Sport | Taktikanalyse

Den Gegner ausgeguckt

Der FC Südtirol gewinnt gegen Reggiana 3:1. Trainer Valente und sein Team haben die Schwächen des Gegners perfekt analysiert und die richtigen Schlüsse gezogen: Standardsituationen und intensives Verteidigen waren der Schlüssel zum Erfolg
Federico Valente vor dem Spiel gegen Reggiana
Foto: Ufficio Stampa FCS - Foto Bordoni
  • Zwei Niederlagen, vier Gegentore und nur ein erzieltes Tor. Das war die Bilanz des FC Südtirol vor der Länderspielpause am letzten Wochenende. Eine Bilanz, die erst einmal aufschrecken lässt. Denn eigentlich schien der FC Südtirol defensiv gefestigt, eigentlich schien die Offensive zu Saisonauftakt ihre Durchschlagskraft zurückgewonnen zu haben. Eigentlich. Denn Valentes Mannschaft ließ in diesen beiden Spielen vor der Länderspielpause vor allem eines vermissen: die Intensität. Die ist Grundvoraussetzung für effektives Pressing (= Defensivarbeit), aber auch unbedingt notwendig für erfolgreiche Offensivaktionen. 

  • Die Grundausrichtung Südtirols: Altbewährtes und Altbekanntes

    So setzte Valente gegen Reggiana wieder auf altbewährtes: Tiefes Mittelfeldpressing, den Gegner nach außen leiten und kompakt verschieben. Vorne diente Raphael Odogwu als Relay Station, als Anspieloption, um (meist lange) Bälle festzumachen und zu halten, damit seine Mitspieler nachrücken konnten. 3-4-2-1, das defensiv häufig zum 5-4-1 wurde. Odogwu kümmerte sich um den gegnerischen Sechser, Leo Štulac, der sich vor der eigenen Abwehr bewegte, um das Spiel aufzubauen.

    Der FCS hatte zwar zu Beginn einige längere Ballbesitzphasen, dabei offenbarten sich allerdings die bekannten Probleme: Wichtige Zonen wurden nicht besetzt, die Mannschaft war quasi zweigeteilt – das kennen wir ja inzwischen. Und so kam es den Gästen gut gelegen, dass sie durch ein Traumtor von Molina früh in Führung gehen konnten. Effektives Spiel mit dem Ball war nicht mehr unbedingt erforderlich, jetzt musste Reggiana mehr fürs Spiel tun – Südtirol konnte noch tiefer verteidigen und auf seine Chancen warten. 

  • Der FCS in Ballbesitz: Das Mittelfeld ist nicht besetzt, der Zwischenlinenraum (gelb) verwaist. Foto: SALTO
  • Wie Valente seinem Team zu Torchancen verhelfen wollte, wurde sehr schnell – nach dem ersten Eckball für Südtirol – klar. Standardsituationen.

    Das Trainerteam hatte Reggiana gut analysiert und offenbar eine Schwachstelle bei Standardsituationen ausgemacht. Reggiana verteidigt bei Eckbällen oder (indirekten) Freistößen – wie so viele Mannschaften – im Raum. Das heißt, es werden nicht direkte Gegenspieler manngedeckt, sondern gefährliche Zonen besetzt. Gefährliche Zonen sind in erster Linie jene im Strafraum und in Tornähe. Aber nicht nur.

  • Raum > Ball

    Die wichtigste Zone im Fußball ist der 10er-Raum. Die Vorteile, die sich durch dessen konsequente Besetzung ergeben, haben wir ausführlich analysiert. Die Nachteile, wenn man diesen Raum ignoriert, ebenfalls. Genauso wichtig und räumlich an den 10er-Raum anschließend ist der so genannte „Rückraum“. Das ist jener Raum, der sich öffnet, wenn die verteidigende Mannschaft tief in den eigenen Strafraum zurückfallen musste. Etwa, wenn die angreifende Mannschaft bis zur Grundlinie durchstoßen konnte, oder eben bei Eckbällen. Reggiana besetzte diesen Raum nicht oder nicht ausreichend. Das hatte Valentes Trainerteam offenbar erkannt und die Südtiroler darauf eingestellt.

  • Eckball für den FC Südtirol: Reggiana verteidigt im Raum, ignoriert allerdings die beiden Spieler im Rückraum (gelb). Foto: SALTO
  • Die 2:1-Führung für Südtirol durch Tommaso Arrigoni war so eine Standardsituation, bei der zuerst eine Variante (ein schema) für Molina gespielt wurde, der auf flachem Zuspiel durch Casiraghi in eben diesem Rückraum zum Schuss kam. Dieser Schuss wurde geblockt, wenige Sekunden später kam Arrigoni etwas seitlich versetzt ebenfalls zum Abschluss. Dieses Mal landete der Ball im Tor.

  • Freistoßvariante des FCS: Molina und Arrigoni (gelb) positionieren sich im Rückraum. Zuerst kommt Molina zum Torschuss (geblockt), danach Arrigoni (Tor zum 2:1). Foto: SALTO
  • Reggiana wechselte zur Halbzeit positionsgetreu Fiamozzi für Sampirisi ein, der wichtigere Wechsel war allerdings 10 Minuten später, als Okwonkwo für Vido kam. Okwonkwo besetzte nun die Sturmspitze und ermöglichte Cedric Gondo, sich in den Zwischenlinienraum zurückfallen zu lassen. Mit diesen Bewegungen Gondos hatte Südtirol seine Probleme, vor allem die Innenverteidigung um Kofler und Ceppitelli. Sie waren jetzt oft vor die Wahl gestellt: Gondo verfolgen oder sich mit der restlichen Abwehrkette zurückfallen lassen. 

  • Ballbesitz Reggiana: Gondo lässt sich in den Zwischenlinenraum fallen (gelb) und stellt seinen direkten Gegenspieler (hier Kofler) vor die Wahl. Entweder verfolgen oder in der Abwehrkette bleiben. Foto: SALTO
  • Diese schwierige (und undankbare) Situation für Südtirols Innenverteidigung sorgte dafür, dass der FCS über 10-15 Minuten in und um den eigenen Strafraum eingeschnürt wurde. Es gelang den Südtirolern nicht mehr, sich zu befreien. Auch, weil Tait, Casiraghi und Odogwu müde wurden. Valente erkannte das aber und wechselte die Drei aus. Die Neuen, allen voran Mateusz Praszelik, brachten wieder etwas mehr Frische und Entlastung ins Südtiroler Spiel. Mateusz Praszelik gelang folgerichtig dann der Treffer zum 3:1 (77. Minute). Damit war die Moral der Gastgeber gebrochen und Südtirol brachte die Führung über die Runden.