Gesellschaft | Teil 2

„Schönheitschirurg ist abwertend“

Lippenvergrößerung, Fettabsaugungen, Intimchirurgie. Wann Eingriffe legitim sind und welche Macht soziale Medien haben, erklärt Dr. Larcher. Er ist Plastischer Chirurg.
LL
Foto: Unsplash

Körper und Schönheit sind zwei der wichtigsten Themen im Alltag vieler Menschen. Im ersten Teil zeigte Psychotherapeutin Raffaela Vanzetta auf, dass die Vielfalt der Menschen durch die Plastische Chirurgie schwindet. Lorenz Larcher ist Plastischer Chirurg und erklärt im Gespräch, was Schönheit bedeutet und wann ästhetische Eingriffe seiner Meinung nach legitim sind. 

 

Teil 2

Lorenz Larcher studierte in Innsbruck Humanmedizin und ist ausgebildeter Facharzt für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie mit Habilitation und Venia legendi an der Paracelsus – Medizinische Universität in Salzburg und führt den Zusatztitel Dozent für Plastische Chirurgie. Er ist Autor mehrerer wissenschaftlicher Arbeiten aus dem Bereich der Plastischen Chirurgie und belegte mehrere wissenschaftliche Vorsitze an diversen internationalen Kongressen. Er war von Mai 2016 bis Juni 2021 Chefarzt und ärztlicher Leiter des landesweiten Dienstes für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie im Südtiroler Sanitätsbetrieb. Dr. Larcher arbeitet in der Marienklinik Bozen sowie privat in seiner Bozner und Salzburger Ordination. Er ist international anerkannter Plastischer Chirurg.
 

salto.bz: Herr Larcher, das menschliche Auge findet all das schön, was eine Symmetrie hat. Gilt das auch für das Gesicht und für den Körper?

Lorenz Larcher: Absolut – der goldene Schnitt egal ob in der Kunst, Architektur oder eben auch in der Plastischen Chirurgie ist omnipräsent. Die philosophische Disziplin der Ästhetik war bis zum 19. Jahrhundert vor allem die Lehre von der Schönheit, von Gesetzmäßigkeiten und Harmonie in der Natur und Kunst. Das Wort Ästhetik ist auch in unserer Facharztbezeichnung vorhanden. Die Ausbildung zum Plastischen Chirurg dauert in Österreich insgesamt 12 Jahre. Sechs Jahre absolviert man das Humanmedizinstudium, in den weiteren sechs Jahren unterzieht man sich der Facharztausbildung für Plastische, Ästhetische und Rekonstruktive Chirurgie. Erst dann ist der Titel „Plastischer Chirurg“ gültig. 
Die philosophische Ästhetik befasst sich mit allem, was unsere Sinne bewegt, sie befasst sich mit dem subjektiven Geschmacksurteil und ist somit die Theorie des Schönen, des Erhabenen und des Hässlichen. Im Gesicht gibt es ebenso wie beim Körper Maße und Proportionen, die wir unbewusst als schön empfinden. Der Winkel, die Breite oder Länge einer Nase oder eines Gesichts charakterisieren dieses. Nach einer OP wird ein neues Äußeres generiert. Am Körper verhalten sich diese Proportionen ähnlich.

Was ist ihre Philosophie? Unterstützen Sie den Gedanken, dass jede/r sich im Körper wohlfühlen sollte und somit Eingriffe legitimiert sind? Oder finden Sie, dass z.B. junge Frauen zu viel nach Idealen streben und dabei die persönliche Einzigartigkeit vergessen? 

Die Plastische Chirurgie, die hauptsächlich Rekonstruktive Chirurgie bedeutet, versucht durch spezielle Techniken die ursprüngliche Form und Funktion von Gliedmaßen usw. wiederherzustellen. Diese Chirurgie kommt meist nach schweren Traumata, Krebserkrankungen, Verbrennungen aber auch bei angeborene Fehlbildungen zur Anwendung. Sie ist eine relativ junge, chirurgische Disziplin und kommt aus der Kriegschirurgie. Man sah sich im ersten Weltkrieg plötzlich durch neue Waffentechniken, neuen Verletzungsmustern gegenübergestellt. Die Ästhetische Chirurgie, die daraus entstanden ist, macht ca. 20 Prozent unseres Faches aus und bedient sich eben dieser Operationstechniken, um Menschen Ihre ästhetischen Wünsche zu erfüllen. Ich denke, dass gewisse, vor Allem von sozialen Medien generierte Trends, wie massive Gesäßvergrößerungen und überdimensionale Lippenvergrößerungen aus ethischer Sicht nicht angeboten werden sollten. Ich möchte den Patienten Ihren Wunsch im Rahmen der plastisch chirurgischen, aber auch ethischen Möglichkeiten in bestmöglicher, natürlicher Art gewährleisten. Unrealistische Wünsche weise ich grundsätzlich ab, auch wissend, dass die Patienten wahrscheinlich jemand anderen finden werden, der es machen bzw. versuchen wird.

Haben Sie persönlich ein weibliches bzw. männliches Schönheitsideal? Was finden Sie schön? Oder finden Sie, dass das Thema Schönheit in unserem heutigen Zeitalter zu viel Wichtigkeit erhält?

Ja, das habe ich. Ich denke, natürliche Schönheit ist einfach unübertrefflich. Wenn man dann mit den Mitteln der Plastischen Chirurgie etwas nachhelfen kann, ist das legitim. Das Thema Schönheit hat seit immer eine fundamentale Bedeutung, ich denke nicht, dass sich hier viel geändert hat, aber durch die medialen Möglichkeiten ist die Thematik sicherlich verstärkt präsent. 

 

 

Gibt es in Ihrer Praxis ein Mindestalter für Eingriffe? Gibt es ein Gesetz, das Schönheitseingriffe rechtlich regelt? 

In Italien beträgt das Mindestalter für ästhetische Operationen 18 Jahre. Außerdem muss man in einem individuellen und persönlichen Patientengespräch die Wünsche der Patienten und die Machbarkeit derselben verstehen. Bei angeborenen Fehlbildungen kann dieses Alter unterschritten werden. Von OP-Geschenken zum 18. Geburtstag halte ich herzlich wenig. Eine OP will gut überlegt und geplant sein, so wurde in Österreich vor Kurzem ein eigenes Ästhetikgesetz eingeführt. Zwischen Erstvisite und OP müssen jetzt mindestens zwei Wochen Bedenkzeit vergehen. 

Sie haben bereits viele berufliche Erfahrungen gesammelt und sind seit mehreren Jahren in der plastischen Chirurgie tätig. Im Laufe der Zeit ändern sich auch die Schönheitsideale. Konnten sie im Laufe Ihrer Karriere Trends und Veränderungen in diesem Bereich erkennen? 

Ja, die Trends sind mannigfaltig – so herrschen in Südamerika beispielsweise ganz andere Schönheitsideale als in Europa. Für die Südamerikanerinnen ist z.B. die Tatsache, dass sie sich eine OP leisten können ein Statussymbol und wird auch entsprechen zelebriert. In Asien ist es nochmals anders, der Trend geht dort eindeutig in Richtung „Europäisierung“, besonders bei der Augen- und Gesichtsform – auch kleinere Brustformen sind dort erwünscht. Südländisch geprägte Länder wünschen sich im Gegensatz dazu eher größere Brustformen. Europäerinnen sind grundsätzlich etwas zurückhaltender und wollen nicht zwangsweise, dass man weiß, dass sie beim Plastischen Chirurg waren. Mit der Zeit kommen allgemein immer wieder neue Produkte und Techniken und alte verschwinden. Im Austausch mit internationalen Kollegen sieht man immer wieder, wie sehr sich die Patientenwünsche, kulturell bedingt, unterscheiden können. Fakt ist, dass es mittlerweile kein Tabuthema mehr ist, zum Plastischen Chirurgen zu gehen.
 

Unrealistische Wünsche weise ich grundsätzlich ab, auch wissend, dass die Patienten wahrscheinlich jemand anderen finden werden, der es machen bzw. versuchen wird.


Sie haben auch eine Praxis in Salzburg. Unterscheiden sich die Eingriffe zwischen den beiden Orten Österreich und Italien?  

Grundsätzlich sind die Wünsche meiner Patienten in Salzburg ähnlich wie bei den Patienten in Südtirol. Ich habe aber auch Patienten aus Mailand und Rom, die andere Wünsche haben als z.B. deutschsprachige Südtirolerinnen und diese unterscheiden sich wiederum von italienischsprachigen Südtirolerinnen. 

 


Inwiefern unterscheiden sich die Eingriff bei deutschsprachigen und italienischsprachigen SüdtirolerInnen? 

Die Vorlieben und Anfragen sind anders. Das kann man auch mit den modischen Vorlieben vergleichen. 

Denken Sie, dass die sozialen Medien dazu geführt haben, dass sich mehr junge Menschen für Eingriffe entscheiden?

Ich glaube diesen Trend kann man nicht wegleugnen. Die sozialen Medien mit ihren Selfies und Filterfunktionen suggerieren sehr oft ein de facto unerreichbares ästhetisches Bild. Hier liegt es in der Hand des Plastischen Chirurgen seinen Patienten aufzuklären und entsprechend zu führen – vor allem auch die Grenzen der Plastischen Chirurgie, aber auch der Natur aufzuzeigen. Viele junge Patienten sehen sich sehr oft enormen Druck ausgesetzt. Jeder scheint reich und schön zu sein. Die Realität sieht aber anders aus. Ich sehe die Position der sogenannten Influencer in den sozialen Medien als sehr problematisch, da sich diese Menschen sehr oft Ihrer Verantwortung nicht ganz bewusst sind und ein „gefiltertes“ Leben in allen Bereichen vorgaukeln, das sie wahrscheinlich selbst nicht leben. 

Sich Schönmachen ist keine Privatangelegenheit. Und Schönheitshandeln ein sozialer Prozess, in dem Menschen versuchen, soziale (Anerkennungs-)Effekte zu erzielen. Was sagen Sie dazu? 

Schönheit spielt in jedem Bereich unseres Lebens eine fundamentale Rolle, von unserer Geburt mit dem „schönen“ Säugling bis zu unserem Tode mit „schönen“ Leich, zieht sich der übergeordnete Begriff der Schönheit wie ein roter Faden durch unser Leben. Ein schönes Auto oder ein schönes Haus sind Zeichen von Erfolg. Auch in der Kunst und Musik gilt Schönheit als entscheidendes Ziel der menschlichen Kreativität bis hin zum Ausdruck des Göttlichen. Die Sehnsucht nach dem Schönen versteht sich als eine vollkommene Tugend, besser noch als vollkommene, menschliche Existenz. „Das ist schön“ gilt zum Glück nicht für jeden im gleichen Maß. Schönheit hat somit den Anspruch subjektiver Allgemeinheit. Ich denke schön sein, kann zum Beispiel auch „sich selbst pflegen“ bedeuten. 
 

Die Werbeleute haben verstanden, dass man nicht zwangsweise die idealen Körperbilder zur Schau stellen muss und soll.


Was halten Sie von der Aussage „Schönheit ist machbar. Der Weg zum Glück in der Liebe, zu größeren Chancen am Heirats- und Arbeitsmarkt, zu einem höheren Sozialprestige führt über die aktive Arbeit am Körper“ ? 

Wenn sich jemand pflegt, schön kleidet und präsentiert, ist das auch ein Akt der Selbstschätzung. Wissenschaftlich ist es erwiesen, dass „schöne“ Menschen erfolgreicher sind und mehr Möglichkeiten haben. Ob dies dann gerecht und richtig ist, tut nichts zur Sache. 
  
Der Begriff bodyshaming und dessen Wirkung wird derzeit sehr häufig in den Medien kommuniziert. Kommen auch Menschen zu Ihnen, die wegen ihres Aussehens gemobbt werden? Was raten Sie jenen?

Ja, bodyshaming ist ein großes Problem unserer Zeit. Sehr oft unterschätzen sich Menschen und sehen an sich selbst Fehler, die anderen gar nicht auffallen. Die Werbung und die sozialen Medien haben hier große Verantwortung. Nicht jede Frau hat die Kleidergröße von Models. Problematisch wird es, wenn durch bodyshaming Depressionen, Isolierungen, Essstörungen und Angstzustände entstehen. Einige Werbeleute haben verstanden, dass man nicht zwangsweise die idealen Körperbilder zur Schau stellen muss und soll. Ich bin davon überzeugt, dass wenn sich jemand großen psychischen Druck durch eine bestimmte „körperliche“ Situation ausgesetzt sieht, legitim ist, dieses Problem durch die Mittel der Plastischen Chirurgie zu lösen. Eine Operation ist immer eine gut überlegte Entscheidung, eine Frau braucht im Schnitt bis zu drei Jahre, bis sie zu einer Erstvisite für eine Brustvergrößerung kommt. Selbstbewusstsein ist grundsätzlich aber ein Schlüssel zur Zufriedenheit – ob mit oder ohne Plastische Chirurgie ist dann zweitrangig. 

Welche Eingriffe sind die häufigsten?

Meine Hauptoperationen im ästhetischen Bereich sind Brustoperationen, hier vor allem Brustvergrößerungen, aber auch Brustverkleinerungen. Nasen-OPs und Fettabsaugungen werden auch sehr häufig verlangt. Des weiteren Lidchirugie, so z.B. Oberlid- bzw. Unterlidstraffungen, Ohranlegeplastiken, Hauttumorentfernungen und Rekonstruktive, handchirurgische Eingriffe. 
 

Wissenschaftlich ist es erwiesen, dass „schöne“ Menschen erfolgreicher sind und mehr Möglichkeiten haben. Ob dies dann gerecht und richtig ist, tut nichts zur Sache. 


Was passiert bei der Intimchirurgie? 

Dort gibt es mehrere Möglichkeiten. Sehr oft sind die inneren Schamlippen ausgeprägter und verursachen neben dem optischen Bild, das Frauen stören kann, auch funktionelle Probleme – vor allem beim Geschlechtsverkehr oder beim Sport. Durch eine Schamlippenkorrektur können diese Beschwerden beseitigt werden. 

Hat sich vielleicht auch etwas während der Corona-Pandemie geändert? 

Ja, die Nachfrage ist allseits gestiegen. Die Menschen hatten mehr Zeit sich bewusst mit sich selbst zu befassen, haben sich öfters in online Meetings selbst angeschaut bzw. sind auch lange hingeschobene, geplante Eingriffe und Behandlungen angegangen. 

Medizinische Berufe sind sehr achtvoll angesehen. In ihrer medizinischen Sparte gibt es aber die meisten Kritiker. Wie gehen Sie mit Kritik um?

Schauen Sie, als Rekonstruktiver Chirurg und auch Mikrochirurg habe ich Finger oder Gliedmaßen wieder angenäht. Ich operiere Kinder, Tumorpatienten, Verbrennungsopfer, Opfer von Verkehrsunfällen und auch rekonstruktive Fälle. Daher ist die Bezeichnung „Schönheitschirurg“ für einen Plastischen Chirurgen eher abwertend. Dass wir dann auch unsere Fähigkeiten einsetzen, um Leuten Ihre ästhetischen Wünsche zu erfüllen, ist in meinen Augen legitim und dazu stehe ich auch zu 100 Prozent.