsitzen, wo nun nach Protesten von Anrainern gegen die katastrophalen hygienischen Zustände eine Zeltstadt errichtet wird. Symbole für die Festung Europa, Symbole für ein Land, das mit der Flüchtlingsproblematik allein gelassen wird - oder das es auch aus eigenem Versagen nicht schafft, sie in den Griff zu bekommen, wie die Opposition in Rom kritisiert. Zumindest Innenminister Angelino Alfano nahm die Bilder aus Ventimiglia am Montag zum Anlass für ein kräftiges Signal in Richtung Brüssel.
„Le immagini dei migranti sugli scogli a Ventimiglia sono un pugno in faccia all'Europa: quelle persone vogliono andare in Europa, non in Italia e domani quelle immagini me le porterò dietro al vertice dei ministri dell'Interno Ue a Lussemburgo".
Aussagen, mit denen sich Alfano der verschärften Tonart seines Premiers anschließt. „Entweder Europas Asylbestimmung werden endlich verändert oder wir greifen zu einem Plan B, mit dem das restliche Europa wenig Freude haben wird“, droht Matteo Renzi vor dem bevorstehenden EU-Gipfel am Dienstag. Die bessere Verteilung von gerade einmal 24.000 Flüchtlingen, die bei der letzten Zusammenkunft entgegen den Protesten einiger Mitgliedsstaaten beschlossen worden war, bezeichnet Renzi angesichts der nicht endenden Flüchtlingsmassen „fast schon als Provokation“. Zwei der Maßnahmen, die er unter dem Titel „Plan B“ ankündigt: zeitlich befristete Aufenthaltsgenehmigungen, die den Flüchtlingen erlauben würden, sich frei in Europa zu bewegen oder die Verpflichtung für ausländische Schiffe, in internationalen Gewässern aufgegriffene Migranten in ihre Länder zu bringen statt an Italiens Küste an Land zu gehen.
"Situation in Bozen unter Kontrolle"
Am Bahnhof Bozen gibt es indes nach den schwierigen vergangenen Wochen erstmals deutliche Verbesserungen bei der Betreuung und Unterbringung der Flüchtlinge. Auf einem Video von La Repubblica zeigen Helfer die zusätzlichen Räumlichkeiten, die zuletzt auf Bahnsteig 1 zur Verfügung gestellt worden waren. Erstmals gibt es nun mehr Platz und eigene Sanitäranlagen. Positiv ist vor allem eine garantierte medizinische Betreuung durch Helfer des Roten Kreuzes. „Die Situation in Bozen ist dank der guten Zusammenarbeit von Freiwilligen und den Behörden unter Kontrolle“, konnte Quästor Lucio Carluccio am Wochenende bei einem Krisengipfel in Rom entwarnen.
Auch Martha Stocker berichtet von eher rückläufigen Flüchtlingszahlen. Im Durchschnitt würden derzeit etwa 40 bis 50 Menschen in der Aufnahmeeinrichtung am Brenner und etwa 20 bis 30 Personen im Hotel Alpi in Bozen übernachten. Dabei gebe es immer wieder Flüchtlinge, die nicht schlafen und den Bahnhof nicht verlassen wollen, sagt die Soziallandesrätin. "In der vergangenen Nacht war die Situation besonders ruhig: Insgesamt waren es weniger als zehn Personen, die vorübergehend am Brenner und in Bozen übernachtet haben." Laut Stocker haben sich die Befürchtungen und Ängste in Bezug auf die verstärkten Grenzkontrollen rund um den G7-Gipfel in Deutschland also kaum bewahrheitet.
Ob die Lage in Bozen weiterhin so entspannt bleibt, kann angesichts der instabilen Lage schwer vorhergesagt werden. Seit Montag wird an der deutschen Grenze zwar die wochenlange Aufhebung des Schengen-Abkommens beendet, doch die österreichischen Behörden haben angekündigt, ihre „Aktion scharf“ am Brenner weiterhin aufrecht zu erhalten. Und wie sich nun an der französichen Grenze zeigte, kann der Flüchtlingsstrom zumindest außerhalb Italiens jederzeit verlangsamt werden. In voller Übereinstimmung mit der europäischen Gesetzgebung.