Teenager-Tourismus
Artikel von Jenny Cazzola
Es wird viel über nachhaltigen Tourismus diskutiert in Südtirol. Zum Beispiel in Gröden, wo die Vor- und Nachteile der Austragung der alpinen Ski-WM 2029 zur Debatte stehen. Eine Umfrage dazu läuft gerade.
Aber auch beim heurigen Sustainability Festival der unibz ist nachhaltiger Tourismus Thema. Auf dem Programm stehen ein Vortrag von Elide Mussner. Die studierte Sprachwissenschaftlerin hat über ein Jahrzehnt lang im Tourismus gearbeitet und ist seit 2020 Gemeindereferentin von Abtei, wo sie unter anderem für die Themen Jugend, Nachhaltigkeit und Tourismus verantwortlich ist. Salto.bz hat ein Interview mit ihr geführt.
Sehr geehrte Frau Dr. Mussner, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Teasern Sie Ihren Vortrag kurz an: Worum wird er sich drehen?
Mussner: Wenn es um Nachhaltigkeit im Tourismus geht, dann hat sich in Südtirol in den letzten Jahren, viel getan. Der Tourismus will nachhaltig sein! Viele schöne Slogans, Nachhaltigkeitsstrategien und Konzepte sind entstanden. Wenn es jedoch darum geht konkret zu handeln, Verantwortung zu übernehmen, Grenzen zu erkennen und zu setzen, dann ist die Empörung gleich groß. Unser Landestourismus steckt in einer Identitätskrise: Auf der einen Seite die Touristenströme, auf der anderen Seite die Vision einer exklusiven Destination. Es ist an der Zeit, erwachsen zu werden: raus aus dem Teenager-Alter hin zur Verantwortung. Nachhaltigkeit ist Wahrheit. Nachhaltigkeit ist Selbstkritik. Nachhaltigkeit ist eine Lebenshaltung, keine Marketingstrategie.
Warum ist nachhaltiger Tourismus so wichtig?
Mussner: Der Tourismus ist der drittstärkste ökonomische Sektor unseres Landes, das heißt, dass die TouristikerInnen eine große Verantwortung haben, wenn es um die wirtschaftliche Zukunft von Südtirol geht. Jedoch ist natürlich nicht nur ein nachhaltiger Tourismus wichtig, unsere ganze Wirtschaft sollte nachhaltig gestaltet werden! Es geht dabei gar nicht um eine abstrakte Instanz, wie die Nachhaltigkeit sehr oft empfunden wird, es geht letztendlich darum, wie wir unsere Wirtschaft am besten gestalten können, damit sie auch in Zukunft handlungsfähig und erfolgreich sein kann. So wie bisher, wird es wohl nicht mehr lange laufen können, wir stecken tief in einer Klimakrise und in einer Identitätskrise unseres Wirtschaftssystems. Nachhaltigkeit heißt im Einklang mit der Gesellschaft und der Umwelt zu handeln, damit die Wirtschaft funktionieren kann.
Der Tourismus hat sich in den letzten Jahren sehr stark entwickelt, dabei ist er hie und da in eine Schieflage geraten, die Richtung Masse und Ausbeutung unserer Umwelt, zieht. Diese Schieflage heißt es rechtzeitig – also jetzt – zurechtzurücken, damit das Gleichgewicht wieder hergestellt werden kann.
Welchen Bezug haben Sie persönlich zu dem Thema?
Mussner: Ich bin in Gröden aufgewachsen, mit meiner Familie lebe ich im Gadertal. Zwei touristische Hochburgen. Ich habe erlebt, wie sich der touristische Boom auf meine Heimat ausgewirkt hat. Der Platz wurde immer weniger, die Touristen immer mehr, die Häuser immer teurer, die Natur immer bedrohter, die Menschen immer gestresster. Ja, der Tourismus hat viel Gutes gebracht, hat unseren Wohlstand gesichert, unsere Gemeinden bereichert, dank dem Tourismus ist vieles möglich gewesen, dass ohne Tourismus vielleicht nicht möglich gewesen wäre. Aber: die Grenze zwischen gut genug und zu viel ist sehr subtil, diese Grenze gilt es nun zu erkennen und einzuhalten. In vielen Bereichen ist diese Grenze schon überschritten, wenn es zum Beispiel um die Immobilenspekulation und den Bodenverbrauch in unseren Tälern geht. Die jungen Menschen können es sich nicht mehr leisten, in der eigenen Heimat zu wohnen. Ist das nicht eine Alarmglocke? Oder wenn es um neue Aufstiegsanlagen geht, auch da gilt es eine Grenze zu erkennen und zu ziehen: so weit so gut, aber nicht mehr! Ich denke dabei zum Beispiel an das Gespenst der Verbindung Seiser Alm-Monte Pana in Gröden. Oder aber auch, wenn es darum geht Infrastruktur am Berg zu bauen: ist es in Ordnung, dass wir unsere Berge als Freizeitpark, gestalten? Ich glaube darüber ist dringend eine sorgfältige Diskussion notwendig, denn da geht es ausschließlich um die Produktifizierung der Natur, und das ist, meiner Meinung nach, nicht mehr in Ordnung. Dahinter steckt einfach kein nachhaltiger Gedanke.
Eigentlich geht es mir darum, den Tourismus, unseren Kindern zuliebe, zukunftsfähig zu gestalten, dem Tourismus ein positives Image zurückzugeben, damit auch die zukünftigen Generation damit Freude haben können.
Ein Freund von mir sagt immer: “Eigentlich geht es bei Nachhaltigkeit um Hausverstand, man muss erkennen was sinnvoll ist und was nicht.” Ich füge hinzu, dass es auch um Demut und gegenseitigen Respekt geht. Wir sollten uns immer fragen, ob unsere Handlungen nicht irgendjemandem, Mensch oder Umwelt, schaden. Falls wir uns der Antwort nicht ganz sicher sind, sollten wir es lieber sein lassen.
Was erwarten Sie sich von der Diskussion, die an Ihren Vortrag anschließt?
Mussner: Ich freue mich schon darauf! In diesem Moment ist die offenen Diskussion unglaublich wichtig. Wir wissen alle, dass es Nachhaltigkeit braucht, aber Nachhaltigkeit ist nun mal ein sehr komplexes Thema. Es fehlt sehr oft an Know-how, wir verstehen und haben auch die Möglichkeit nicht, viele wichtige Zusammenhänge zu erkennen, die uns helfen würden, wahre Nachhaltigkeit zu fördern. Genau deswegen ist der Austausch so wichtig. Wir müssen uns gegenseitig helfen. Die Menschen, wir selber, brauchen Informationen, um verstehen zu können. Wenn ich mit den Menschen über Nachhaltigkeit spreche, dann merke ich wie viel Aufklärungsarbeit noch notwendig ist. Es geht ja nicht nur darum, ein Benzinauto mit einem E-Auto auszutauschen, oder bei Veranstaltungen statt Plastikbesteck, Bambusbesteck zu benutzen. Es geht um viel, viel mehr! Es geht darum den Gedankengang zu wechseln, und da hilft nur Sensibilisierung, Information, Weiterbildung.
Ich erwarte mir also viele kritische Ideen und Meinungen und einen offenen, ehrlichen und konstruktiven Austausch.
Der Vortrag „Nachhaltiger Tourismus – Marketing oder Überzeugung?“ von Elide Mussner findet morgen Donnerstag, 9. Juni 2022 um 14:00 Uhr im Raum F0.01 der Freien Universität Bozen statt. Anschließend folgt um 15:00 Uhr ein Impulsvortrag von Judith Hafner und Manuela Prantner vom Südtiroler Netzwerk für Nachhaltigkeit mit dem Titel „17 Ziele und die Wahrheit“. In den Augen des Netzwerkes für Nachhaltigkeit sind die Nachhaltigkeitsziele ein Filter der Wirklichkeit, der aufzeigt, „was in unserer Gesellschaft, unserem Wirtschafssystem und unserem Alltag zukunftsfähig ist und was nicht.“
Die drei Referentinnen werden der Frage nachgehen „Welche Illusionen wir loslassen müssen und welche Weichen uns die Zukunft mit Dringlichkeit stellt“. Das Publikum ist eingeladen mitzudiskutieren und sich einzubringen.
Nur ganz wenige Jugendliche,
Nur ganz wenige Jugendliche, die zu ihren Studienzeiten ein recht vernünftiges Verständnis für die Umwelt und die sozialen Angelegenheiten haben, lassen sich beim Eintritt in den Beruf, trotz des Misstrauens und der damit verbundenen schrierigeren Aufstiegsmöglichkeiten, von ihrer Gesinnung abbringen.