Gesellschaft | Sanität
Problematische Beförderung?

Foto: upi
Eigentlich ist schon alles entschieden und es fehlt nur mehr der formale Ernennungsbeschluss. Diese Woche sollte der neue Primar für Anästhesie am Krankenhaus in Innichen ernannt werden. Doch dazu wird es nicht kommen.
Der Südtiroler Sanitätsbetrieb wird zudem auch alle weiteren Ernennungen von Primaren aussetzen. „Mit einem Gesetz sub judice werden alle neuen Ernennungen eingefroren“, sagt der Leiter der zuständigen Rechtsabteilung des Südtiroler Sanitätsbetriebes, Marco Cappello, zum „Corriere dell’Alto Adige“.
Der Grund dafür ist ein juridisches Erdbeben, das zum Einsturz eines seit vielen Jahren bestens kollaudierten Beförderungssystems in der Südtiroler Sanität führen könnte. Es geht dabei um die Ernennung der Primare und die Auswahl der Direktoren der komplexen Strukturen. Während die Staatsgesetze klare Vorgaben machen, die eine externe und vor allem neutrale Beurteilung der Kandidaten und Kandidatinnen garantieren sollen, setzt das Südtiroler Landesgesetz auf eine lokale Lösung mit starker Einbeziehung der Spitze des Sanitätsbetriebes.
Nicht nur von den Gewerkschaften wird dieses System der „politischen Ernennungen“ seit vielen Jahren offen kritisiert, sondern es gab bereits ein halbes Dutzend Gerichtsverfahren, in denen ernsthafte Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Südtiroler Bestimmungen aufgeworfen wurden.
Jetzt aber ist man einen Schritt weiter.
Das Verfahren
Es war der „Corriere dell’Alto Adige“, der die Nachricht am vergangenen Samstag exklusiv ausgegraben hat. Eine Ärztin hatte sich 2019 an einem Auswahlverfahren für ein Primariat in Südtirol beworben und war von der zuständigen Expertenkommission unter die drei Geeigneten gereiht worden. Nachdem aber ein anderer ernannt wurde, klagte die Medizinerin im Jänner 2020 vor dem Arbeitsgericht Bozen.
Fast 16 Monate später dann der Paukenschlag. Der zuständige Arbeitsrichter Giulio Scaramuzzino hat am 14. Mai 2021 das Verfahren an das Verfassungsgericht weitergeleitet. Das Anliegen des Arbeitsrichters: Das italienische Höchstgericht soll klären, ob die Südtiroler Landesgesetze, die die Ernennung der Primare regeln, verfassungswidrig sind.
Obwohl das Land Südtirol primäre Gesetzeskompetenz in diesem Bereich hat, bestehen seit langem berechtigte Zweifel an der Südtiroler Regelung.
Die Expertenkommission
Dabei geht es um die Expertenkommission, die die Eignung der Bewerber feststellt. Im Staatsgesetz ist vorgesehen, dass das Auswahlverfahren von einer vierköpfigen Kommission gemacht wird, dem der Sanitätsdirektor der betroffenen Struktur angehört, sowie drei Direktoren von komplexen Strukturen aus demselben Bereich, in dem der Primar ernannt wird. Diese drei Kommissionsmitglieder werden aus dem nationalen Verzeichnis der Direktoren ausgelost. Sollten zufälligerweise alle drei Ausgelosten aus derselben Region stammen, wird so lange weitergelost, bis zumindest einer der drei Experten aus einer anderen Gegend kommt.
Nach dem Südtiroler Landesgesetz hingegen wird ein Primar durch den Generaldirektor des Sanitätsbetriebes ernannt. Dabei kann der Generaldirektor völlig freihändig aus einem Dreiervorschlag auswählen, den eine Expertenkommission macht.
Auch diese Expertenkommission wird vom Generaldirektor ernannt und ihr gehören neben dem Sanitätsdirektor, zwei weitere Experten aus dem Fachbereich, in dem die Stelle vergeben wird, an. Einer davon wird vom Sanitätsrat ernannt. Damit werden zwei von den drei Mitgliedern de facto von der Landesregierung ernannt.
Das Verfassungsgericht muss jetzt klären, ob dieser Südtiroler Ernennungsmodus gegen die Prinzipien und Grundregeln des Staatsgesetzes verstößt. Sicher ist, dass man allein schon wegen der Zweisprachigkeit kaum das Staatsgesetz eins zu eins übernehmen kann. Anderseits gehört in Südtirol eine direkte „politische Einflussnahme“ bei der Ernennung der Primare zur Tagesordnung. So kann schon mal der Inhalt einer Aussage vor einem Untersuchungsausschuss des Landtages durchaus entscheidend für das berufliche Weiterkommen eines Arztes sein.
Weil dasselbe System auch bei der Ernennung in der Pflege greift, könnte das Urteil des Verfassungsgerichtes die Südtiroler Sanität nachhaltig erschüttern. Denn auf den Sanitätsbetrieb dürften dann Schadenersatzforderungen Dutzender abgeblitzter Kandidatinnen und Kandidaten zukommen.
Die Landesregierung wird sich demnach hier etwas einfallen lassen müssen.
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