Kultur | Der Blick auf Bruneck

Die Stadtschreiberinnen

Mit drei Adjektiven lässt sich Bruneck nicht beschreiben, auch nicht mit drei Wörtern und schon gar nicht mit drei Farben. „Es geht in so viele Richtungen“, sind sich die Stadtschreiberinnen Jana Haberecht und Ina Simon einig.
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Foto: Helmuth Rier

„Ich empfinde es als puren Luxus. Ich darf einen Monat lang nur schreiben, draußen sein, beobachten, rum sitzen, künstlerisch tätig sein....“ Ina Maria Simon ist begeistert, zum ersten Mal sieht sie Südtirol, „die Berge, die Natur, all das Grün hier, das ist unglaublich, es ist das Paradies hier für mich.“ 35 Jahre alt, wohnhaft in Frankfurt am Main, „im Mittelgebirge“, weiß sie um die Ehre, die ihr als auserkorene Stadtschreiberin zuteil wurde: „Es ist toll, hier zu sein", und sie räumt ein, "ein Monat ist so schnell vorbei, ich sauge die Eindrücke gerade in mich auf, aber wie es wäre, dauerhaft hier zu leben...?“

Während der Lehrerin für Spanisch, katholische Religion und Kunst die Worte aus dem Mund sprudeln, ihr Gesicht ein einziges Lachen, eine kleine Brille auf der Nase, bleibt die Zweite in der Runde ernst. Jana Haberecht, 23, ist Kulturstudentin. Ihre Ernsthaftigkeit ist auf den zweiten Blick sichbar, ihre weiße Haut, ihre hellen Haare, stechen ins Auge. "Ich sitze lieber im Schatten" sagt sie, wählt ihre Worte mit Umsicht, sie müssen passen: „Ich komme aus dem Flachland, aus der Nähe von Berlin, war mit sieben Jahren einmal in den Bergen. Diese ganze Natur hier, das hat mich schon sehr beeindruckt.“ Obwohl ihre Namen zum Verwechseln einladen, unterscheiden sich die beiden Schreiberinnen optisch, rethorisch und auch schriftstellerisch „komplett voneinander.“ „Ich glaube gerade deshalb wurden wir ausgewählt“, vermutet Haberecht. Simon fügt hinzu: „Ursprünglich wollten sie ja nur eine Stadtschreiberinnen, aber wir haben den Verdacht, dass wir beide dran gekommen sind, weil wir ganz andere Typen sind und dabei auch zwei ganz andere Arbeiten herauskommen werden.“

Bruneck lässt schreiben

Eine Stadt, die etwas auf sich gibt, lässt schreiben. Bruneck, mit 14.000 Einwohnern, nahm die neue Stadtbibliothek zum Anlass der Wettbewerbsausschreibung. „Im Oktober wenn die Bibliothek offiziell eingeweiht wird, werden wir unsere Texte vorstellen“, erklärt Simon und freut sich „da dürfen wir dann wieder kommen.“ In memoriam Norbert C. Kaser lautete der Titel der Ausschreibung, mit 50 Bewerbungen wurde die 6-köpfige Jury der Stadtbibliothek konfrontiert, die Wahl fiel auf zwei Schreiberinnen aus Deutschland Mitte und Deutschland Norden: Simon und Haberecht.

Ohne und mit Konzept

Ina Haberecht hat sich die Museen angeschaut, will jetzt in die Natur. „Ich hab einen Wust an Notizen und Eindrücken, tu mich aber schwer zwischendurch schon was zu veröffentlichen – ich hab den Drang ein Konzept stehen zu haben, bevor ich schreibe.“ Ina Simons Zugang zum Schreiben ist spontan, am Wochenende war sie mit dem AVS auf einer Bergtour in Sexten „da gab es so herzliche Begegnungen, ja, das hat mich berührt.“ Von Konkurrenz untereinander möchten beide nicht sprechen, „ich könnte nicht nach Konzept vorgehen“, sagt Simon „und ich nicht so spontan schreiben“, ergänzt Haberecht. Gemeinsam wohnen sie in einer kleines Appartement des Brunecker Stadttheaters. „Es ist wie in einer WG“ erzählt Haberecht, Simon schwärmt: „Total fein - nur ein Mückenproblem haben wir.“ Grad ist Halbzeit auf ihrer Schreibreise durch Bruneck, durchs Pustertal. Den ganzen August verbringen sie hier, mit einem Salär von 500 Euro pro Kopf. Vorgaben gibt es keine, freie Hand dem künstlerischen Schaffen. Vier Wochen, eine kurze Zeit, um ein Bild der Stadt zu zeichnen. Doch vielleicht gerade richtig, um nicht rein zu kommen: in den Trott des Alltags, der Gewohnheit. Die Vorgabe der Jury bei der Wettbewerbsausschreibung war: Keine Bewerbungen aus Bruneck.

Ein Blick, ein schneller

Der unverfälschte, unvoreingenommene Blick von außen kann nur von jemandem kommen, der mit dem Hier nicht verbunden ist. „Von der Einwohnerzahl ist Bruneck eine doch sehr kleine Stadt, ich wundere mich sehr, dass so viel los ist. Durch den Tourismus aufbereitet“, schildert Haberecht ihre Eindrücke. Und Simon beobachtet: „Das Verwurzelt-Sein der Leute hier, die ihr ganzes Leben hier gewohnt haben, das empfinde ich als sehr stark - das wäre in Frankfurt unvorstellbar.“ Hat das Verwurzelt-Sein mit dem Ländlichen zu tun? „Ich finde es auffallend wie viele Menschen, mit denen ich gesprochen habe, noch gar nirgends anders waren, immer hier, in ihrer Heimatstadt geblieben sind“, sagt die Stadtschreiberin. Die Liebe zu den Bergen, das steche ihr ins Auge „aber ich kann es absolut nachvollziehen.“ Ausschnitte, Häppchen, kein Anspruch auf Vollständigkeit - den Beiden ist klar, sie können und wollen nur Subjektives liefern.

Der Autobahnhof

„Ich stolpere über Dinge, über Wörter, die von außen auffallen und die die Einheimischen gar nicht mehr bemerken. Wenn ich das mit einem Augenzwinkern verpacken kann, das finde ich toll", sagt die 35-Jährige. So ein Wort sei der „Autobahnhof“ gewesen. Unberührt bleiben geht für Simon bis zu einem bestimmten Punk. „Dieses Wanderung in den Bergen, der Bergführer selbst, der so warmherzig war, das hat mich tief berührt und bewegt. Da geht es an die Substanz, da funktioniert das Spielerische nicht mehr.“ Von Begegnungen mit Menschen, erzählt auch Haberecht: "Bei mir sind es die kurzen Momente der Begegnung, die mich reizen, die mich inspirieren."

Begegnungen sind wesentlich, ich empfehle den zwei Frauen an dem heißen Samstagnachmittag unseres Gesprächs eine Begegnung mit Brunecks Eisdiele am Rathausplatz. Beide sind sich einig, das hiesige Eis muss getest werden und dann sitzen wir gemeinsam im Café, schlecken Eis und essen Kuchen. Herrlich dieses Leben in Bruneck, in den Bergen, in Südtirol. Idyllisch? Aufgesetzt? Belanglos? Bodenständig? Naturnah? Echt? Wahrscheinlich von allem ein bisschen.