Sister of Hope
salto.bz: Schwester Rosemary, Sie sind bereits das zweite Mal innerhalb eines Jahres in Südtirol. Was führt Sie diesmal in die Dolomiten?
Ziel meiner Reisen ist es, Bewusstsein für die Lage der Frauen und Kinder zu schaffen, die ich in Uganda unterstütze. Die Menschen wissen zwar, dass es Kindersoldaten gibt. Doch es ist kaum bekannt, dass es sich dabei nicht nur um Jungen handelt, sondern auch viele Mädchen und junge Frauen von der Lord's Resistance Army von Joseph Kony verschleppt und zum Töten gezwungen wurden.
Sie haben mit ihrem Projekt "Sewing Hope - Hoffnung nähen" bereits tausende solcher ehemaliger Kindersodatinnen in ihrem Zentrum aufgenommen und lehren ihnen dort unter anderem, aus Laschen von Getränkedosen kunstvolle Taschen zu nähen. Kann all das Furchtbare und Schmerzhafte, das diese junge Frauen erlebt haben, tatsächlich durch Nähen geheilt werden?
Wir helfen diesen Frauen, hinter sich zu lassen, was sie mitgemacht haben. Das ist natürlich keine kurzfristige Sache, sondern ein sehr langer Weg, auf dem sie Begleitung brauchen. Wir machen das, indem wir ihnen das Gefühl geben, dass eine bessere Zukunft auf sie wartet. Und um diese Hoffnung zu wecken, sind Nähnadeln wichtig. Denn wir haben beobachtet, dass es diesen Frauen bei der Verarbeitung ihres Schmerzes sehr hilft, mit ihren Händen zu arbeiten. Mit einer Nadel schaffen sie es nicht nur, aus einzelnen Stücken Stoff oder Abfall etwas Schönes zu machen, sie können damit auch ihr eigenes Leben wieder schön machen.
Doch dieser Prozess erfordert viel Zeit?
Natürlich ist es sehr schwierig, eine solche Vergangenheit loszulassen. Noch dazu, da viele Frauen aus dieser Zeit Kinder haben, die vielfach aus Vergewaltigungen hervorgegangen sind. Das heißt, die stärkste Erinnerung an ihre Vergangenheit sind ihre eigenen Kinder. Deshalb ist es ein ganz wichtiger Teil unserer Arbeit, sie dazu zu befähigen, diese Kinder anzunehmen, sie zu lieben und sich um sie zu kümmern.
Und dafür ist es auch wichtig, ein eigenes Einkommen haben?
Ja genau. Denn nur so können sie zu beginnen, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Deshalb lernen wir ihnen, die Nadel zu gebrauchen, um Taschen, Kleider oder was auch immer zu machen, und damit wieder auch ein Stück ihrer Würde zurückzubekommen.
Viele der Frauen sind Analphabetinnen?
Ja, der Analphabetismus ist ein Problem. Deshalb müssen wir die Frauen auch dabei unterstützten, Lesen und Schreiben, aber auch Englisch zu lernen. Im September starten wir darüber hinaus mit einem neuen Programm der transformative education...
"Wenn diese Leute nach Europa kommen, um ein besseres Leben zu haben, gilt es zu fragen: Was können wir machen, damit sie in Afrika ein besseres Leben haben. Die Medizin können wir an der Wurzel eines Problems finden, und die Wurzel liegt in diesem Fall in Afrika."
Also einer Bildung, die das Potential zu wandeln, zu transformieren hat. Was ist darunter genau zu verstehen?
Ziel ist es, den Frauen eine Stimme zu verleihen. Um über ihre Vergangenheit zu sprechen, aber auch das, was die Zukunft bringen kann, um einander in diesem Heilungsprozess zu unterstützen. Dafür werden wir ihnen Möglichkeiten bieten, andere Frauen zu treffen, miteinander in Diskussion zu kommen und sich gegenseitig dabei zu unterstützen, ihre Zukunft gut zu gestalten.
Das klingt alles nach extrem viel Arbeit. Wie schaffen Sie das?
Ich bin natürlich nicht allein, obwohl wir zu Beginn tatsächlich nur zu dritt waren. Mittlerweile habe ich aber 15 Klosterschwestern, die mit mir arbeiten. Darüber hinaus gibt es viele Freiwillige, die uns helfen. Vor allem aus den USA kommen Medizinstudierende, IngenieurInnen, LehrerInnen.... Mit deren Hilfe haben wir jetzt zum Beispiel eine zweite Schule gebaut. Auf meinen Reisen versuche ich, noch mehr Menschen zu gewinnen, die uns bei unseren unterschiedlichen Aktivitäten unterstützen. Also, wir könnten auch durchaus noch Freiwillige aus Italien brauchen! Meine Tätigkeit besteht dagegen immer stärker darin, Bewusstseinsarbeit für das Projekt zu leisten, also als seine Botschafterin und Fürsprecherin aufzutreten.
Und was ist Ihnen dabei wichtig, den Menschen in Europa zu übermitteln?
Meine wichtigste Botschaft ist: Kommt und schaut Euch selbst an, worüber ich Euch hier erzähle. Also, wenn Ihr wirklich dazu beitragen möchtet, das Leben einer Frau, eines Kindes zu verändern, brauchen wir Euch bei uns. Natürlich könnte ich jetzt sagen, wir brauchen Geld. Doch wenn Sie mir Geld geben, wissen Sie nicht, wohin dieses Geld geht, sehen Sie nicht, was ich damit mache. Deshalb ist es viel besser, nach Uganda zu kommen, und sich mit den eigenen Augen ein Bild zu machen. Denn dieses Projekt braucht viele Menschen, die zusammenarbeiten.
Ihre Taschen werden teils als Luxusartikel verkauft; wenn man den Medien glaubt sogar an Hollywoodstars. Sie selbst wurden vom Time Magazine zu einer der 100 einflussreichsten Frauen der Welt gekürt. Wie haben Sie es geschafft, so viel Bekanntheit zu erreichen, was können andere Hilfsprojekte von Ihnen lernen?
Vielleicht ist es einfach unsere Botschaft. Ich arbeite mit jungen Frauen, die von der Gesellschaft wie Müll behandelt werden, ich zeige ihnen, wie sie aus Müll etwas Schönes machen können und das auch noch an Menschen verkaufen können. Wenn sich diese ehemaligen Kindersoldatinnen dabei mit ihrem Schmerz konfrontieren, mit ihm arbeiten, werden auch sie wieder schön. Ich denke, die Leute kaufen unsere Taschen nicht, weil sie so schön oder so teuer sind. Sie zahlen dafür, weil sie daran teilhaben wollen, jemandes Leben besser zu machen.
In Europa kommen viele Menschen aus Afrika an, die hier neue Hoffnung und ein besseres Leben suchen. Was empfiehlt eine der hundert einflussreichsten Frauen der Welt Europas PolitikerInnen im Umgang mit diesem Flüchtlingsstrom?
Ich sehe diesen großen Strom von Menschen und ich sehe auch die Güte von vielen Menschen, die sie hier aufnehmen. Gleichzeitig würde ich den Europäern aber empfehlen, genauer hinzusehen, warum diese Menschen hierherkommen. Wenn wir nicht nur vorübergehende, sondern eine dauerhafte Lösung dieser Probleme zu suchen, werden Sie darum nicht herum kommen. Wenn diese Leute nach Europa kommen, um ein besseres Leben zu haben, gilt es zu fragen: Was können wir machen, damit sie in Afrika ein besseres Leben haben. Die Medizin können wir an der Wurzel eines Problems finden, und die Wurzel liegt in diesem Fall in Afrika. Ich bin mir bewusst, dass das keine großartige neue Lösung ist, doch für mich ist es die einzig Richtige. Es gilt, die Lebensbedingungen in Afrika zu verbessern, es gilt, dort Jobs für junge Menschen schaffen.
Wenn wir von Ihrer Heimat Uganda ausgehen, was kann Europa dort konkret verbessern?
Es kann vor allem in Uganda investieren. Ein einfaches Beispiel: Unsere Wirtschaft ist immer noch sehr stark von der Landwirtschaft abhängig und Italien hat in diesem Bereich sehr viel Know-how. Also schauen wir, wo es Partnerschaften geben könne, suchen wir Lösungen, wie die Situation der Frauen, die in Ugandas Landwirtschaft die Hauptbeschäftigten sind, verbessert werden kann – dank des Wissens, das Italien in diesem Bereich hat.