Authentizität der künstlerischen Geste

Sven Sachsalber ist nicht mehr bei uns. Es ist unfassbar und unendlich traurig, dass dieser so junge und talentierte Künstler so unerwartet von uns gegangen ist. Sven Sachsalber war erst 33 Jahre alt, und ich hatte letztes Jahr die Ehre, für ihn die Laudatio anlässlich der Paul Flora Preisverleihung in Glurns zu halten, eine Auszeichnung, die wir ihm als Jury einstimmig für seine künstlerische Arbeit verliehen hatten.
Ich habe Sven im Jahre 2014 kennengelernt, damals hatte er gerade seinen Abschluss am Royal College of Art in London gemacht, soeben den begehrten Premio New York und die damit verknüpfte Künstlerresidence gewonnen, ein wichtiges Sprungbrett für junge und vielversprechende Künstler*innen, und war auf dem Sprung nach New York, jener Stadt, in welcher er seit damals lebte. Mein Kontakt mit Sven war in diesen Jahren sporadisch aber kontinuierlich, und wenn dann haben wir miteinander telefoniert, trotz der großen Entfernung und Zeitunterschiede. Er bevorzugte immer das direkte Gespräch und den persönlichen Austausch, Email war ihm zu unverbindlich und indirekt.
Kunst hat, wie Sven es selber immer betonte, eine therapeutische Funktion, indem sich der Künstler selber aufs Spiel setzt, mit der Angst vor Verlusten aktiv und kreativ umgehend.
In Jahr 2014 stellte sich Sven im Rahmen einer Einzelpräsentation im Foyer des Museion erstmals dem Südtiroler Publikum vor, und blieb uns mit der Ehrlichkeit und mutigen Konsequenz seiner Arbeit nachhaltig in Erinnerung. Er hatte eine nach außen hermetisch abgeschlossene begehbare Box realisiert, einen Raum, den man nur in gebückter Haltung über eine niedere Öffnung betreten konnte. So gelangte man in einen intimen Innenraum, in dem vorwiegend Zeichnungen und Malereien zu sehen waren, sowie ein fotografisches Selbstportrait des Künstlers mit einem erlegten Fuchs auf der Schulter, in heroischer Geste und einer Mischung aus Stolz und Trauer. Ein inszeniertes Bild, aber doch gefühlsmäßig total authentisch. Die Zeichnungen und Malereien waren realisiert von Sven in Gemeinschaftsarbeit mit seinem Vater Markus Licata, der Hobbykünstler war. Ein erster Versuch von Sven, seine konfliktreiche Beziehung mit seinem Vater zu thematisieren, indem er den Vater einlud, mit ihm gemeinsam die Ausstellung zu bestreiten. Eine zweite Gelegenheit dazu fand er im Jahr 2015 in New York, wo Sven und Markus über Tage und Wochen in einem Ausstellungsraum miteinander tausende von Puzzleteile zusammenfügten. Das Motiv war aus dem Deckenfresko von Michelangelo in der Sixtinischen Kapelle, Adam und Gottvater, deren Zeigefinger sich berühren. Es scheint schicksalhaft, dass der Vater von Sven im Februar 2020 seinem Sohn in die Ewigkeit vorausgegangen ist.
Kunst hat, wie Sven es selber immer betonte, eine therapeutische Funktion, indem sich der Künstler selber aufs Spiel setzt, mit der Angst vor Verlusten aktiv und kreativ umgehend. Für jene, die sich mit ihr beschäftigen und auf sie einlassen, hat sie eine kathartische Wirkung. Denn sie wirkt auf den Betrachter, über die Beschäftigung mit den je privaten Themen des Künstlers hinaus, und verknüpft sich im Mitdenken und Mitfühlen des Betrachters mit einer größeren, allgemeingültigen Dimension. Die Authentizität der künstlerischen Geste und der inhaltlichen Botschaft war immer ein grundlegendes Anliegen der Arbeit von Sven Sachsalber.
Einem internationalen Fachpublikum bekannt geworden ist Sven mit einer Kunstaktion im renommierte Palais de Tokyo in Paris, ebenfalls 2014. Sven ließ einen riesigen Heuhaufen in die große Eingangshalle schaffen, in welchem der Direktor, Jean de Loisy, pressewirksam performend eine Nadel versteckte. Die Performance war auf 24 Stunden angelegt, in welchen Sven sprichwörtlich in einer einsamen, körperlich und psychisch äußerst beanspruchenden Aktion die Nadel im Heuhaufen suchte. Eine Handlung, deren Einfachheit und gleichzeitig sprengende Symbolkraft die internationale Presse und Aufmerksamkeit in einem ungeahnten Maße mobilisierte. Die unbeirrbare Beharrlichkeit der künstlerischen Haltung in dieser ausweglosen Situation, welche letztlich dann auch zum Auffinden der Nadel führte, vermittelte ein tiefes und starkes Bild, visuell und inhaltlich auf den Punkt gebracht.
Svens fulminanter Karriereverlauf ist umso beachtlicher wenn man bedenkt, dass er nur wenige Jahre zuvor noch eine Karriere als Skirennläufer angestrebt hatte. Er hatte zusammen mit Dominik Paris trainiert, dessen Zimmerkollege er auch war, doch eine schwere Verletzung am Knie hatte ganz jäh seine Pläne beendet. Als Künstler ist Sven Sachsalber ein Skirennläufer geblieben, die Geschwindigkeit, die Risikobereitschaft, die Kraft gehörten zu ihm, aber auch der Mut, sich mit vollem Risiko in inhaltliche Tiefen zu stürzen, und zu versuchen doch immer das Gleichgewicht zu halten, ohne zu wissen, ob man im Falle eines Sturzes im Netz landet oder im Aus.
In seiner allerersten Performance im Jahre 2013 war Sven Sachsalber 24 h lang mit einem Boot rund um den Kirchturm des Reschensees gefahren. Im Jahre 2017 bearbeitete er monatelang eine großformatige Leinwand, welche er in 5x5 mm kleine Raster einteilte, wobei er jedes einzelne Minirasterquadrat mit oranger Ölfarbe so ausmalte, dass rundherum noch ein weißer Rand blieb. Diese Arbeit abzuschließen bedeutete eine asketische Konsequenz und Durchhaltevermögen, welche er nur schaffte, da er die Arbeit zu Ehren des buddhistischen Mönchs Tich Quang Duc realisiert hatte, der sich am 11. Juni 1963 aus Protest vor den Verfolgungen buddhistischer Mönche durch die Südvietnamesische Regierung auf einem öffentlichen Platz verbrannt hatte, ein Akt, der Sven in seiner unvergleichlichen Konsequenz immer wieder motivierte weiterzumachen.
Für seine letzte Einzelausstellung in der ar/ge kunst in Bozen 2019 realisierte er eine Serie von 222 Bleistiftzeichnungen und Comics, in welchen er sich mit den Dämonen seiner künstlerischen Ahnen auseinandersetzte, Rudolf Stolz und Albin Egger Lienz, bis hin zu den Teufelslarven des oberen Vinschgaus, Totenköpfe, Details von Plattencovers, Szenen aus touristischen Ansichtskarten, Max und Moritz, bis hin zu den düsteren Darstellungen eines HR Giger oder eines Alfred Kubin, und Pumuckl, ein buntes Potpourri kultureller Kontexte und Inhalte, schön und verstörend zugleich. Realisiert hatte er diese auf den Blättern einer limitierten Edition von Martin Kippenberger, ein Sakrileg angesichts des Wertes dieser Unterlage, und auf jeden Fall eine freche Umdeutung und Neuverwendung des Kippenberger Werks, voller Respekt und gleichzeitig voller Transgression dem großen Meister gegenüber. Es ist interessant, dass sich Sven aus der New Yorker Perspektive doch tatsächlich hauptsächlich mit seinen Wurzeln, mit seiner Herkunft, mit der alpinen Tradition auseinandersetzte, in einem kritischen und ironischen Kommentar auch zur marketingstrategischen Ausbeutung seiner Heimat. In dieser Haltung, wie auch in der gleichsam ernsten wie ironischen Umdeutung von kulturellen Themen, die er vor allem im Comic und in der Zeichnung umsetzte, näherte sich Sven Sachsalber auch an Paul Flora an, den er als Künstler überaus schätzte, und der ihn inspirierte.
Die letzte Präsentation einer Arbeit von Sven in einer Ausstellung in Südtirol war 2019 im Diözesanmuseum in Brixen zu sehen. Er hängte damals eine großformatige Zeichnung mit der Darstellung eines Radrennanzuges in fleischiger Muskeloptik in direkte Nachbarschaft zu dem von Hans Klocker um 1500 geschnitzten lebensgroßen, in einer Vitrine liegenden Christusleichnam. Ein Bild, das heute symbolischen Charakter erlangt.
Das Umgehen mit ikonischen Bildern ist maßgebliches Element in der Arbeit von Sven, und dann noch einen draufsetzen, wie es Sven selber immer formulierte. Es ging ihm immer darum, die gefühlte Intensität zu verstärken, und dem Ganzen im richtigen Moment eine neue inhaltliche Wendung zu geben. Dabei stand die Arbeit mit dem eigenen Körper und den eigenen psychischen Ressourcen im Zentrum, oft bis an die Grenzen der Machbarkeit und darüber hinaus. Sven war einer, der den Stier bei den Hörnern packte, und sich nicht scheute dorthin zu schauen, wo es unangenehm war und wo es schmerzte. Dabei war die Musik sein ständiger Begleiter, Black Flag, The Fall, Sonic Youth, Einstürzende Neubauten, der Sound der Gabber, schneller Beat. In der Kunst sind es Kippenberger, Raymond Pettibon, durchaus auch Andy Warhol und die amerikanische Popart, um nur einige wenige Eckpfeiler zu nennen, welche ihn faszinierten und inspirierten.
Sven behauptete von sich, kein Konzeptkünstler zu sein, wobei er insofern recht hatte, als er keine Kunst machen wollte, die noch eine zusätzliche Erklärung brauchte. Seine Kunst sollte die Eingeweide und den Intellekt gleichermaßen erreichen, sie speiste sich aus den Bildern, Erinnerungen und Emotionen, die ihn im Alltag begleiteten, und die seine kulturelle Herkunft bedeuteten.
Es schmerzt zu wissen, dass wir Sven nicht mehr bei uns haben. Aber wir haben seine Kunst, die und begleitet, und die uns lehrt, dass es sich lohnt, ein Leben zu leben das rockt!
Sabine Gamper
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