Gesellschaft | Interview

„Als Mann ist es einfach leichter“

Tobias Stampfer kam als Mädchen zur Welt, mit 25 Jahren entschied er sich für die Geschlechtsangleichung. Mit SALTO spricht er über Diskriminierung und Diversität.
Tobias Stampfer
Foto: privat
  • SALTO: Herr Stampfer, wie würden Sie Ihren Transitionsprozess beschreiben?

    Tobias Stampfer: Ich kann nicht für alle sprechen, aber mein Transitionsprozess war sehr schwierig. Ich wuchs in einem kleinen Dorf im Gadertal auf, man kennt sich, jede*r weiß, wer du bist. Jede*r kennt deine Geschichte, deine Eltern und so weiter. Am allerschwierigsten war dabei zu verstehen, was mein Problem war. Ich hatte schon immer das Gefühl, das irgendwas nicht stimmte, aber ich konnte es einfach nicht zuordnen. Auch wenn ich schöne Erlebnisse und Abenteuer hatte, ging dieses Gefühl wie ein grauer Schatten nicht weg. 

    Sie werden als Mann nicht nur ernster genommen, sondern auch mehr in Ruhe gelassen.

    Wie ist es dann weitergegangen?

    Als ich 18 Jahre alt war, hat mir eine Freundin ein Video über eine Frau geschickt, die zum Mann geworden ist. Da habe ich verstanden, was mein Problem war, aber dann haben die Probleme erst begonnen (lacht). Ich wusste jetzt, dass ich eine Frau bin, die sich als Mann fühlt. Der nächste Schritt, zum Mann zu werden, war aber sehr schwierig. Ich hatte keine Ahnung, wie ich es meinen Eltern sagen soll, wie das (die Geschlechtsangleichung Anmerkung d. R.) gehen soll, wo ich das machen kann, wer das schon mal gemacht hat. 

    Sie haben es niemandem mitgeteilt?

    Nein. Ich wollte es niemandem sagen, denn schon alleine, dass ich es ausspreche, macht es realer. Das machte mir sehr große Angst. Ich wusste auch nicht, wie ich dann auf irgendwelche Fragen antworten soll, weil ich selbst noch keine Antworten hatte. Nach einigen Jahren kam ich aber nicht mehr mit der Vorstellung zurecht, mein ganzes Leben dieses Problem zu haben.

  • Tobias Stampfer: „Mein Wunsch, ich selber sein zu dürfen, war stärker als der Wunsch nach eigenen Kindern.“ Foto: privat

    Wie hat Ihr Umfeld auf Ihr Coming out reagiert?

    Ich habe einen Brief an meine Familie geschrieben und bin dann für ein Wochenende in ein Wellness-Hotel ins Grödental gefahren. Ich habe das Handy ausgeschalten, ich war viel zu aufgeregt. Auch wenn wir anfangs alle nicht viel über dieses Thema wussten, hat mich meine Familie in diesem Prozess unterstützt. Es war schwierig und wir wissen auch noch nach Jahren nicht immer genau, wie wir am besten damit umgehen sollen, aber Liebe macht es leichter. Meine Freund*innen waren offen und ich habe niemanden durch mein Coming out verloren. Sie waren über meine Entscheidung begeistert und stolz auf mich. Ab und zu hat es schon blöde Situationen gegeben, aber ich habe mit der Zeit gelernt, wie ich damit umgehen soll.

  • Welche Schritte braucht es, um eine Geschlechtsangleichung vorzunehmen?

    Ich habe zuerst mit einem Psychologen und einem Psychiater gearbeitet, im zweiten Schritt auch mit einem Endokrinologen (Hormonexperte, Anmerkung d. R.) und einem Anwalt. Mittlerweile gibt es im Sanitätsbetrieb ein Team aus Expert*innen, die trans*Menschen begleiten. Der Psychiater erklärte mir, dass es während dem Transitionsprozess hilfreich ist, in einem unterstützenden Umfeld zu leben. Da ich zu diesem Zeitpunkt schon in Bruneck gearbeitet habe, bin ich dann in eine eigene Wohnung gezogen.

  • Tobias Stampfer: „Als ich meine Dokumente ändern musste, gab es Anwälte, die aufgestanden sind und applaudiert haben.“ Foto: privat

    Welche Erfahrungen haben Sie diesbezüglich im Südtiroler Sanitätsbetrieb gemacht?

    Die Sitzungen mit meinem Psychiater waren mega cool, ich würde es nochmal machen. Als ich mich dort gemeldet habe, konnte ich entscheiden, auf welcher Sprache und ob ich lieber mit einem Mann oder mit einer Frau darüber sprechen möchte. Wir haben uns in diesen sechs Monaten sehr viel unterhalten und ich habe sehr viel gelernt. Er arbeitet im Zentrum für psychische Gesundheit in Bozen und ist auf Veränderungsprozesse im Leben spezialisiert. Das betrifft nicht nur Geschlechtsangleichungen wie meine, sondern auch wenn sich Paare scheiden lassen oder Flüchtlinge sich hier integrieren wollen. Im Gadertal wissen die Ärzt*innen hingegen nicht viel über das Thema Bescheid. 

  • Wie offen sind die Südtiroler*innen für queere Belange wie die Ihren?

    Als ich meine Dokumente ändern musste, gab es Anwälte, die aufgestanden sind und applaudiert haben. Ich musste aber auch erfahren, dass sich Menschen für mich geschämt und mich nicht mehr angeschaut haben. Ärzte haben zu mir gesagt, dass ich keine Brustentfernung brauche. Es wäre gut, wenn ärztliches Personal uns nicht ihre Meinung aufzwingt.

    Können Sie Kinder bekommen?

    Nein. Durch die Hormontherapie sterben die Eierstöcke im Körper ab. Mein Wunsch, ich selber sein zu dürfen, war stärker als der Wunsch nach eigenen Kindern.

    Frauen werden nicht so hoch angesehen wie Männer, dabei sind Frauen sehr, sehr stark. 

    Wie sehen Sie die Herausforderung der Gleichstellung von Mann und Frau?

    Ich war für 25 Jahre eine Frau und ich muss sagen, als Mann ist es einfach leichter. Ich finde das sehr schlimm. Sie werden als Mann nicht nur ernster genommen, sondern auch mehr in Ruhe gelassen. Als Frau müssen Sie sich mit Sicherheit irgendwelche Kommentare über Ihr Äußeres anhören, am Arbeitsplatz müssen Sie 200 Prozent geben, um wie ein Mann behandelt zu werden. Niemand wird einen Mann fragen, wie er seine Karriere mit drei Kindern schafft. Das ist einfach so. Frauen werden nicht so hoch angesehen wie Männer, dabei sind Frauen sehr, sehr stark. Ich denke, nicht einmal unsere oder eure Kinder (lacht) werden die Gleichberechtigung erleben. Wenn Medien wie auch SALTO noch immer schreiben, dass sich trans*Menschen ‚im falschen Körper‘ befinden, ist der Weg der Akzeptanz noch ein weiter. Es gibt noch sehr, sehr viel zu tun.

    Wie erleben Sie diese Herausforderung nun als Mann?

    Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Ich war einmal auf dem Weg vom Bahnhof nach Hause. Vor mir ging eine junge Frau, die ich erst bemerkte, als sie anfing, schneller zu gehen. Ich beschloss sie zu überholen, dann begann sie aus Angst zu laufen, also wechselte ich die Straßenseite. Sich als respektvoller Mann in solchen Situationen richtig zu verhalten, ist auch schwierig. Es ist also für beide Seiten nicht einfach.

    Im Internet kann man rund 50 verschiedene Geschlechter finden, wenn das aber wirklich so wäre, wäre die Welt sehr chaotisch – was aber kein Nachteil sein muss. 

    Welche Vorteile hat eine Gesellschaft davon, wenn es nicht nur weiblich und männlich gibt?

    Das ist eine schöne Frage. Ich denke, wir sind noch nicht so weit. Im medizinischen Bereich ist es beispielsweise sehr schwierig, dass nicht binäre Körper akzeptiert werden. Selbst Ärzt*innen wissen nicht genau, wie sie damit umgehen sollen. Der Vorteil wäre auf jeden Fall, dass Menschen nicht mehr mit so vielen Vorurteilen konfrontiert werden. Gleichzeitig ist es auch beängstigend. Wenn ich eine Person treffe, die wie ein Mann aussieht, aber ich nicht weiß, wie sich die Person identifiziert, dann könnte das für Menschen wie meine 60-jährige Mutter sehr verwirrend werden. Es geht ihr nicht darum, eine Person zu verurteilen, aber sie braucht Orientierung und eine klare Zuordnung. Im Internet kann man rund 50 verschiedene Geschlechter finden, wenn das aber wirklich so wäre, wäre die Welt sehr chaotisch – was aber kein Nachteil sein muss. Die Welt wäre bunt und schön, das wäre was.

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Salto User
Günther Alois … Do., 19.10.2023 - 07:33

Herr Tobias Stampfer,hohen Respekt für ihren Mut,ich hatte eine gute platonische Freundin,die zum Glück den selben ,schweren Weg wie sie gegangen ist und heute ein glücklicher Mann ist. Alles Gute!

Do., 19.10.2023 - 07:33 Permalink