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Ein halbes philosophisches Quartett

Philosophische Schwergewichte in Toblach: Peter Sloterdijk im Gespräch mit Manfred Osten.
Manfred Osten und Peter Sloterdijk im Spiegelsaal des Grand Hotel
Foto: Foto: Salto.bz

Die diesjährige Ausgabe der Festspiele Südtirol hat es geschafft den deutschen Philosophen und Kulturwissenschaftler Peter Sloterdijk nach Toblach zu locken. Im Gespräch mit dem renommierten Autor und Historiker Manfred Osten wurden am Sonntag im Grand Hotel Toblach die Krisenszenarien des 20. Jahrhunderts besprochen. „Zwei hochkarätige Bühnenstars; ein halbes philosophisches Quartett“ nennt sie Hubert Stuppner, künstlerischer Direktor der Festspiele Südtirol, in Anspielung an Sloterdijks ehemalige ZDF-Show.

„Manfred Osten soll dem Weisen seine verborgene Weisheit entlocken“, verkündet Stuppner in der Eröffnungsrede. Ein Horaz-Zitat gleich zu Beginn: ein gewisses rhetorisches Niveau wird erwartet. Doch während Osten in seiner Fragestellung auf die philosophische Fachsprache aus Sloterdijks Büchern zurückgreift und die Abstraktion des Gesprächs in transphilosophische Höhen zu treiben versucht, bleibt der Sloterdijk mit seinen Antworten auf dem Boden der Verständlichkeit.

 

 

Bereits die erste Frage nimmt den Verlauf des folgenden Gesprächs vorweg: Im Fokus stehen nicht die Krisen selbst, sondern die verzweifelte Suche nach Lösungen und Veränderung.

Woher kommt die Ratlosigkeit gegenüber der Krisen unserer Zeit?, fragt Osten. Und wie könnte Sloterdijk anders, als die Suche nach einer Antwort beim frühesten Dichter des Abendlandes zu beginnen? Homer hat Odysseus mit bestimmten Fähigkeiten ausgestatten, die ihn dazu befähigen alle Krisen zu überwinden. Eine dieser Eigenschaften ist polymechanos, die List und der Einfallsreichtum, ein Begriff aus dem nicht zufällig das Wort Maschine entspringt. Sloterdijk holt aus, geht tausende von Jahren zurück, spricht über Geschichte und Fiktion als wären sie ein und dasselbe, um anschließend das europäische Denken unserer Zeit auf die Geschichte des Maschinen Begriffes zurückzuführen: Maschinen lösen Probleme. Dabei scheut der Denker nicht davor zurück, seine Vermutung zu äußern, dass wir Menschen noch nicht intelligent genug seien, jene Probleme zu lösen, die wir selbst erschaffen haben.

Sloterdijks Vortrag kennzeichnet sich durch wilde Zeitsprünge: mittelalterliche Sprichwörter, antike Anekdoten und Goethe-Zitate um unser Weltbild schlüssig zu erklären? Doch zu Verwunderung aller Sloterdijkkenner, schafft es der Philosoph in Toblach, trotz kreativer und unterhaltsamer Analogien, den roten Faden beizubehalten. Die besprochenen Krisen gehen dabei über jene des 20. Jahrhunderts hinaus: Von der Industrialisierung über die Digitalisierung bis hin zur globalen Ethik. Letzteres Konzept soll einen Lösungsansatz für jegliche Krisen darstellen, genau erläutert wird das Konzept jedoch nicht. Wer mehr wissen will muss wohl Sloterdijks neuestes Buch kaufen. Aber Achtung: Wissen ist Kaviar.

 

 

Einen besonderen Fokus setzt der Philosoph auf Umweltkrisen und den Klimawandel. Ungewohnt pragmatisch geht er an das Thema heran, benennt Auslöser, Folgen und Lösungsansätze. Kritisch äußert er sich gegenüber der „Pullover-Partei“, die der Bevölkerung vorschlägt im Winter keine Heizung zu benutzen und stattdessen einen Pullover mehr anzuziehen. Denn wer die Emissionen von zentraleuropäischen Heizungen im Winter mit jenen von offenen Feuerstellen tagtäglich in der ganzen Welt vergleicht, erkennt die Diskrepanz zwischen dem lokalen und globalen Einsatz gegen CO2 Emissionen. Und nein, gemeint ist nicht die sonntägliche Grigliata des Nachbarn, sondern die Großfeuerungsanlagen und Feldabbränden.

In starker Anlehnung an sein Werk Kritik der zynischen Vernunft, eines der meistverkauften philosophischen Werken des 20. Jahrhunderts, zeichnet Sloterdijk ein düsteres Bild der modernen Konsumgesellschaft: Die traurige Gleichsetzung von leben mit konsumieren und expandieren, erklärt er mit einer unterhaltsamen Anekdote. Der ganze Saal lacht.

Sooft Sloterdijk als elitär verurteilt wurde, so bescheiden gibt er sich in Toblach: Luxus- und Kapitalismuskritik vor einem Publikum das im Grand Hotel seinen wertvollsten Perlenschmuck und die teuersten Uhren zum Kulturausflug ausführt.

Das Evangelium unserer Informationskirche ist der Konsumzwang

Ein wenig überraschend kommt Sloterdijks Blick auf das Krisenszenario der Flüchtlingssituation. Während er vor wenigen Jahren noch starke Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik ausübte, Grenzen und Nationalstaaten lobte und ihm die Verbreitung von identitärem Gedankengut nachgesagt wurde, betont er im Gespräch mit Osten mehrmals, dass Migration die Grundbewegung der Menschheitsentstehung sei und nennt den Moment der Sesshaftwerdung des Menschen vor 8.000 Jahren „eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte“.

 

Ob es an der Müdigkeit von der langen Reise nach Toblach oder an seinem 70. Geburtstag liegt ist unklar, der Philosoph gibt sich jedoch erstaunlich gemäßigt: Provokationen wie jene des Aufrufs zum Wahlboykott, die bedenkliche Verwendung der Begriffe Selektion und menschliche Züchtung und ein umstrittenes Werk über den weiblichen Orgasmus scheinen der Vergangenheit anzugehören.

Aber genau dort liegt die Faszination an Sloterdijk: Er kann weder politisch noch ideologisch genau verortet werden und bietet eine Philosophie abseits des schwarz-weiß-Denkens.

Vielseitig und unberechenbar ist er auf jeden Fall: Während des eineinhalbstündigen Vortrags hat er das Publikum immer wieder zum Lachen gebracht - zum Abschluss spricht er dann von Mordraten und Sterblichkeit und verwandelt das Publikum in eine Trauergemeinschaft. Schmunzelnd beendet er das Gespräch mit einem Zitat von Heiner Müller (Max Messner): „Optimismus ist nur ein Mangel an Information“.