Politik | AGB-Report

Von der Regierung im Stich gelassen

Tausende Menschen demonstrierten am 7. Oktober in Rom gegen die prekären Arbeitsverhältnisse in Italien. Mit dabei: der Landessekretär des Südtiroler Gewerkschaftsbundes, Josef Lazzari.
Hinweis: Dies ist ein Partner-Artikel und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Piazza la via maestra
Foto: CGIL
  • „La via maestra“, der richtige Weg: Unter diesem Motto sind am 7. Oktober hunderttausende Demonstranten und Demonstrantinnen durch Rom gezogen. Organisiert wurde die Kundgebung von der CGIL, dem nationalen Gewerkschaftsbund, gemeinsam mit über hundert anderen Organisationen. Ziel der Kundgebung war es, auf die prekären Arbeitsbedingungen in Italien aufmerksam zu machen: Zu viele verfassungsgeschützte Grundrechte werden in Italiens Arbeitswelt unter der derzeitigen Regierung außer Acht gelassen, heißt es von der CGIL. Aus allen Regionen des Landes reisten Mitglieder der Gewerkschaft nach Rom, um zu demonstrieren - unter ihnen auch der Südtiroler Landessekretär der AGB/CGIL Josef Lazzari. Wie die Kundgebung gelaufen ist, was in der italienischen Arbeitswelt zurzeit alles schiefläuft wie es jetzt weiter geht, erzählt Lazzari im Gespräch.

  • Josef Lazzari, Landessekretär des Südtiroler Gewerkschaftsbundes (Quelle: Josef Lazzari) Foto: Josef Lazzari
  • Salto.bz: Am 7. Oktober hat die großangelegte Demonstration in Rom stattgefunden und Sie waren dabei. Wie war es?

    Josef Lazzari: Es war eine gelungene Aktion mit vielen Teilnehmern. „La via maestra“ war bei Weitem nicht meine erste Kundgebung, aber auf jedem Fall eine der größten der letzten Jahre. Es waren wirklich viele dabei. Das hat auch aufgezeigt, wie wichtig den Leuten diese Themen sind.

    Wofür haben die Teilnehmer demonstriert?

    Es gab verschiedene Beweggründe. An der Demonstration waren zum Beispiel viele Friedensbewegungen beteiligt, die in einer Zeit der Auseinandersetzungen für eine Friedenspolitik demonstriert haben, auch LGBTQ+-Gruppierungen haben an der Kundgebung teilgenommen. Auch Themen wie die Inflation oder das Recht auf Meinungsfreiheit wurden angesprochen. Zentraler Sachverhalt der Kundgebung war die prekäre Situation in der Arbeitswelt: Auch die derzeitige italienische Regierung ignoriert nämlich zunehmend die Verfassungsvorgaben und lässt die Arbeiter und Arbeiterinnen so im Stich.

    „Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung ist derzeit sehr hoch – das hat die Teilnehmerzahl veranschaulicht“ – Josef Lazzari

    Was ist das Problem mit der derzeitigen Auslegung der italienischen Verfassung?

    Bereits im ersten Artikel der italienischen Verfassung wird Italien als eine demokratische, auf Arbeit gegründete Republik definiert. Arbeit ist also grundlegend für den italienischen Staat. Trotzdem kommen viele Italiener und Italienerinnen trotz fixer Arbeitsstelle nicht bis an das Monatsende. Die Arbeitsmarkt-Politik der derzeitigen italienischen Regierung trägt nicht dazu bei, dass diesem Problem ein Riegel vorgeschoben wird. Im Gegenteil: Am 1. Mai, am Tag der Arbeit, hat die italienische Regierung ein Gesetz erlassen, welches die prekäre Arbeit fördert, anstatt dieser Einhalt zu gebieten.

    Welche Ausgangslage schafft das neue Gesetz für Arbeitnehmer?

    Früher benötigten Arbeitsgeber einen bestimmten Grund, um einen befristeten Arbeitsvertrag verantworten zu dürfen, etwa als Ersatz für Mutterschaft oder Krankheit. Mit dem neuen Gesetz brauchen die Arbeitsgeber das nicht mehr.

    Was ist das Problem an einem befristeten Vertrag?

    Befristete Verträge bringen das Problem mit sich, dass Arbeitsnehmer ihr ganzes Leben erpressbar sind – entweder sie machen das, was ihnen gesagt wird oder ihr Vertrag wird einfach nicht verlängert. Ebenfalls problematisch ist die Wiedereinführung der Voucher, die ja eigentlich durch ein Staatsgesetz eingeschränkt wurden. Voucher verringern die Pensions- und INAIL-Versicherungsabgaben drastisch – daraus ergibt sich ein Arbeitsverhältnis, das der verfassungsrechtlichen Forderung nach einem freien Leben durch Arbeit nicht entspricht. Auch das Recht auf Gesundheit ist in der Verfassung verankert und auch dieses sehen wir in Gefahr.

  • Die Südtiroler Delegation bei der Kundgebung am 7. Oktober (Foto: CGIL) Foto: CGIL
  • Was läuft im Gesundheitsbereich schief?

    Das Ziel sollte eigentlich sein, dass jeder Mensch von Palermo bis zum Brenner die gleiche Möglichkeit auf medizinische Behandlung hat. Dies ist zurzeit aber keineswegs der Fall. Obwohl aufgrund des demografischen Wandels davon auszugehen ist, dass die Menschen immer mehr Gesundheitsversorgung benötigen, werden die Mittel für den Gesundheitsdienst von Finanzgesetz zu Finanzgesetz gekürzt. Das ist für uns nicht nachvollziehbar und auch nicht akzeptabel.

    „Die italienische Regierung lässt Arbeiter und Arbeiterinnen zunehmend im Stich“ – Josef Lazzari

    Inwiefern hängt das mit dem Arbeitssektor zusammen?

    Die Kollektivverträge im Gesundheitssektor werden zu langsam oder gar nicht erneuert. Durch die daraus resultierenden geringen Gehälter und ungünstigen Arbeitsbedingungen findet sich kein Personal, Krankenhäuser und andere medizinischen Einrichtungen bleibt unterbesetzt. Auch das Recht auf Gesundheit ist in der Verfassung im Artikel 32 verankert, doch das wird einfach ignoriert.

    Wie sieht es im Bildungssektor aus?

    Auch dort haben wir ähnliche Probleme. Bildung kostet, in Italien nicht wenig. Dies erschwert es den Familien, ihren Kindern eine adäquate Bildung zu bieten - mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Auch hier widerspricht die aktuelle Situation den Vorgaben der Verfassung, allen eine adäquate Bildung zu ermöglichen. Nicht vergessen darf man das Recht auf eine gesunde und sichere Umwelt.

    Inwiefern werden Verfassungsrechte im Umwelt-Bereich nicht eingehalten?

    Wasserversorgung, Grundverbrauch, Biodiversität des Öko-Systems, alles Bereiche, die in der Verfassung festgeschrieben sind, deren Rechte wir aber zurzeit nicht garantiert sehen. Und es wirkt auch nicht so, als würde die Regierung was dagegen unternehmen. Ein weiteres zentrales Thema bei der Kundgebung am 7. Oktober ist die angemessene Erhöhung der Pensionsgelder: Rentner kassieren teilweise derart niedrige Summen, dass sie nie bis zum Monatsende kommen. Die Inflation verschlimmert diesen Geldmangel zusätzlich.

    „Man kann den Klimawandel nicht leugnen. Dennoch wird er von der Regierung teilweise so gehandhabt“ – Josef Lazzari

    Die italienische Arbeitswelt ist also zurzeit in einer kritischen Lage?

    Ja. Und wir als Gewerkschaft fordern hier maßgebliche Besserungen. Es dreht sich immerhin um die Einhaltung der Verfassung, welche unsere zentralen Grundrechte garantiert. Es sind genau diese Grundrechte, die Italien zu einem demokratischen Staat machen. Das Problem ist, dass der italienische Staat mit der neuen Regierung zu stark auf die Vermögenden ausgerichtet ist.

    Was bedeutet das?

    Arbeitsnehmer zahlen durchschnittlich 32% ihres Gehaltes an Steuern. Einnahmen auf Kapitalgeschäfte hingegen werden zwischen 12,5 und 27% versteuert. Als Gewerkschaft fordern wir, dass diese Kapitalgeschäfte in Zukunft gleich hoch besteuert werden. Es kann nicht sein, dass über 90% des Steueraufkommens von Arbeitsnehmern und Arbeitsnehmerinnen und Rentnern geleistet wird, diese sich dann aber mit einem nicht funktionierenden Gesundheits- und Bildungssystem herumplagen müssen. Damit haben wir als Gewerkschaft ein Problem.

    Mit einer großen Beteiligung bei der Kundgebung haben die Menschen also ihren Unmut gezeigt – wie geht es jetzt weiter?

    Die Diskussion wurde vorerst durch die jüngsten Ereignisse in Israel in den Schatten gestellt, aber es wird nicht bei dieser Kundgebung bleiben – die Mobilisierung geht weiter. Wir erwarten uns auch keine konkrete Antwort der Regierung, das braucht natürlich alles seine Zeit. Jedenfalls sind bis dato noch keine Gewerkschaften zu Gesprächen mit der Regierung eingeladen worden. Aber irgendwann wollen wir eine Reaktion sehen. Sollte es wirklich kein Einlenken der Regierung geben, kein Signal, das in unsere Richtung zeigt, dann kann es auch irgendwann zu Diskussionen über heftigere Maßnahmen wie einen Generalstreik kommen.

    Ein Beitrag von Nathanael Peterlini