„Befinden uns in paradoxer Situation“
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Obdachlosigkeit kann jeden und jede treffen, das wissen Danilo Tucconi (Caritas) und Paul Tschigg (Verein Dormizil in Bozen) aus eigener Erfahrung mit Menschen in Not. Sie weisen auf erste Hinweise hin, die zu Obdach- oder Wohnungslosigkeit führen können und kritisieren die hohen Wohnkosten.
„Wir befinden uns in einer paradoxen Situation. Südtirol hat fast eine Vollbeschäftigung, an Arbeit würde es nicht fehlen, aber die Wohnmöglichkeiten sind schwer zu finden“, erklärt Tucconi. Deshalb steige der Anteil von Menschen, die trotz Arbeitsvertrag auf der Straße leben müssen. Das hänge auch damit zusammen, dass Menschen in Besitz einer Immobilie nicht vermieten wollen, um Probleme zu vermeiden und so viele Wohnungen leer stehen.
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Mit dieser Herausforderung steht Südtirol nicht alleine da – die Obdachlosigkeit steigt in ganz Europa. Dazu trage laut Tschigg nicht nur der angespannte Wohnungsmarkt bei, sondern auch die Digitalisierung, die sozialen Medien und der hohe Leistungsdruck. „Heute betrifft Obdachlosigkeit immer häufiger auch Frauen und junge Menschen. Letztere haben heute Schwierigkeiten ihre sozialen Kontakte zu pflegen und sie haben verlernt, zu streiten“, sagt er. Das schwäche ihr soziales Sicherheitsnetz, sie fallen leichter hindurch und sind plötzlich auf sich gestellt.
Wer auf der Straße lebt, steht vor vielen Hindernissen auf dem Weg zurück in eine eigene Wohnung, etwa dem Überwinden einer Alkoholsucht oder der Suche nach einem Arbeitsplatz. „Der Umgang mit Obdachlosen in Südtirol wird von manchen wie eine Kartoffelpresse beschrieben. Nur wer sich verhält wie verlangt, bekommt eine Wohnung – wie wir gesehen haben, klappt heute nicht einmal das“, so Tucconi.
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Hoffnung auf Besserung gibt ein neues Konzept, das ursprünglich in den USA entwickelt wurde: Housing First. Dabei wird die Würde des Menschen in den Mittelpunkt gesetzt, erklärt Tschigg vom Dormizil. Der Verein in Bozen vermietet selbst einige Wohnungen nach diesem Konzept. „Die Menschen erhalten zuerst eine Wohnung, auch wenn sie Drogen- oder Alkoholprobleme haben. Voraussetzung ist nur, dass sie selbstständig leben können, das gibt ihnen ihre Würde zurück“, erklärt Tschigg. Das Modell wird heute auch in Finnland, Deutschland und Österreich umgesetzt.
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Es diskutieren in der Streitergasse:
Danilo Tucconi, zuständig für Obdach- und Wohnungslosigkeit bei der Caritas
Paul Tschigg, Vorsitzender des Bozner Vereins Dormizil
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