Kultur | Literatur aus Bruneck II

"Ich stolpere über Wörter"

Brunecks Stadtschreiberinnen Ina Maria Simon hat für Salto.bz einen Wanderstext frei gegeben. Als Bergfreundin hüpft die Lehrerin aus Frankfurt nicht nur über Stock und Stein, sondern stolpert gerne über Wörter, bleibt daran hängen. "Das Wandern mit den Leuten hier hat mir viele Türen geöffnet, es gab wunderschöne Begegnungen."
sartori alfreider
Foto: associazione impiantisti aa

Brunecks Stadtschreiberin Ina Maria Simon mit ihrem Text:

Pirsch

Heute habe ich einen Spaziergang auf dem schönen Friedhof hinter der Pfarrkirche gemacht. Fragen Sie nicht, warum. Er sah einfach einladend aus (sieht man mal von dem rechts vom Eingang befindlichen, etwas pietätlosen Schild „Abfälle/Rifiuti“ ab; die Südtiroler haben einen seltsamen Humor).

Ich bin aufmerksam durch die Reihen geschlendert. Kommt man nicht von hier, stolpert man natürlich trotz ordentlich gesteckter Gräber sofort über einige blumige Nachnamen, insbesondere über die deutschsprachigen. Dabei ist mir dann eine prima Idee gekommen: Ich werde mich in Bruneck verheiraten (gut, im Optimalfall natürlich vorher verlieben, aber man muss auch Prioritäten setzen im Leben...). Ich hab festgestellt, mein Vorname ist ziemlich kompatibel zu blumigen Nachnamen.

Einige, besonders schöne, habe ich mir aufgeschrieben. Also aufgepasst:
Oberhammer (das muss ein spannender Mensch sein, vielleicht etwas egozentrisch; könnte auf Dauer anstrengend sein), Spechtenhauser (als Wald- und Wiesenfreundin lässt mich sowas nicht kalt), Wurnitsch (wie bitte?), Oberhollenzer (da ist mein neues Lieblingsgetränk, der ‚Holler‘ drin versteckt), Kußtatscher (das Küssen ist mir ja sympathisch, aber auf das Tatschen könnt ich verzichten; was seine Gattin (Ver-)Schondorf dazu sagen würde, ist wohl auch klar), Mutschlechner (netter Versuch), Pramstaller (wie bitte?), Ritter v. Mersi (ich dachte, sowas gibt´s nur in Filmen von Rosamunde Pilcher, ist aber wohl ein Tiroler Adelsgeschlecht), Eisenstecken (das erinnert mich an meine Heimat, das Siegerland, u.a. bekannt für sein hohes Eisenerzvorkommen), Tschager (wie bitte?), Casanova (der Klassiker! Immer wieder gut!), Funkhauser (ein kommunikativer Mensch, kann nur sympathisch sein), Goldwurm (irgendwie verheißungsvoll), Toller (steht dem Oberhammer in nichts nach), Guggenbichler (warum assoziier ich hier bloß Alkohol?), Spenglerei (Spengler-Ei oder Spengle-Rei? Mit dem Namen kommt man sicher schnell ins Gespräch), Großrubatscher (harte Schale, weicher Kern), Notdurfter (spricht mein Helfer-Syndrom an, obwohl man an dem Örtchen vielleicht gar keine Hilfe haben möchte).

Mein absoluter Favorit ist natürlich Tschurtschenthaler. Spricht man den Namen langsam und genüsslich aus, merkt man erst, was für eine Klangexplosion da stattfindet: Tschur|tschen|tha|ler. Nicht nur, dass er bei seinen vier Silben drei verschiedene Vokale und damit auch mindestens drei verschiedene Mund- und Lippenstellungen mit sich bringt (der Kußtatscher lässt grüßen), auch die schönen Zischgeräusche sind einmalig. Leider eine Herausforderung für jeden Legastheniker... Gut, ein Name in Primzahlenlänge (bemühen Sie sich nicht, er hat 18 Buchstaben) wäre mir natürlich lieber gewesen, aber man kann notfalls – auch schon gesehen – das „h“ der dritten Silbe weglassen. Ich nehme an, die Brunecker Bevölkerung ist auch ganz beeindruckt und hat sich einen entsprechenden Bürgermeister gesucht. Meine einzige Sorge mit einem Tschurtschenthaler wäre nur, dass ich dann zur Tschurtsche* würde.

Mittlerweile ist sicherlich schon eine Stunde vergangen. Ganz im Sinne des Evangelisten Lukas frag ich mich auf einmal, „was suche ich den Lebenden bei den Toten?“ (Ich hätte besser in ein Telefonbuch geschaut.) Zielstrebig verlasse ich das gelbe Gemäuer und setz mich intensiv Ausschau haltend in´S Lokal (trotz der unverschämten Preiserhöhung).

Ina Maria Simon