Kultur | Salto Afternoon
Der Klügere und das Gesetz der Straße
Foto: Screenshot Trailer YouTube
Während die beiden Oscar-Gewinner „Everything, everywhere all at once“ und „Im Westen nichts Neues“ ihre Ehrenrunde auf der Leinwand angetreten haben und das Südtiroler WOBIversum mit realen Blicken in den hiesigen sozialen Wohnbau lockt, verspricht „Sonne und Beton“ anfangs: „Es war alles genau so, vielleicht aber auch nicht.“ Damit signalisiert man uns, dass wir gleich in eine nicht ganz reale, aber lebensnahe Welt eintauchen.
Es ist der Rekordsommer 2003, man wollte Felix Lobrechts gleichnamigen Debüt-Roman nicht ins Heute verfrachten und viel Set-Dressing brauchte es ohnehin nicht um 20 Jahre in die Vergangenheit zu reisen: Ein paar alte Nokia-Handys (die unzerstörbaren), Walkmen und CD-Player, sowie graue Computerrechner erfüllen die Aufgabe gut. Ach ja, auch eine Portion Deutschrap darf man hier nicht vergessen.
Hier ändert sich nicht viel, es ist auch wenig Hoffnung auf Veränderung zu sehen. Der Coming-of-Age-Stoff führt uns in ein fremdes Universum zwischen Betonriesen und verschlossenen Horizonten ein, Reisebegleiter sind die vier Jungen Lukas (Levy Rico Arcos, unser Protagonist), Julius (Vincent Wiemer), Gino (Rafael Luis Klein-Heßling) und ihr neuer Klassenkamerad Sanchez (Aaron Maldonado-Morales). Sie alle erhalten ihren - mehr oder minder tragischen - Background, die Probleme sind jene, mit denen man rechnet: keine Aussicht auf eine vernünftige Bildung, Mittellosigkeit, Rassismus, Gewalt, Alkohol, Drogen. Gerade Lukas wird uns als zwischen Ablehnung und Anbiederung an das raue Umfeld gezeigt: Sein Vater will ihm beibringen, dass das - aus seiner Zeit und damit vielleicht überholte - Gesetz der Straße „der Klügere gibt nach“ lautet, sein großer Bruder lehrt ihn „der Klügere tritt nach“.
Vier ungleiche Freunde, die uns - mit Ausnahme von Julius - gleich sympathisch sind. Wir blicken in die Abgründe ihres Umfelds, erleben in nahen Kameraeinstellungen mit, welcher Druck auf sie ausgeübt wird. Der Berlinale Film ist dabei durchaus auch um sprachliche Authentizität bemüht, ist im gesagten roh und ungefiltert, da gibts beim Sprechen schon mal „dings“ oder „bitches“. In vielen der Nebenrollen wurde auch von der Straße weg gecastet, die Statist:innen stammen alle von vor Ort oder aus dem näheren Umfeld der Gropiusstadt in Berlin.
Treibende Kraft der Handlung, welche sich in zwei Stunden mit einigen zu ähnlichen Szenen etwas verschleppt ist dabei ein Konflikt, der scheinbar aus dem Nichts entsteht. Bei der Gewaltdarstellung ist der Film dabei nicht zimperlich, die Freigabe ab 12 hat die Freiwillige Selbstkontrolle (FSK) mit stilistischen Überzeichnungen und Studiencharakter, wie auch der zeitlichen Distanz und einem versöhnlichen Ende begründet. Aggression liegt in der Luft, wir erleben einen Ausbruch von Gewalt, der gleichermaßen dumm und vermeidbar erscheint. Später verstehen wir besser, wie es dazu kam, da wir miterleben, dass hier (fast) alle zwei Gesichter haben: Eines für die Straße und eines, welches sie nur zuhause zeigen können. Schwäche zeigen ist verboten, oder, wie es jemand im Laufe des Films zum Ausdruck bringt: „Die denken ich bin so, dann bin ich halt so.“ Halt so sein, das heißt auch, Stärke zu markieren und Schutzgeld zu erpressen. 500 Euro sind alles, worum es im Film geht, Geld, welches für vier Schüler in weiter Ferne ist, auch wenn sich eine Möglichkeit bietet. Dazwischen immer wieder Ausflüchte und Set-backs für den Einzelnen und die Gruppe. Löblich ist zum Spiel der vier Hauptdarsteller ihre gute Chemie zu erwähnen, welche den ungleichen Freundeskreis glaubhaft macht.
Dem Regisseur David Wnendt ist mit „Sonne und Beton“ sicher kein neuer Meilenstein des Deutschen Films geglückt, aber ein guter, wenn auch nicht immer ganz runder Streifen. Er ist für Komödien jenseits des politisch Korrekten („Feuchtgebiete“ und „Er ist wieder da“), sowie erbarmungslose Milieu-Einblicke bekannt (wie sein Debüt von 2012, „Kriegerin“, über eine Neo-Nazi-Jugendclique). Sein letzter Film kommt wieder mehr nach dem ersten. Gut so.
Der Film macht es sich allerdings zum Teil zu leicht, an anderen Stellen geht man einen unerwarteten Schritt in die richtige Richtung, gerade da, wo gezeigt wird, dass nicht die Jugendlichen das eigentliche Problem sind. Wenn Lehrer an der Schule hinter vorgehaltener Hand von Schülern mit Migrations-Hintergrund als „irgendwelche Alis“ sprechen, dann wird auch deutlich, wie schwer es in einem solchen Setting sein muss an sich selbst und an den eigenen Weg in ein besseres Leben zu glauben, oder: „Erstmal Abi machen.“ Leicht gesagt, schwer getan und da verlässt uns der Film schon wieder.
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