salto.music | Interview

Fragmentierte Kollektive

Judith „Youdiditagain“ Daporta ist DJ und Teil der Kollektive GÖR und VirusClub. Sie erzählt von ihrer Teilnahme am Event „Nightschool“, von den Baustellen in der hiesigen freien Kulturszene und vom anstehenden Electronic-Festival „Foehrentanz“ in Barbian.
Youdiditagain
Foto: Privat
  • salto.music: Judith, du hast letzten Samstag an der „Nightschool“ in der BASIS Vinschgau Venosta teilgenommen. Wie war dein Eindruck?

    Judith Daporta: Mein erster Eindruck war: Hmm... wo ist der Rest? Der Rest von uns lokalen, freien Kulturschaffenden. Doch das Konzept von „uns“ ist fraglich. Wir existieren nicht als definiertes Kollektiv, sondern eher als isolierte Fragmente, verteilt im ganzen Land. Das „uns“ müssen wir erst noch formen, konkretisieren.

  • Vermisste den „Rest von uns lokalen, freien Kulturschaffenden“ bei der „Nightschool“ in der BASIS Vinschgau Venosta vor knapp zehn Tagen: Judith „Youdiditagain“ Daporta – auf der vorderen Treppe zweite von rechts – versucht als Teil des GÖR-Kollektivs die hiesige Nachtkultur für alle Beteiligten zu verbessern. Foto: Raymond van Mil
  • salto.music: Du bist ja Teil des GÖR-Kollektivs. Habt ihr am Wettbewerb mit einem eigenen Projekt teilgenommen?

    Judith Daporta: Zwei Mitglieder des GÖR-Kollektivs haben jeweils Projekte eingereicht, die auf soziale Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung fokussierten. Leider hat es weder für uns, noch für andere Locals zur Qualifikation gereicht. Wir freuen uns jedoch für alle, die erfolgreich waren.

    In Südtirol wird Kulturarbeit fast ausschließlich ehrenamtlich, neben der regulären Erwerbstätigkeit betrieben. Für die Teilnehmenden der „Nightschool“ hingegen ist Subkultur der zentrale Bestandteil ihrer Tätigkeiten. Für den Wettbewerb bedeutete dies deutlich unterschiedliche Ausgangsbedingungen, sowohl qualitativ als auch quantitativ – etwa hinsichtlich der Ressource Zeit. Wahrscheinlich hat es deshalb für die Locals nicht gereicht, die Ausgangsbedingungen waren zu unterschiedlich.

  • Fokussiert sich in seinen Aktivitäten auf soziale Nachhaltigkeit und Gleichberechtigung in der Nachtkultur: Das GÖR-Kollektiv hat mit einem eigenen Projekt an der Ausschreibung der diesjährigen „Nightschool“ teilgenommen. Foto: GÖR Kollektiv
  • salto.music: Das gesamte „Nightschool“ hat ja das Ziel, die Situation der Nachtkultur zu verbessern. Wenn du auf Südtirol schaust, welches sind die dringlichsten Baustellen (oder besser Hindernisse?) diesbezüglich?

    Judith Daporta: Die Inhalte dieser „Nightschool“ erschienen mir stark an der Großstadt-Clubszene orientiert. Ein an die Bedürfnisse Südtirols angepasstes Format fände ich äußerst inspirierend und hilfreich. Mit fast 521.000 Einwohner auf 7.400 km², haben wir hier doch gänzlich andere Prioritäten und Bedürfnisse als in einer Großstadt – denken wir z.B. an den Bereich Mobilität.

    Doch sicherlich wird in naher Zukunft keine Cultura Maxima vom Himmel herabsteigen und sich für uns Kulturschaffende einsetzen. Wir müssen selbst aktiv werden!

    So gibt es erfreulicherweise bereits eine Initiative zur Gründung einer „Freien Kultur Vereinigung“, um junge Kultur, Nachtkultur und Subkultur zu fördern. Wir wollen eine lebendige, freie und vernetzte Kultur realisieren, die unsere Visionen für Südtirol als soziale Innovation widerspiegelt. Schon bald wird ein Schreiben mit näheren Informationen dazu veröffentlicht werden.

  • Die „Nightschool“ in der BASIS Vinschgau Venosta am Samstag, 08. Juni 2024: Eine Möglichkeit zur Vernetzung, aber gleichzeitig andere europaweite Projekte kennenzulernen, die die Nachtkultur auf verschiedenen Ebenen weiterentwickeln. Foto: Raymond van Mil
  • salto.music: Gemeinsam mit dem VirusClub organisierst du nächstes Wochenende die sechste Auflage vom „Foehrentanz“. Habt ihr da bereits Initiativen implementiert, die zur Verbesserung der Nachtkultur beitragen?

    Judith Daporta: Unsere Initiative konzentriert sich stark auf Vernetzung und Zusammenarbeit der hiesigen Szene. Ein zentraler Schwerpunkt liegt auf der Integration lokaler KünstlerInnen im Einklang mit internationalen Artists. Besonders wichtig ist uns dabei die regelmäßige Rotation im Booking, die wir durch unsere „Zweijahresregel“ sicherstellen. Dies bedeutet, dass keine Künstlerin, kein Künstler zwei Jahre hintereinander auf unserem Festival performt.

    Darüber hinaus verfolgen wir aktiv Umweltschutzmaßnahmen, die bereits vor dem Aufkommen der Zertifizierungstrends begannen. Unser Festival setzt konsequent auf Plastikvermeidung, insbesondere bei Getränken, und verwendet keine gekaufte Dekoration. Stattdessen bauen wir alles aus wiederverwertbarem Sperrmüll selbst. Kostenlose Taschenaschenbecher, sowie kostenloses Wasser und Obst sind ebenfalls Teil unseres Engagements für ein umweltfreundliches und sozial nachhaltiges Erlebnis.

  • Zwei Kollektive, ein Festival: VirusClub Barbian und Shabernak Bozen vereinen die Kräfte, um die 2024er-Ausgabe von „Foehrentanz“ gemeinsam zu stemmen. Foto: Privat
  • salto.music: Wie steht denn Barbian – Dorfbevölkerung bzw. Gemeindeverwaltung – zum „Foehrentanz“? Gab/gibt es Widerstände?

    Judith Daporta: Die Einbindung der örtlichen Bevölkerung ist uns ein zentrales Anliegen. Das Festival erstreckt sich über zwei Tage, wobei der Freitag auch als kultureller Abend für die Dorfgemeinschaft konzipiert ist. Am Samstag besuchen ebenfalls viele Generationen der Gemeinde den „Foehrentanz“, was uns natürlich sehr erfreut.

    Widerstand gehört zum Natürlichsten auf der Welt, und es wäre utopisch zu glauben, dass ein Festival ohne Herausforderungen organisiert werden könnte. Wir bemühen uns stets um offenen Austausch und suchen nach zufrieden stellenden Lösungen für alle Beteiligten.

    salto.music: Heuer schließt ihr euch für den „Foehrentanz“ mit dem Kollektiv Shabernak aus dem Großraum Bozen zusammen. Wie kam es dazu?

    Judith Daporta: Die Idee entstand aus einem lockeren Gespräch unter verschiedenen Kulturschaffenden der lokalen elektronischen Musikszene. Infolgedessen hat sich Shabernak an uns gewandt und eine Kooperation vorgeschlagen. Unser „Foehrentanz“ ist stark vom Fusion-Festival in Lärz/Deutschland inspiriert, wo verschiedene Initiativen zusammenwirken. Daher entsprach die Anfrage genau unserem Grundgedanken. Auch harmonieren VirusClub und Shabernak sowohl in ihren Visionen als auch in ihrer konzeptuellen Gestaltung optimal miteinander.

    Unsere Kooperation soll hoffentlich dazu anregen, sich verstärkt um eine bessere Vernetzung freier Kulturinitiativen in Südtirol zu bemühen.

  • Findet an kommenden Wochenende wieder in Barbian statt: Ein zweitätiges Electronic-Festival, das seit Bestehen nicht nur auf die Musik, sondern auch auf die effektive Nachhaltigkeit des Events achtet. Foto: Wolfgang Gafriller
  • salto.music: Ihr gebt die Artists für „Foehrentanz“ ganz bewusst nicht bekannt, das Publikum soll sich überraschen lassen. Trotzdem, was kannst du uns zu den zwei Tagen programmtechnisch sagen?

    Judith Daporta: Diverse elektronische Klänge prägen das gesamte Festival. Der erste Festivaltag steht unter dem Zeichen „Friday of Impressions“. Von 19 Uhr bis Mitternacht erwarten euch Performances, experimentelle Töne und tanzbarer Sound. Der Eintritt am Freitag ist frei.

    Samstag ist Tanztag! Los geht's um 11 Uhr mit einem Slow-Techno-Brunch von Shabernak, gefolgt von einem dynamischen Abendprogramm des VirusClub. Früh da sein lohnt sich, denn bis 14 Uhr gibt es ermäßigten Eintritt. Neu in diesem Jahr sind zwei Bühnen: Die Foehrentanzbühne und die „Casa delle Scimmie“. Traditionell ist neben Techno auch diesmal wieder Drum'n'Bass mit dabei.

    Shabernak verwöhnt uns kulinarisch mit Brunchkörben, Pizza und hausgemachtem Kuchen. Und durch zahlreich verstreute Installationen ist der „Foehrentanz“ generell als faszinierendes Entdeckungsfeld kreiert.

     

  • „Am liebsten bewege ich mich zwischen 128 und 135 Beats per Minute, mitunter sogar schneller“: Judith Daporta, bzw. Youdiditagain, ist als DJ unterwegs, engagiert sich aber aktiv für eine Weiterentwicklung und Verbesserung der hiesigen Kulturszene. Foto: Privat
  • salto.music: Du bist als DJ unter dem Namen Youdiditagain unterwegs. Deswegen die abschließende Frage: Was gibt es Neues in deinem Repertoire... was ist letzthin rausgeflogen, was ist neu dazugekommen?

    Judith Daporta: Am liebsten bewege ich mich zwischen 128 und 135 Beats per Minute, mitunter sogar schneller. Meine Selection ist eine tief gehende Expedition ins Unbekannte, wo düstere und dystopische Energien aufeinandertreffen und sich zu einer Retro-Fusion à la „Neuromancer“ (ein Roman aus den 80er Jahren) formen. Vorwiegend in Moll gehalten, ab und zu mit einem Hauch von Dur, aber immer mit einer dominanten Bassline. Gelegentlich experimentiere ich auch mit langsameren Sets um die 100 BPM, die eine kunstvolle Mischung aus Tanzbarkeit und künstlerischer Freiheit bieten. Manch glückliches Ohr bekommt sogar die Gelegenheit, einen meiner unveröffentlichten Tracks zu lauschen, so geschehen etwa beim Opening der „Frauenfeste“ in der Festung Franzensfeste.

  • „Meine Selection ist eine tief gehende Expedition ins Unbekannte, wo düstere und dystopische Energien aufeinandertreffen und sich zu einer Retro-Fusion à la ‚Neuromancer‘ formen.“: Youdiditagain über die Musik, die sie zur Zeit ins Publikum schickt. Foto: Privat