Politik | Wahlen/Elezioni 23

„Noch nie so gespalten wie heute“

Südtirol steht diesen Sonntag vor der Wahl. Emi Massmer ist deshalb mit der Kamera durchs Land gereist. Sein Ziel: junge Leute mobilisieren.
  • SALTO: Herr Massmer, wieso finden Sie es wichtig, dass sich Menschen für Politik interessieren?

    Emi Massmer: Mir war bei diesem Projekt vor allem wichtig, junge Leute miteinzubeziehen. Ich merke in meinem Umfeld eine gewisse Politikverdrossenheit. Es herrscht die Auffassung, dass man sich eh nicht auskennt und sich deshalb auch erst gar nicht informiert. Dabei wäre es so wichtig, dass gerade junge Leute wählen gehen – und bewusst wählen. Denn es wird über unsere Zukunft entschieden und alles, was im Landtag entschieden wird, fällt uns jeden Tag vor die Füße. 

    Meist ist uns nicht wirklich bewusst, wie sehr Gesetze und Beschlüsse unseren Alltag beeinflussen.

    Der Zug im Vinschgau beispielsweise funktioniert teilweise nicht gut – genau hier könnte ich eine Partei wählen, die sich dafür einsetzt. Dadurch erziele ich in meinem Alltag eine konkrete Verbesserung, vielleicht nicht von heute auf morgen, sondern in ein paar Jahren. Auch bei Klimaschutz, Migration oder vielen anderen wichtigen Themen wie leistbares Wohnen kann die Politik ansetzen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass meine Freunde, die im Ausland studieren, nicht nach Südtirol zurückkommen, weil es zu teuer ist, man zu wenig verdient und man ein Problem hat, überhaupt eine Wohnung zu finden.

  • Zur Person

    Emi Massmer ist ein 22-jähriger Fotograf, Filmemacher und Musiker aus Plaus im Vinschgau. Seit 2023/24 unterrichtet er Deutsch und Geschichte an der Wirtschaftsfachoberschule in Schlanders. 

    Mit Unterstützung von Majda Brecelj hat er die sechsteilige Videoreihe „Südtirol: vor der Wahl“ gedreht, die auf Youtube zu sehen ist. Bis zum Wahltermin sollen alle Folgen online sein. Außerdem werden in kurzen Infoclips nützliche Begriffe wie die Autonomie Südtirols oder die Zusammensetzung des Landtags erklärt. 

  • Emi Massmer: „Wenn Menschen informiert sind, können sie bei Politik mitreden.“ Foto: privat

    Durch den demografischen Wandel sind junge Wähler*innen in der Bevölkerung weniger repräsentiert als ältere Generationen, die auch ihre Stimme abgeben. 

    Das zeigt sich auch im Landtag, wo eigentlich nur ältere Menschen sitzen. Ich glaube, es braucht bei den jungen Generationen ein Umdenken, um gezielt junge Menschen zu wählen, die uns gut vertreten können. Es ist klar, dass unsere Interessen nicht aufgegriffen werden, wenn die Entscheidungsträger*innen 40 Jahre älter sind. Bei den Straßenumfragen haben wir auch mit Menschen gesprochen, die noch nicht volljährig sind. Extrem viele von ihnen sind für ein Wahlrecht ab 16 Jahren. Gerade beim Thema Klimaschutz wäre das eine Chance, weil viele ältere Menschen nicht weitsichtig genug sind, um auf die nächsten Generationen zu achten. 

  • Sie sprechen den Klimawandel recht häufig an – beobachten Sie eine Zukunftsangst?

    Im Gespräch mit jungen Menschen haben die meisten gesagt, dass sie Angst haben und eine gewisse Hilflosigkeit verspüren. Viele haben echt die Perspektive darauf verloren, dass die Politik etwas macht. Sie sagen teilweise, dass die Politik dem Thema gegenüber ignorant ist. Klar gibt es noch viele andere wichtige Themen, aber was beim Klimaschutz leider Gottes zu sagen ist, dass es ein sehr langfristiges Thema ist. Man spürt die Folgen nicht von heute auf morgen. Dadurch rücken Themen in den Vordergrund, die jetzt im Moment extrem wichtig sind, obwohl Klimaschutz eigentlich extrem dringend wäre, weil das Problem zukunftsbedrohend ist.  

  • Die Reportage: Emi Massmer im Gespräch; Foto: Südtirol: vor der Wahl

    Wenn man Klimaschutz ernst nehmen will, dann müsste man eigentlich unser ganzes Wirtschaftssystem in Frage stellen. Ist das ein Grund, wieso uns das Thema so schwer fällt?

    Wir sehen Klimaschutz immer als Debatte über Verzichte und Verbote. Im Grunde hängen aber alle Themen, die uns momentan beschäftigen, mit Klimaschutz zusammen: Wir könnten mit der verstärkten Investition in erneuerbaren Energien viel günstiger Strom beziehen, auch das leistbare Wohnen hängt damit zusammen. Weil Klimaschutz heißt gleichzeitig auch soziale Gerechtigkeit. Man kann Klimaschutz nicht für die Reichen leistbar machen und die ganzen unteren Schichten müssen das dann finanziell stemmen. Da muss man alle miteinbeziehen. Klimaschutz öffnet uns vielleicht als Gesellschaft die Augen, dass wir von der Hektik wegkommen. Vielleicht ist einem dann weniger wichtig, 200 Euro im Monat mehr zu verdienen, sondern einen Tag mehr in der Woche frei zu haben, man kann sich dann aber auch eine Wohnung und öffentliche Verkehrsmittel leisten und bräuchte vielleicht nicht einmal mehr ein Auto. Schon alleine dadurch hätte ich mehr Geld in der Tasche. Hier gäbe es sehr spannende Lösungen. 

  • Einfache Lösungen, die von Politiker*innen gerne vorgeschlagen werden, funktionieren oft gar nicht – oft schon alleine rechtlich nicht.

    Müssen wir nicht auch aufpassen, beim Klimathema einen Genrationenkonflikt zu verursachen?

    Ich habe in der Reportage darauf geachtet, wie ich die Sachen sage, um keinen Keil in die Gesellschaft zu stemmen. Wir sind alle eine Gesellschaft und müssen zusammenhalten, aber wir müssen auch zukunftsgerichtet denken. Viele für die Zukunft wichtige Lösungen klingen auf den ersten Eindruck total einschränkend, sie sind aber im zweiten Moment genau das, was sich sehr viele wünschen würden – nur über den kleinen Umweg, indem wir sagen ‚probieren wir das mal‘. Ältere Menschen sollten sich ein wenig mehr für uns junge öffnen und wir müssen versuchen, sie mitzunehmen.

  • Majda Brecelj: für die Kamera verantwortlich; Foto: Südtirol: vor der Wahl

    Sie waren südtirolweit mit Kamerafrau und Mikro unterwegs. Welches Bild haben Sie sich von unserem schönen Land gemacht?
    Es war eine sehr persönliche Reise durch Südtirol. Ein Land, das, wie ich glaube, noch nie so gespalten war wie heute – sei es bei Covid, der Leugnung des Klimawandels oder dem Generationenkonflikt. Es war schön, dass die Menschen bereit waren ihre politische Meinung zu äußern. Das hat mir sehr viel Hoffnung gegeben. Politik wird bei uns nicht so öffentlich diskutiert, leider Gottes gerade bei uns jungen Leuten, weil auch die Kommunikationskanäle fehlen. 

  • Die Zuschauer*innen erwartet ein Feuerwerk an Fakten und es kommen verschiedene Expert*innen zu Wort.

    Ich habe auch gemerkt, wie komplex die Realität ist. Einfache Lösungen, die von Politiker*innen gerne vorgeschlagen werden, funktionieren oft gar nicht – oft schon alleine rechtlich nicht. Die wichtigste Erkenntnis für mich war allerdings, wie wichtig politische Bildung ist. Wenn Menschen informiert sind, können sie bei Politik mitreden. Wir haben bei verschiedenen Schulen Südtirols Umfragen durchgeführt. Bei den Schulen, wo es am ehesten in den Fächern Deutsch oder Geschichte politische Bildung gibt, waren die Schüler*innen sehr gut informiert. Dieses Wissen fehlt sehr vielen. Wären sie informierter, wäre Politik für sie auch spannender. 

    Was erwartet die Zuschauer*innen der Reportage?

    Die Zuschauer*innen erwartet ein Feuerwerk an Fakten und es kommen verschiedene Expert*innen zu Wort, beispielsweise zu Sozialem, Gewalt gegen Frauen, Cat Calling, Ausgehen, Klimawandel und Migration.