Um die Zukunft betrogen
Irgendwo in der ungarischen Einöde rollt ein Bus voller rotnasiger, dickwanstiger Männer gen Serbien. In dem sogenannten „Gastarbeiterexpress“, inmitten einer fluchenden und grölenden Männermeute und einiger weniger Frauen, die „grundsätzlich die Klappe halten“ müssen, sitzt auch der Protagonist von Marko Dinićs Debütroman. Vor zehn Jahren entfloh er mit Hilfe seiner Großmutter der unermesslichen Trostlosigkeit Belgrads, jetzt kehrt er zum Begräbnis selbiger erstmals wieder zurück. Wähnt man sich in den Beschreibungen der folkloristisch-schrulligen Businsassen auf den ersten Seiten noch in einem Roman in bester Tradition slawischen Humors, der gerne mit einem Hang zu Skurrilität und einer großen Zärtlichkeit für das Jämmerliche im Menschen aufwartet, wird schon ein paar Seiten weiter klar: Witzig ist an diesem Buch gar nichts. Das Jämmerliche ist hier so jämmerlich, dass einem das Lachen gar nicht erst den Hals hochkriechen kann, und skurril sind die Figuren zwar allemal, aber von einem zärtlichen Blick kann hier keine Rede sein. Stattdessen: Wut, Groll, Abscheu.
Der Roman ist eine Abrechnung – oder vielmehr der klägliche Versuch einer solchen – des Ich-Erzählers mit seinem Vater, der stellvertretend für eine ganze Generation opportunistischer Nationalisten steht, die Serbien in den Niedergang geführt und den Kindern statt einer Zukunft nur eine immense Perspektivlosigkeit geschenkt haben. Für den Protagonisten und die anderen seiner Generation gäbe es nur zwei Möglichkeiten: „die Scheiße zu schlucken oder wegzugehen.“
Er ist, wie gesagt, weggegangen. An dieser Stelle könnte man noch detaillierter auf das, was weiter passiert, oder darauf, wie es zu dieser Flucht gekommen ist, eingehen, aber die eigentliche Stärke des Romans liegt in den Stimmungen, die er heraufbeschwört. Das geht so weit, dass manches Mal die Stellen, an denen die Handlungsbrocken verklebt sind, durchscheinen und sich der Eindruck aufdrängt, bestimmte Handlungsverläufe, Orte oder Figuren sind nur Mittel zum Zweck. Wenig glaubwürdig wirkt etwa der schwer zu fassende Reisegenosse des Ich-Erzählers, der im zweiten Teil von „Die guten Tage“ in einem wenig plausiblen Szenario nochmal vorkommt. Und ähnlich dem Protagonisten, der nach dem Begräbnis der Großmutter durch Belgrad irrt, wabert auch der Handlungsstrom ab diesem Punkt ein wenig vor sich hin.
Warum man das Buch dennoch zu Ende lesen sollte? Weil Dinić bisweilen mit einer Bildgewalt aufwartet, die einem den Atem verschlägt. So etwa in seinen Beschreibungen von Belgrad – „ein ausgeleiertes Fließband aus hastigen Bewegungen, Gebrüll, Schweiß, Gestank, Verwesung, Abgas, Smog, Beton, Asphalt, Armut – Balkan.“ Präzise und niemals platt setzt der Autor eine rohe, direkte Sprache ein, fein ausgearbeitet sind dabei etwa die stilistischen Unterschiede zwischen dem rotzigen Jugendslang des Protagonisten in den Rückblenden und seinem – nicht minder aggressiven – Erwachsenensprech zehn Jahre später.
Und nicht zuletzt sollte man diesen Debütroman lesen, weil er die Wundränder einer Generation mit schmerzhafter Prägnanz und in schillernder Uneindeutigkeit betastet.