Umwelt | Gastbeitrag

Das zweite Wunder von Mals

Ist der Malser Weg gescheitert? Nein, der Malser Weg ist der richtige Weg in die Zukunft. Herzlichen Glückwunsch zum 10. Geburtstag! Wir sind mehr als Ihr glaubt.
Mals 2014
Foto: Umweltschutzgruppe Vinschgau
  • Es war der Wallfahrtsort zahlreicher Menschen und Institutionen nicht nur aus Europa. Das Modell der „Pestizidfreien Gemeinde Mals“ wurde zur Hoffnung vieler, denen eine zukunftsfähige Entwicklung am Herzen liegt. Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen, Filme, journalistische Beiträge, Tagungen mit hochrangigen Redner:inne, Exkursionen, Workshops und Kulturveranstaltungen folgten der Gründung der Bürgerbewegung „der Malser Weg“ im Jahr 2013 . 
    Die Pionier:innen konnten nicht ahnen, dass ihr legitimes Anliegen eines gesunden Lebens in den Folgejahren einen unvergleichbaren Kampf der mächtigen Agroindustrie und ihrer politischen Lobby lostrat. Verbale und physische Bedrohungen und Attacken, Verunglimpfungen und existenzbedrohende Gerichtsprozesse waren die Antworten dieser Macht.

    Der Vinschgau war und ist, wie viele landwirtschaftliche Zonen Südtirols, trotz seiner Höhe, seit den 1980er Jahren von agroindustriellem Apfel-Anbau geprägt, welcher mit hohem Pestizideinsatz verbunden ist. Der ständige Höhenwind in diesem Gebiet führt zu einer nicht kontrollierbaren Abdrift und Verbreitung. Eindrücklich wird dies dargestellt im Film „Das Wunder von Mals“ (2016). Das Ausmaß des Pestizideinsatzes wurde erst jüngst dokumentiert. Die Auswertung der „Giftbücher“ bestätigt, dass von März bis September täglich gespritzt wird. Eine Studie der Universität Kaiserslautern vom Mai 2024 fand heraus, dass 45% der Spielplätze in der Nähe von intensiv bewirtschafteten Flächen in Südtirol mit Pestiziden belastet sind. 

  • Foto: Umweltinstitut München
  • „Verbale und physische Bedrohungen und Attacken, Verunglimpfungen und existenzbedrohende Gerichtsprozesse waren die Antworten dieser Macht.“

     

    Zur Erinnerung: Das wachsende Bewusstsein der Bevölkerung des Obervinschgau für die gesundheitlichen Belastungen durch den starken Pestizideinsatz führte bereits am Ende der 1990er Jahre zu zahlreichen Veranstaltungen und Initiativen. Mit großer Beteiligung führte die 2013 gegründete Bürger:innenbewegung „Der Malser Weg“ im Jahr 2014 ein Bürger:innenbegehren für eine pestizidfreie Gemeinde durch, welchem 76% der teilnehmenden Bürger:innen (bei 70% Wahlbeteiligung) zustimmten. Pestizidfreiheit wurde als Primärziel zur Sicherung der Gesundheit benannt. Darüber hinaus aber fokussiert sich der Malser Weg auf eine ökologische, soziale, ökonomische, politische und kulturelle Transformation unter starker Einbeziehung der lokalen Bevölkerung. 

    2016 wurde als wirtschaftlicher Arm der Bewegung die Bürger:innengenossenschaft Obervinschgau gegründet. Die Vielfalt der Potentiale und Ressourcen des Tals, wird mit dem Ziel der Stärkung der regionalen Kreisläufe und lokalen Wertschöpfung eingesetzt. Die Bürger:innengenossenschaft ist heute tätig in den Bereichen Land- und Forstwirtschaft, wo sie die Umstellung auf nachhaltige biologische Wirtschaftsweise unterstützt, im Handwerk, in dem sie Vernetzung und neue Produkte fördert, im Bereich Handel und Dienstleistung, in Tourismus und Gastronomie, in Bildung und Kultur, in Forschung und Innovation, in der Regional- und Dorfentwicklung und im Bereich Soziales. Sie betreibt Märkte, eine Dorfsennerei, ein Kulturcafé und ein Streuhotel. 

  • Foto: Wunder von Mals
  • „Sollen nun die mächtigen Gegner den Kampf von David gegen Goliath gewonnen haben?“ 

     

    Und nun? Im Februar 2024 hat der Italienische Staatsrat „im Namen des Volkes“ die Umsetzung des Bürger:innenbegehrens von 2014 durch die Gemeinde Mals, welche eine Abstandsregelung von 50 Metern zu Pestizideinsätzen vorsieht, für unzulässig deklariert. Sollen nun die mächtigen Gegner den Kampf von David gegen Goliath gewonnen haben? 

    Nach vielen Jahren des Kampfes sind die Pionier:innen des Malser Weges müde. Einige haben sich zurückgezogen, was angesichts der Heftigkeit der Konflikte verständlich ist. 

    Doch Konflikt ist, wie wir aus der Geschichte wissen, das Feuer unter dem Kessel der Demokratie (Saul Alinsky). Trotz oder auch wegen des Entstehungshintergrundes im Konfliktszenarium hat der Malser Weg auch durch die Unterstützung zahlreicher namhafter Akteur:innen von außen, z. B. dem bayerischen Umweltinstitut, dem oekom Verlag sowie verschiedener Universitäten und Wissenschaftler:innen aus dem deutschsprachigen und internationalen Raum eine starke Position in Diskursen um Modelle der Nachhaltigkeit erlangt und genießt Bewunderung seitens der Gruppierungen mit vergleichbaren ökosozialen Interessen. Auch in Buch- und Filmdokumentationen sowie in Universitätsseminaren spielt Mals und das, wofür es steht, eine große Rolle. 

  • „Nach dem Besuch einer Gruppe von Agrarökolog:innen des Green Mountain College in Vermont (New England) in Mals, haben diese das Modell Malser Weg in einem Dorf kopiert.“ 

     

     

    Es gibt mittlerweile auch ein zweites Wunder von Mals: Nach dem Besuch einer Gruppe von Agrarökolog:innen des Green Mountain College in Vermont (New England) in Mals, haben diese das Modell Malser Weg in einem Dorf kopiert. 
    Ist der Malser Weg gescheitert? Nein, der Malser Weg ist der richtige Weg in die Zukunft.
    Herzlichen Glückwunsch zum 10. Geburtstag! Wir sind mehr als Ihr glaubt!

     

    Susanne Elsen, Brixen; Miriam Zenorini, Milland; Isidor Wallimann, Basel; Horst Stuffer, Vahrn; Brigitte Ferdigg, Mühlbach, Maxi Obexer, Felthurns; Niklas Klinge, Pinzagen; Franz Linter, Brixen; Oscar Kiesswetter, Kaltern

     

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Profil für Benutzer Thomas Strobl
Thomas Strobl Di., 15.10.2024 - 23:02

Manche meinen, Sieger und Verlierer kann man nicht velwechsern - werch ein illtum. (Frei nach Ernst Jandl) Dank und Gratulation den Wunder-Bürger*innen von Mals, schade um die verlorene Zeit bis dahin, da die Zeit erweisen wird, dass ihr der Zeit voraus, nein, eigentlich auf der Höhe der Zeit wart.

Di., 15.10.2024 - 23:02 Permalink