Razzia-Welle trifft Cannabis-Shops
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Bereits seit Beginn des Jahres stürzt das neue Sicherheitsdekret der Regierung Meloni den italienischen Cannabis-Light-Markt in massive Unsicherheit. Verschärfte Kontrollen, Beschlagnahmungen und Strafverfahren treffen Betriebe, die bis zum Inkrafttreten des Dekrets legal waren.
Anfang Dezember verschärfte ein tragischer Todesfall in Mailand diese Situation zusätzlich. Doch dazu später mehr. Fakt ist: Auch in Südtirol wurden bereits in den meisten CBD-Fachgeschäften Beschlagnahmungen durchgeführt.
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Erst beschlagnahmen, dann Fragen stellen
Seit dem Frühjahr steht der italienische Markt für Cannabis-Light unter massivem politischem und rechtlichem Druck. Mit dem neuen Sicherheitsdekret hat die Regierung den bislang geltenden Rahmen für Nutzhanfprodukte grundlegend verschoben: Was über Jahre als nicht berauschend, rechtlich zulässig und wirtschaftlich etabliert war, wird nun pauschal in den Bereich der öffentlichen Sicherheit und des Strafrechts gerückt. Die Folge ist eine Phase tiefgreifender Unsicherheit, in der Betriebe des Sektors kriminalisiert werden – während zentrale Fragen zur Vereinbarkeit des Dekrets mit Verfassungs- und EU-Recht weiterhin ungeklärt sind.
Besonders schwer wiegt für Händlerinnen und Händler die strafrechtliche Dimension: Bei Kontrollen und im Falle einer Beschlagnahmung können sie gemäß Artikel 73 (DPR 309/1990) strafrechtlich verfolgt werden. „Du wirst behandelt, als würdest du harte Drogen verkaufen – obwohl du ein legales Produkt im Laden hast, das nicht berauschend wirkt“, erklärt Markus Trojer Prinoth, Besitzer und Geschäftsführer des CBD-Hanffachgeschäfts Sea of Green in Meran. Unternehmer würden dabei als „Drogenhändler“ gebrandmarkt, im schlimmsten Fall drohten Haftstrafen von zwei bis sechs Jahren, betont Trojer.
„Ansonsten weicht der Kunde auf den Schwarzmarkt aus. Dort weiß niemand, was im Produkt drin ist.“
Und das parallel zu einem Konsum, der längst gesellschaftliche Realität ist: „Der Kunde entscheidet sich für ein nicht-berauschendes legales Produkt und sucht dies auf einem legalen Markt. Findet er es dort nicht, weicht er auf den Schwarzmarkt aus. Dort weiß niemand, was drin ist – und es gibt keine Kontrolle, geschweige denn werden dort Steuern gezahlt.“
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Tod in Mailand als politischer Brandbeschleuniger
Zusätzlichen Auftrieb erhielt diese Entwicklung durch einen tragischen Todesfall in Mailand. Ende November kam dort ein 23-jähriger Mann ums Leben, nachdem er vom Balkon eines Bed & Breakfasts gestürzt war.
Ermittlungen brachten den Vorfall mit dem Konsum von Cannabis-Light-Produkten in Verbindung, die mit dem hochpotenten synthetischen Cannabinoid MDMB-PINACA verunreinigt waren und Orientierungslosigkeit sowie starke Halluzinazionen hervorrufen.Das Dipartimento delle Politiche contro la Droga e le Altre Dipendenze schlug daraufhin Alarm: Die Substanz sei weder mit bloßem Auge noch mit einfachen Tests erkennbar und könne schwere, potenziell tödliche Reaktionen auslösen. Branchenvertreter betonen jedoch, dass der Fall nicht das Ergebnis von CBD oder Nutzhanf an sich sei, sondern von illegalen synthetischen Beimischungen außerhalb regulierter Lieferketten.
Gleichwohl wirkte der Vorfall als politischer Katalysator: In mehreren Regionen intensivierten die Behörden ihre Einsätze, Beschlagnahmungen und Strafanzeigen häuften sich – auch gegen Betriebe, die mit zurückverfolgbaren, nicht berauschenden Produkten arbeiten.
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Sicherheitsdekret verunsichert
Betroffen sind landwirtschaftliche und gewerbliche Betriebe, die bisher offen arbeiteten, Rechnungen ausstellten, auf Rückverfolgbarkeit setzten und regulär Steuern zahlten. Seit Inkrafttreten des neuen Sicherheitsdekrets im Frühjahr dieses Jahres erfolgen Beschlagnahmungen jedoch zunehmend nach Methoden klassischer Antidrogenoperationen – meist ohne vorherige technische Feststellung, ob ein Produkt tatsächlich eine berauschende Wirkung entfalten kann.
In Italien findet sich die Branche damit in einer existenziell bedrohlichen Situation wieder. „Wir leben in konstanter Angst. Heute droht uns die Staatspolizei mit Beschlagnahmungen, in zwei Wochen die Carabinieri, danach vielleicht die Finanzpolizei“, erzählt Trojer.
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Artikel 18 des Sicherheitsdekrets
Kern des Sicherheitsdekrets ist der Artikel 18. Er formuliert den Vorwurf, Cannabidiol (CBD) beeinträchtige das psychophysische Befinden und stelle damit ein Risiko für die öffentliche Sicherheit dar. Dies führte zur pauschalen Brandmarkung von Nutzhanf als Droge. Diese Annahme steht jedoch im klaren Widerspruch zum internationalen wissenschaftlichen Konsens: Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellte bereits 2018 fest, dass CBD keine bewusstseinsverändernde Wirkung entfalte und kein Abhängigkeitspotenzial aufweise. Auch die europäische Rechtsprechung folgt dieser Linie. Der Europäische Gerichtshof entschied 2020, dass Nutzhanfprodukte kein Suchtstoff sind, sofern ihr THC-Gehalt unter 0,2 Prozent liege – und ihre Herstellung und Vermarktung damit grundsätzlich zulässig sei.
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Eine bittere Pille
Auch in Südtirol haben viele CBD-Shops bereits behördliche Einsätze erlebt. So auch Diego Rech, Betreiber des Fachgeschäfts Irie Yard. In seinem Laden wurden am Freitagmittag der vergangenen Woche von Beamten der Quästur Beschlagnahmungen durchgeführt. „Die Beamten kamen in mein Geschäft – ein Teil in Zivil, ein Teil mit Polizeiweste – und sagten, dass sie alles beschlagnahmen müssen und zwar ohne Vorweisung eines von der Staatsanwaltschaft unterzeichneten Beschlagnahmeauftrags“, erzählt Rech.
„Das ist absurd, wir handeln bereits langjährig mit legalen Produkten“
Beschlagnahmt wurden laut Rech vor allem Cannabis-Light-Blüten mit einem Einkaufswert von rund 2.000 bis 2.500 Euro – im Verkauf sei der Verlust deutlich höher. Entscheidend sei jedoch nicht die Ware, sondern das Verfahren: Gegen ihn läuft nun eine Ermittlung wegen „Handels mit Betäubungsmitteln“. „Das ist absurd, wir handeln bereits langjährig mit legalen Produkten“, betont Rech.
Die Folgen seien unmittelbar spürbar gewesen. „Schon am Samstag kamen Stammkunden und ich musste sie wegschicken.“ Seit Inkrafttreten von Artikel 18 sei die Stimmung gedrückt, zeitweise habe er Produkte vorsorglich aus dem Verkauf genommen, um Konflikte zu vermeiden – bis es schließlich doch zur Beschlagnahmung kam.
Bereits zum Sommerbeginn fanden sich viele Unternehmerinnen und Unternehmer im Hanfgeschäft in einer orientierungslosen und hoffnungslosen Situation wieder. In den letzten Monaten habe sich diese „Repressionswelle“ weiter verschärft.
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Forderung: Regeln und Kontrollen – aber sinnvoll
Rech und Trojer sind sich in ihrer Einschätzung einig: Der Tod des 23-Jährigen mache die Schwachstellen eines Systems sichtbar, das durch Tabuisierung und Repression geprägt ist. Synthetische Beimischungen ließen sich nicht zuverlässig durch „Augenschein“ erkennen. „In anderen Ländern gibt es niedrigschwellige Schadensminderungs- und Testangebote; in Italien ist schon die Idee von Drug-Checking politisch und rechtlich heikel, weil sie als ‚Anreiz‘ zum Drogenkonsum interpretiert werden kann“, erklärt Trojer. Eine repressive Regulierung verhindere Aufklärung und fördere damit Unwissenheit.
Gleichzeitig räumen beide ein, dass der Markt Verantwortung trage. „Es braucht Berufsethik. Was man Kunden anbietet, darf nicht gefährden.“ Doch gerade weil in einem kriminalisierten Umfeld eine anhaltende Nachfrage nach „THC-ähnlichen“ Effekten bestehe, entstünden immer neue Ersatzstoffe, die kurzfristig rechtlich durchrutschten. Das synthetische Cannabinoid HHC sei ein Beispiel aus der jüngeren Vergangenheit: erst Boom, dann Verbot – und danach die nächste Welle neuer Substanzen.
„Ich wäre froh, wenn es klare Regeln und faire, strukturierte Kontrollen gäbe.“
Wie es für den Handel in Italien und auf lokaler Ebene weitergeht, bleibt offen. Nach Angaben der Interviewten wurden inzwischen in knapp hundert CBD-Shops landesweit Beschlagnahmungen durchgeführt. Trotz allem ist Rech nicht grundsätzlich gegen Kontrollen. Im Gegenteil: Er fordert eine Regulierung, die reale Gefahren gezielt bekämpft, statt ganze legale Lieferketten zu kriminalisieren. „Wir haben nichts zu verstecken“, sagt er. „Ich wäre froh, wenn es klare Regeln und faire, strukturierte Kontrollen gäbe.“ Derzeit sei es ein Markt, in dem die Verantwortung faktisch den Ladenbesitzerinnen und -besitzern überlassen werde – ohne institutionelle Absicherung.
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