Gesellschaft | Leistungssport

Auf dem Siegertreppchen des Lebens

Wie weit sollen, dürfen Eltern gehen, die ihren Nachwuchs im Wettkampfsport unterstützen wollen? Was ist mit Doping? Ein Gespräch mit Sportpsychologe Martin Volgger.

Welche Unterstützung brauchen junge Menschen, die im Leistungssport bestehen wollen? Und von wem? Der Fall Taschler wirft die Frage auf, wie weit Eltern und Betreuer gehen dürfen, um dem Nachwuchs die bestmöglichsten Chancen auf Erfolg zu garantieren. Martin Volgger ist Sportpsychologe, Mentaltrainer und Lehrer in Sterzing. Er betreut Kinder und Jugendliche, die Wettkampfsport betreiben und ihre Eltern. Im Gespräch mit salto.bz erzählt er von pushenden Eltern, verbotenen Substanzen und was im Sport wirklich zählt.

Herr Volgger, wieviel Unterstützung brauchen Kinder und Jugendliche, die Wettkampfsport betreiben, von ihren Eltern?
Martin Volgger: Es ist wirklich wichtig, dass Kinder und Jugendliche im Wettkampfsport begleitet werden, in erster Linie weil der Wettkampf in Verbindung mit dem Schulalltag eine riesige Herausforderung für die jungen Menschen ist. Wenn zu wenig auf sie geschaut wird und die Erwartungshaltungen viel zu hoch sind, dann erzeugt das einen enormen Stress. Und daran können die jungen Menschen zerbrechen.

Ist es nicht häufig so, dass sich Erwachsene – Eltern und Trainer – über den Erfolg der Schützlinge selbst identifizieren? Etwa nach der Art “Der Erfolg des Kindes ist mein eigener Erfolg”? Und dabei auf die Bedürfnisse der Kinder vergessen?
Klar, der Erfolg der Betreuten ist immer auch der Erfolg der Trainer. Gefährlich wird es, wenn Eltern und Trainer die Kinder aufgrund von eigenen nicht erreichten sportlichen Zielen zu pushen versuchen. Denn dann beginnt das Schreien und Zerren, und das Leiden. Die Bedürfnisse der Kinder werden dabei gern übersehen, zum Beispiel wenn ein Kind anfangs viel und gern Sport macht und sich dann für einen anderen Weg entscheidet, kann in den Eltern das Gefühl aufkommen, versagt zu haben und sie leiden. Und mit ihnen die Kinder.

Im Elternhaus muss sich die Frage gestellt werden: Wie stehen wir zu Leistung?

Ist Ihnen schon passiert, dass Eltern Sie um leistungssteigernde Substanzen für ihre Kinder gebeten haben?
An mich sind derlei Anfragen bisher nicht herangetragen worden. Dabei muss man auch sagen, dass wahrscheinlich nicht so offen über Doping geredet wird – es ist ein heißes Thema, weil ja auch strafrechtliche Konsequenzen drohen. Darüber hinaus, wenn Eltern mit ihrem Nachwuchs zum Sportpsychologen kommen, dann meist, weil die Kinder unter Stress stehen, der sich dann auch in ganz anderen Symptomen niederschlägt.

Es zirkulieren aber auch Mittel, die legal zu einer leistungssteigernden Wirkung führen?
Ich habe hierfür keine Beweise. Sicher ist aber, dass etwa Nahrungsergänzungsmittel, die von vielen Sportlern eingenommen werden, nicht ganz ohne sind.

Wenn zu wenig auf die jungen Menschen geschaut wird und die Erwartungshaltungen viel zu hoch sind, dann erzeugt das einen enormen Stress. Und daran können sie Menschen zerbrechen.

Sind Druck und Erwartungen in gewissen Sportarten in Südtirol größer als in anderen? Im Skisport zum Beispiel sind die Fußstapfen, in die die jungen Nachwuchstalente steigen sollen, doch ziemlich groß?
Sicher ist das Skifahren ein Sport, in dem Südtirol spitze ist. Aber gerade deshalb wird von klein auf viel und hart trainiert. Das Training kostet viel Zeit und auch viel mentalen Stress, dazu kommen häufig noch individuelle Probleme.

Wovon werden diese beeinflusst?
Da wäre zum Beispiel das Elternhaus, wo sich gefragt werden muss: Wie stehen wir zu Leistung? Und auch das Kind muss sich bewusst werden, wie es selbst zu Leistung steht – es muss sich ein Bild von sich selbst und den sportlichen Gegnern machen. Und natürlich spielen die Erwartungen eine entscheidende Rolle. Leider Gottes werden die Ziele heute allzu häufig viel zu hoch gesteckt.

Wer steckt die Ziele? Die Kinder selbst? Die Eltern, Trainer? Die Gesellschaft?
Sicher, wir leben heute in einer Leistungsgesellschaft, wo uns vermittelt wird, dass wir nur bei Erfolg etwas “wert” sind. Wir sind ganz stark auf ein Ergebnisdenken fokussiert. Bleiben wir hinter den Erwartungen zurück, erreichen wir nicht die gewünschten Ergebnisse, fühlen wir uns minderwertig. Bei den Kindern ist das nicht anders. Und hier ist es wichtig, die Kinder ganz stark zu unterstützen.

Gefährlich wird es, wenn Eltern und Trainer die Kinder aufgrund von eigenen nicht erreichten sportlichen Zielen zu pushen versuchen. Dann beginnt das Schreien und Zerren, und das Leiden.

Welche sind die Risiken eines solchen auf Leistung getrimmten Denkens?
Die Kinder und Jugendlichen können verstimmt werden und das positive Gefühl, das sie mit dem Sport einst verbunden haben, verlieren. Um die 80 Prozent der jungen Leistungssportler steigen vor dem 18. Lebensjahr aus dem Wettkampfsport aus und entscheiden sich für einen anderen Lebensweg. Und es ist wichtig, dass sie dies nicht mit einem schlechten Gefühl oder einem Gefühl des Versagens machen. Sport ist etwas Positives, man lernt sich besser kennen. Und wenn man richtig begleitet wird, ist er eine Art Lebensschule.

Sie setzen also auf mentales Training und bewusste Auseinandersetzung mit den Wünschen und Bedürfnissen der jungen SportlerInnen als auf irgendwelche Mittelchen?
Doping und die Sportpsychologie stehen sich eigentlich konträr gegenüber. In der Sportpsychologie geht es darum, Gelassenheit zu erlernen, die Achtung vor der eignen Leistung. Doping ist dafür kontraindikativ. Es ist verständlich, dass im Sport an die eignen Grenzen gegangen werden will. Wenn dann aber die Leistung stagniert und man sieht, es geht nichts weiter, dann ist der Griff zu Dopingmitteln sehr verlockend. Aber hier geht es um Betrug, Betrug am Nächsten, der es ohne geschafft hat. Und daher ist es auch richtig, dass bestraft wird.

Leider Gottes werden die Ziele heute allzu häufig viel zu hoch gesteckt.

Was können, sollen Eltern also machen um ihr Kind bestmöglichst zu unterstützen?
In erster Linie müssen sich die Erwachsenen bewusst werden, welche Einstellung sie zu Leistung haben. Es ist wie beim Rauchen: Rauche ich selbst, werde ich meinem Kind schwerlich sagen können, es soll nicht rauchen. Eltern und Trainer müssen den Kindern und Jugendlichen helfen, ihnen zur Seite stehen und den Sport in erster Linie als eine Schule für das Leben begreifen. Wo Erfolge und persönliches Wachstum genauso dazu gehören wie Misserfolge und Zweifel.

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