Kultur | Salto Afternoon

"Schreiben gibt bestimmt auch Halt"

Claudia Raudha Tröbinger hat mit "Perché studio l'arabo?" ein sehr persönliches Reisebuch vorgelegt. Ein Gespräch über Sprach- und Kulturreisen. Und über das Querformat.
Titelbild
Foto: Claudia Raudha Tröbinger

salto.bz: „Perché studio l'arabo?“ Wie oft haben Sie sich diese Frage gestellt? Wieviele Antworten gibt es?

Claudia Raudha Tröbinger: Sicher weniger oft, als sie mir von anderen gestellt worden ist. Der Titel des Buches ist eigentlich nicht eine Frage an mich selbst, sondern eine Reaktion auf die mir gestellte Frage, im Sinne: Das willst du wissen? Dann halt dich mal fest, denn da kommt so Einiges.

Warum 89Antworten?

Wichtig war mir, dass es nicht 99 werden. Es hätten mehr sein können und es kommen auch jetzt noch immer wieder welche dazu, die gibt es dann auf der dem Buch gewidmeten facebook-Seite zu lesen. 

Als ich in Aleppo war, im Frühjahr 2005, erschien es mir als der ruhigste Ort der Welt, bzw. der Ort mit den ruhigsten Menschen, die ich jemals getroffen hatte.

In welcher Sprache entstehen Ihre Sentenzen? 

Also schon in Italienisch, leider eigentlich, aber es ist so.

Was ist der Reiz an der Übersetzung? 

Ich übersetze ja nicht selbst ins Arabische – so weit bin ich nicht und werde es, wenn es so weiter geht, auch nie sein –, ich sehe mir die Übersetzungen nur sehr genau durch. Mehr als ein Reiz ist es eine Qual, da ist sehr viel Arbeit dahinter. Außerdem wächst das Buch leicht weiter, während man sich mit der Übersetzung beschäftigt und das muss dann wieder zurückübersetzt werden. So passiert, als ich es einmal ins Deutsche übertragen habe. Das Manuskript gab mir den Eindruck einer Pflanze, die nicht aufhören kann zu wachsen. Und tut das ja, wie erwähnt, auch als fertiges Buch immer noch.

Ihre Reise beginnt in Beirut, im Libanon. Was hat Sie dorthin geführt?

Ich wollte Arabisch lernen, aber warum Beirut? Ich wusste rein gar nichts von dieser Stadt, sie war mir nur ein Begriff, weil sie für zwei der intelligentesten Personen, die ich bis dahin getroffen hatte, ein Traumziel war. Ich hatte den Eindruck, dass es sich um eine moderne Stadt handelt und damit hatte ich recht, obwohl man über das Wort „modern“ auch diskutieren könnte.


Zeitsprung. Wie haben Sie die Explosion in Beirut im August dieses Jahres wahrgenommen?

Ich kam spät von der Arbeit und meine Mutter sagte mir, es hätte eine Explosion in Beirut gegeben. Explosionen gibt es dort öfters, ich war zu müde zu bedenken, dass ja nicht alle die Aufmerksamkeit meiner Mutter erreichen und ging – Schande über mich – erstmal schlafen. Am nächsten Morgen dann: Ungläubigkeit. Die halbe Stadt weggeblasen? Ein Drittel davon? Ja, was tut man? Zuerst mal informiert man sich natürlich nach den Leuten, die man kennt, angefangen mit den nächsten. Ich hatte Glück, keinen von ihnen hat es erwischt. Und dann lesen und zuhören, viel über facebook natürlich. Anfangs wurde auch von meinen dortigen, sonst vor allem Englisch schreibenden Kontakten, praktisch nur mehr in Arabisch geschrieben, wie auch schon bei den dortigen Massendemostrationen im Jahr davor. Wenn’s hart kommt, schreiben wir in Arabisch, das geht jetzt vor allem uns an – so verstehe ich das. 
Das ganze ist nebenbei eine Katastrophe innerhalb von wirtschaftlich schon katastophalen Zuständen und das nicht nur wegen Covid. Ein Post einer Libanesin lautete: Hätte man uns nicht zumindest in Ruhe sterben lassen können? Man bzw. frau versucht dann, hilfreich zu sein, wissend, dass nicht mehr möglich ist, als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Sie begegnen den Ihnen zugefallen Geschichten, Gedanken, Kulturen mit Literatur. Ist Poesie ein guter Schlüssel für Öffnung? 

Poesie gehört zur Kunst und Kunst ist ja nichts anderes als Kommunikation – allerdings eine, für die man sich Zeit nehmen darf – und die im besten Fall dauert. Wir Menschen sind soziale Lebewesen, Gruppentiere, für uns ist Kommunkation fast alles, deshalb ist die Einzelhaft auch die am schwersten zu ertragende. Hat die Person in Einzelhaft aber etwas zum Lesen oder die Möglichkeit zu schreiben, sieht es schon wieder anders aus. Da wird schon wieder kommuniziert. Schreiben gibt bestimmt auch Halt, was mein gut brauchen kann, wenn man sich öffnet, sich der Öffnung aussetzt. Und ja, vielleicht, ist es das Schreiben, das es mir erlaubt, so offen zu sein, wie manche bemerken, dass ich bin. 

Wie haben Sie Ihre Zeit in Aleppo erlebt? Wie blicken Sie heute auf das Land?

Als ich in Aleppo war, im Frühjahr 2005, erschien es mir als der ruhigste Ort der Welt, bzw. der Ort mit den ruhigsten Menschen, die ich jemals getroffen hatte. Syrien befand sich damals am Beginn einer gewissen medialen Öffnung, genau in diesem Jahr wurde der Anschluss ans Internet ermöglicht. Damit hat sich vieles geändert, unter anderem auch der Blick auf die Frau. Ich durfte die Zeit vorher erleben, in der man als Frau wie ein Blümchen gesehen wurde, wenn ich das so in den Raum stellen darf.
Heute erlebe ich Aleppo leider kaum anders als über Bücher. Gerade eben habe ich La mia Siria von Rosanna Sirignano gelesen, das Berichte von Menschen, SyrerInnen oder solchen, die in Syrien gelebt haben, sammelt und die Zeit vor bzw. während der großen Katastophe betreffen. Aleppo spielt darin eine Rolle und lesend wurde mir erste wieder bewust, wie eigene Probleme und die Zeit meine Aufmerksamkeit von dieser für mich so prägenden Stadt abgelenkt haben.
Zu meinem großen Glück habe ich regelmäßigen Kontakt mit einer Freundin aus Damaskus.

 

Ein Foto zu Ihren Reisen zeigt einen Katzenausweis...

Also das mit der Katze ging so, dass ich sie von zu Hause nach Beirut brachte, ohne Pass, und von dort nach Aleppo, auch ohne. Die an der Grenze dort lachen sehr herzlich bei dem Gedanken, dass so etwas wie eine Katze einen Pass brauchen könnte. Die Tunesier sehen das nicht so, also brauchte ich einen, um sie bzw. ihn  – denn es war ein Kater – dorthin mitnehmen zu können.

Ihr Buch kommt im Querformat daher. Eine bewusste Entscheidung?

Absolut. Es ist das dritte zweisprachige Buch, das ich fertigstelle und das dritte im Querformat. Es ist ja so, dass italienische Bücher nach links hin aufgeschlagen werden und arabische nach rechts hin. Was tut man, um es beiden nicht ganz recht aber auch nicht ganz unrecht zu machen? Man öffnet das Buch nach oben hin, wie einen Kalender: parità.