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Kultur | Schule / Bildung

Die Rücken der Kinder

Die Lehrer*innen protestieren – und ganz Südtirol ist in Aufruhr. Die Gedanken eines Oberschullehrers.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Expeerience Reise
Foto: papperlapapp
  • Zu Schulbeginn sind die Rücken unserer Kinder wieder ins öffentliche Interesse gerückt. Nicht etwa, weil sie täglich Schultaschen schleppen, die gefühlt die Hälfte ihres Körpergewichts wiegen – obwohl auch das ein Problem wäre, das man endlich angehen sollte. Nein, diesmal geht es darum, was die „böse“ Lehrerschaft im heurigen Schuljahr im Schilde führt und – wie man gebetsmühlenartig hört und liest – auf den Rücken der Kinder austrägt.

    Nach jahrzehntelangen leeren Versprechungen hat die angeblich rücksichtslose Lehrer*innenschar nämlich mit überwältigender Mehrheit beschlossen, im laufenden Schuljahr unter anderem keine unterrichtsbegleitenden Aktivitäten mehr durchzuführen. Ein drastischer Schritt – aber einer, der notwendig scheint, nachdem alle bisherigen Maßnahmen kaum Wirkung zeigten.

    Der öffentliche Aufschrei ist groß. Wohl genau jene, die solche Fahrten früher als „feine Zeit“ oder gar „Urlaub“ für Lehrpersonen belächelt haben, empfinden deren Streichung nun als unverschämt – ja fast schon traumatisch für Kinder und Jugendliche. Wenn sich Wirtschafts- und Kulturschaffende empören, hat das wohl andere Gründe: Sie erkennen plötzlich, dass Schule auch wirtschaftlich und kulturell eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt.

    Natürlich ist der Verzicht auf unterrichtsbegleitende Tätigkeiten ein Nachteil für die Schüler*innen. Doch der langfristige Schaden wäre wohl größer, wenn die Lehrpersonen weiterhin schweigend hinnähmen, was seit Jahrzehnten im Bildungssystem schiefläuft. Denn wenn die Babyboomer in wenigen Jahren in Pension gehen und junge, gut ausgebildete Lehrkräfte ins Ausland abwandern – oder gar nicht erst zurückkehren –, droht dem Unterricht eine Qualitätseinbuße, die sich nicht mehr schönreden lässt. Und selbst die Hoffnung, dass ein allseits bekannter Journalist als Supplent einspringt und den Karren nochmals aus dem Dreck zieht, ist dann vergebens – denn auch er wird seinen Ruhestand genießen wollen.

    Viele Lehrpersonen haben diese Aktivitäten bisher aus Überzeugung und mit großem Engagement durchgeführt – freiwillig und trotz kontinuierlicher Kürzungen der Außendienstbudgets. Man hat sich mit Schüler*innen in die einfachsten Spelunken einquartiert, in denen einem die Wanzen aus der Matratze entgegenkrabbelten, weil die Schüler*innen sich keine bessere Unterkunft leisten konnten bzw. wollten und selbst erwachsene Schüler*innen rund um die Uhr beaufsichtigt werden müssen. Man hat Nächte auf dem Burgerhof in Prags in einem Schlafsaal mit über zwanzig pubertierenden Teenies verbracht, hat in den Semesterferien Sprachaufenthalte organisiert, mit 70 bis 80 Jugendlichen, und sich mit einem Mini-Dachzimmer bei einer Gastfamilie begnügt, das Bad mit drei Student*innen geteilt, und aus Solidarität mit den Schüler*innen das trockene Mittags-Sandwich verdrückt – sofern diese es nicht vorher den Obdachlosen geschenkt haben, weil es ihnen nicht schmeckte.

    Und all das den Schüler*innen zuliebe - und um das Schulbudget nicht zu sprengen.

    Wenn nun von einer „Verdoppelung“ der Begleitzulage die Rede ist, klingt das zunächst gut. Doch die Zahlen, die man in der Presse liest, sind meist die großen – nicht die kleinen. Die Realität: Bis dato beträgt die Begleitzulage 2,80 € brutto (in Worten: zwei Euro achtzig)– pro Stunde, und das erst ab der vierten. Aus fast nichts wird ein bisschen was. Dafür ist man rund um die Uhr verantwortlich: Man begleitet Schüler*innen ins Krankenhaus, holt Medikamente, geht zur Polizei, wennn sie bestohlen werden, oder holt sie dort ab, wenn sie was angestellt haben, geht mit ihnen zur Botschaft, wenn sie den Ausweis verlieren, tröstet sie bei Heimweh und sonstigen Wehwehchen und schlägt sich die Nächte um die Ohren. Und bekreuzigt sich, wenn alle gesund und munter zurück sind.

    Bleibt zu hoffen, dass diese Maßnahmen endlich Wirkung zeigen – und die Lehrpersonen sich wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können: den jungen Menschen eine gediegene Ausbildung und Orientierung zu geben – mit oder ohne Lehrfahrten. Und ihnen damit den Rücken zu stärken, damit sie die Lasten, die künftig auf ihren Schultern liegen werden, tragen können.