Umwelt | Mobilität

Sommer “soft”

Der Sommer 2020 ist anders. Wegen Corona. Aber wird sich deswegen auch in der Dolomitenpässe-Politik nichts ändern? Was Südtirol und seine Nachbarn planen.
Sellapass
Foto: Othmar Seehauser

Der Verkehr belastet die Dolomitenpässe in den Sommermonaten besonders stark. Er steht im Gegensatz zu einem sanften Erleben der Natur rund um den Sellastock. Daher arbeiten die interessierten Gemeinden zusammen mit Vertretern des Landes sowie der Autonomen Provinz Trient und der Region Veneto an einer ganzheitlichen Lösung: Sie wollen die sanften Mobilitätsformen verstärkt vernetzen und einen attraktiven, nachhaltigen Erlebnisraum schaffen.

Unter diese Prämisse luden Mobilitätslandesrat Daniel Alfreider, sein Trentiner Amtskollege Roberto Failoni sowie die Gemeinden Wolkenstein, Corvara, Canazei (Autonome Provinz Trient), Fodom/Buchenstein (Provinz Belluno) am Donnerstag Vormittag zu einer Pressekonferenz, um “Lösungsansätze für den Verkehr auf den Dolomitenpässen” zu präsentieren. Gemeinsam wollen Südtirol, das Trentino und Venetien eine Verkehrsberuhigung auf den Dolomitenpässen erreichen. Jedoch nicht auf die harte, sondern die “softe” Tour: Vor allem durch einen Umstieg auf umweltfreundliche Mobilitätsformen. Die Herausforderung dabei: Diese müssen erst einmal angeboten werden.

 

Mehr Kombi Bus-Seilbahn

 

Vor diesem Hintergrund potenziert das Land Südtirol die Busverbindungen zu sechs Seilbahnen an den Dolomitenpässen: in Gröden zu den Talstationen der Seilbahnen von Col Raiser, Danterciepies und Ciampinoi; im Gadertal zu den Talstationen der Seilbahnen Colfosco, Boè und Arlara. Vor allem Touristen soll dieses Angebot zugute kommen und ihnen “ermöglichen, das eigene Auto in der Garage zu lassen”, sagt Landesrat Alfreider.
Dass das notwendig und – auch politisch – gewünscht ist, stellte sich am Donnerstag heraus. Seit Herbst 2019 überwachen 24 Videokameras an 12 Standpunkten in den zwei Regionen und drei Provinzen (Bozen, Trient, Belluno) den Verkehr rund um den Sellastock. Sie registrieren live und anonymisiert Daten zum Beispiel zur Art des Verkehrs oder der Dauer der Aufenthalte. Rund 6.500 Fahrzeuge wurden vergangenes Jahr täglich gezählt, vergangenen Sonntag (12. Juli) waren es 1.500. Der Rückgang darf nicht täuschen, ist er doch auf die Folgen der Covid-19-Pandemie zurückzuführen.

 

Weitere Daten liefert auch eine im Sommer 2019 durchgeführte Umfrage, bei der über 1600 Gäste vor Ort auf den Dolomitenpässe befragt wurden. Einige Ergebnisse: 39% der Befragten meinen, dass durch einen bezahlten Zutritt zu den Dolomiten-Passstraßen der Schutz der Flora und Fauna besser gewährleistet werde. 76% der Befragten empfinden das Motorrad als extrem (40%) oder häufig (36%) störend. Das Auto empfinden 71% als extrem (18%) oder häufig störend (53%).

Aufgrund dieser und der heuer im Rahmen des Verkehrsmonitorings gesammelten Daten wird eine grenzüberschreitende Arbeitsgruppe im Herbst 2020 “die weiteren Schritte für eine Verkehrsberuhigung der Dolomitenpässe definieren”, heißt es am Donnerstag. Dabei sollen auch die Vertreter von Tourismusorganisationen, Wirtschaftstreibenden und Umweltverbänden eingebunden werden.
Was das Land Südtirol konkret bereits in Angriff genommen hat: vom Autoverkehr unabhängige Radspuren auf die Dolomitenpässe. Es gibt bereits eine Machbarkeitsstudie aus den Abteilungen Tiefbau und Straßendienst. Ziel ist es, die bestehende Straße an viel befahrenen Punkten für den Radverkehr auszubauen.

 

Von Sperre (weiter) keine Spur

 

Und was ist mit einer Sperrung der Pässe? Als neuer Mobilitätslandesrat hatte Alfreider die von seinen Vorgängern zeitweise eingeführten Passsperren bzw. Zufahrtsbeschränkungen wieder aufgehoben. Er setze vielmehr auf ein “Gesamtkonzept und dessen Umsetzung Schritt für Schritt”, unterstreicht Alfreider auch heute. “Basis für alle Entscheidungen und Maßnahmen ist ein Monitoring mit Zahlen, Daten und Fakten sowie Expertisen von Fachleuten.”
Doch einige Bürgermeister haben genug. Verkehrsüberwachung und -analyse sei zu wenig – “so wie in den vergangenen Jahren kann es nicht weitergehen”, betonen Ivo Insam, Vizebürgermeister von Wolkenstein und Leandro Grones, Bürgermeister von Fodom/Buchenstein. Sie fordern striktere Maßnahmen gegen die Verkehrsbelastung, die zügig umgesetzt werden sollen.

Die Wirtschaft warnt davor. Heuer jedenfalls sei wegen der Corona-Krise “nicht der richtige Zeitpunkt für Verkehrsbeschränkungen auf den Dolomitenpässen”, finden die Präsidenten der Handelskammern von Bozen und Trient, Michl Ebner und Giovanni Bort. Grundsätzlich könne man nachvollziehen, dass Verkehrsberuhigungen angedacht würden, so die beiden Präsidenten. Allerdings sei es “immer noch früh genug, Maßnahmen zur Verringerung des Verkehrsaufkommens auf den Dolomitenpässen zu tätigen, sobald sich die Wirtschaft und insbesondere der Tourismus in unserer Region wieder einigermaßen erholt haben”. Bei der Handelskammer Bozen verweist man auf jüngste WIFO-Daten, laut denen in Südtirol im Mai die Umsätze des Gastgewerbes und der Hotellerie im Vergleich zu Mai 2019 um 71% gesunken sind. Auch im Juni geben 85% der Tourismusbetriebe an, dass eine geringere Nachfrage im Vergleich zum Niveau vor der Corona-Pandemie besteht.

Corona lassen die Umweltschützer als Rechtfertigung, keine strengeren Maßnahmen zu ergreifen, nicht gelten. “Reine Ankündigungspolitik und kosmetische Maßnahmen ohne sicht-, spür- und hörbare Erfolge hatten wir in den vergangenen Jahren zur Genüge”, heißt es vom Dachverband für Natur- und Umweltschutz. Dort erinnert man an die Aussagen von Landeshauptmann Arno Kompatscher anlässlich der Feierlichkeiten 10 Jahre UNESCO-Welterbe Dolomiten im Juni 2019. Dort hatte sich Kompatscher für eine “Sperre der Dolomitenpässe zu bestimmten Kernzeiten” ausgesprochen. Für heuer dürfte sich diese Frage erledigt haben.