Umwelt | Pestizidprozess

Obstbauern sind keine Mörder!

Heute möchte ich mich an jene 1368 Obstbauern wenden, die mich angezeigt haben. Es geht um eine Richtigstellung und ein Angebot: Legen wir den gerichtlichen Streit bei.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Einladung zur Deeskalation
Foto: Alexander Schiebel

In Südtirol höre ich immer wieder aus dem Mund von Politikern, und ich lese es auch in den Medien, dass ich angeblich geschrieben hätte „Südtirols Obstbauern seien Mörder“. Ja, es ist sogar so - und das weiß mittlerweile jeder in Südtirol - dass ich mich für diesen Satz, den ich angeblich geschrieben habe, vor Gericht verantworten soll.

Hab‘ ich das also gesagt oder geschrieben?

Fragen wir doch einfach jenen, der es am besten wissen sollte: mich!
Sprechen wir über die Stelle in meinem Buch, in der ich angeblich geschrieben habe, dass Südtirols Obstbauern Mörder sind.
Gebt mir die Zeit mit euch zu besprechen, was dort steht und was nicht. Dann werden wir gemeinsam erkennen, dass der gegen mich erhobene Vorwurf nicht zutrifft.

An der Stelle in meinem Buch, die zum Stein des Anstoßes wurde, geht es um Gesundheitsgefahren durch Pestizide …
Lässt man die Herstellerstudien beiseite, dann gibt es eine überwältigende Mehrheit von internationalen wissenschaftlichen Untersuchungen, die bestätigen: „Ja, manche Pestizide sind sehr gefährlich.“ Daher wurden auch viele Pestizide, die zunächst zugelassen waren, später vom Markt genommen. Weil sie beispielsweise krebserregend waren oder sind.

Und an dieser Stelle in meinem Buch, wo es um Gesundheitsgefahren durch Pestizide geht, schreibe ich, dass ich mich darüber wundere, dass jene Südtiroler die neben Obstanlagen leben sich nicht mehr über die Tatsache aufregen, dass Pestizide sehr gefährlich sein können.

Und dann schreibe ich: „Die einzigen die schreien sind Südtirols Obstbauern. Die sagen nämlich: ‚Man fühlt sich ja schon wie ein Mörder.‘“
(Das habe ich übrigens selbst gehört. In einer Veranstaltung im Vinschgau. Da hat eine Obstbäurin gesagt. „Man fühlt sich ja schon wie ein Mörder.“)

Doch in meinem Buch schreibe ich - und das kann man dort nachlesen, das ist ja das Schöne: „Nein.“
Dort steht „Nein. Keine Mörder.“
An dieser Stelle sollte ich eigentlich eine Schweigeminute einlegen, damit das wirklich jeder versteht. „Nein.“
Da steht genau das: „Die Obstbauern selbst sagen, sie fühlen sich wie Mörder. Ich sage dazu: Nein."

Und wie geht es danach weiter?
Ich schreibe: „Vielleicht ist es jedoch fahrlässige Tötung. Denn es stirbt schließlich jemand am Ende. Das ist es ja, was ‚krebserregend‘ bedeutet. Das jemand stirbt. Zumindest statistisch.“  

(Wobei es natürlich nicht so ist, dass Bauer X verantwortlich ist für den Tod von Nachbar Y. Doch alle Bauern gemeinsam sind natürlich - zusammen mit den Herstellern dieser Wirkstoffe - für die verursachten Schäden verantwortlich.)
Ich schreibe also: „Vielleicht ist es fahrlässige Tötung.“
Und sage abermals: „Nein.“
„Mord, nein. Fahrlässige Tötung. Nein.“

Aber was dann? Irgendetwas geschieht doch vorsätzlich! Oder etwa nicht?
Und so komm ich zu meinem Vorschlag: „Diese Leute ignorieren vorsätzlich Gefahren und dadurch kommt es - statistisch - zu Todesfällen.“

Habe ich also geschrieben oder gesagt, dass Südtirols Obstbauern Mörder sind? Menschen, die - willentlich und vorsätzlich - andere Menschen umbringen? Keineswegs.
Ich habe im Gegenteil erklärt: Das einzige, das hier vorsätzlich geschieht, ist „das Ignorieren von Gefahren“.

Und habe ich damit Recht?

Mehr als einmal habe ich von Funktionären der Apfellobby gehört oder gelesen: „Ja, wir wissen um die Gefahren eines bestimmten Wirkstoffes, aber im Augenblick ist er leider unvermeidlich.“
Voilà: Vorsätzliches Ignorieren von Gefahren.

Erst kürzlich wurde ein Wirkstoff verboten – gefährlich für ungeborenes Leben – und die Apfelwirtschaft riet (in einem Rundschreiben) Restbestände rasch aufzubrauchen.
Voilà: Vorsätzliches Ignorieren von Gefahren.

Aber kann man tatsächlich behaupten, dass alle Obstbauern in Südtirol vorsätzlich Gefahren ignorieren?

Ich hatte in der Zwischenzeit ausreichend Gelegenheit darüber nachzudenken, ob das so ist oder nicht. (Und das darf ich übrigens: Nachdenken. Das ist nicht gerichtlich verboten. Und ich darf auch öffentlich ausdrücken, zu welchem Resultat ich kam. Fraglich bleibt freilich immer noch, ob ich Recht hatte, mit meinen Überlegungen und Behauptungen. In diesem Fall mit der Implikation, dass die Obstbauern vorsätzlich Gefahren ignorieren.)

Mittlerweile - man entwickelt sich ja weiter - bin ich mir da nicht mehr ganz so sicher, ob das vorsätzlich geschieht. Ich würde heute sagen. „Bei einigen Obstbauern: Ja. Bei anderen Obstbauern: Nein.“ Manche erkennen die Gefahren vielleicht gar nicht.

Das heißt: heute würde ich in meinem Buch vielleicht noch eine Zeile hinzufügen und würde schreiben: „Nein. Auch vorsätzliches Ignorieren trifft es nicht ganz genau. Denn das trifft ja nur auf einige wenige Obstbauern zu. Der größte Teil“, würde ich heute schreiben, „ignoriert Gefahren aus Gewohnheit.“

Aber machen wir das nicht alle?

An dieser Stelle werden manche einwenden. „Dann begehen aber auch jene Leute, die in einer Großstadt, wie zum Beispiel Stuttgart, Feinstaubbelastungen verursachen, das genau gleiche Delikt: Gewohnheitsmäßiges Ignorieren von Gefahren mit möglicher Todesfolge."
Und ich würde darauf antworten: „Ja, eh!“

Und in ganz vielen anderen Zusammenhängen wird ebenfalls dieses Delikt begangen! Denken wir zum Beispiel an Zigarettenraucher. Lange wurden die Gefahren für Passivraucher von Rauchern einfach beiseite gefegt, gewohnheitsmäßig ignoriert.

Unsere moderne Zivilisation hat tatsächlich das Problem, dass Stoffe in Umlauf gebracht werden, die statistisch zu Todesfällen führen. Und die Schuld daran sollte man anteilsmäßig all jenen zurechnen, die diese Stoffe in Umlauf bringen, obwohl es nicht schwer gewesen wäre sich über deren Gefährlichkeit zu informieren.

Das ist meine Beobachtung und meine Meinung und ich sehe keine Veranlassung sie zu ändern. Das jedoch irgendjemand ein Mörder ist, habe ich weder geschrieben noch denke ich es.

Meine Einladung zur Deeskalation

Und manchmal bedaure ich das fast, das ich diesen Satz nicht geschrieben habe, den man mir vorwirtft … Denn hätte ich ihn geschrieben, dann hätte ich mich längst dafür entschuldigt und die Sache wäre erledigt gewesen. Ich hätte gesagt: „Hoppla! Ich habe einen Fehler gemacht. Ich bin schuld an diesem Fehler. Es tut mir leid. Ich entschuldige mich.“
Das aber geht nur, wenn ich mich ‚schuldig‘ gemacht habe. Entschuldigen kann ich mich also nicht.

Aber ich kann natürlich sagen, dass es mir leid tut, dass ich in dieser Passage nicht den Ton getroffen habe, der eine fruchtbare Diskussion mit Südtirols Obstbauern stimuliert hätte. Das dieser Ton, den ich da gewählt habe, vielleicht missverständlich war. Dass diese Passage die Gemüter so erhitzt hat, tut mir leid. Es wäre mir sehr viel lieber gewesen, für mich und für uns alle, wenn es nicht so gekommen wäre.

Ich hoffe, dass dieser Gastkommentar zur Deeskalation beitragen kann. Ich denke ein Gerichtsverfahren bringt in diesem Fall niemandem etwas. Außer, dass dabei viel Porzellan zerbrochen wird, dass sich die Fronten verhärten. Eigentlich wegen nichts, wie ich weiter oben ausgeführt habe. Mein Vorschlag: Beenden wir das ganze. Ich bin jederzeit dazu bereit!

Statement, von Alexander Schiebel