Raum für Wohnraum
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Es geht nun darum, politischen Druck – in welcher Form auch immer – aufzubauen, mit Nachdruck die Privatisierung von öffentlichem Grund zu stoppen und vor allem ungenutzte öffentliche Wohnflächen wieder zu aktivieren. Außerdem müssten – die aktuellen Zustände in Bozen verdeutlichen dies klar – neue gesetzliche Möglichkeiten für eine soziale Wohnraumentwicklung erarbeitet werden, damit vermeintliche Projekte wie der WaltherPark, bei dem Wohnraum primär als Profitobjekt behandelt wurde, in Zukunft keine Chance mehr haben. Das war der Tenor eines ersten wichtigen Treffens zu einem leidvollen Kapitel: Wohnen in Südtirol.
Die Leerstände der Stadt endlich einer Neunutzung zuführen und konkrete Projekte zur Schaffung von leistbarem Wohnraum sichtbar machen.
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Die Politik müsse aus diesem gescheiterten Experiment und dem abartigen Kuhhandel zwischen großtuerischen Privatinvestoren und visionsloser Stadt- und Landesführung lernen, hieß es in großer Runde (zwischen 60 und 80 Personen) im Rahmen einer ersten Zusammenkunft im Spazio 77 in Bozen, um künftig zu vermeiden, dass ein Objekt wie der WaltherPark günstigen Wohnraum verdrängt, während gleichzeitig Menschen auf der Straße schlafen müssen und viele weitere Menschen und Familien bei der Wohnungssuche verzweifeln. Wie aber kann gegengesteuert werden? Mit dem Rekordhaushalt der Landesregierung? Fehlanzeige! Vielleicht ja mit einem Fingerzeig auf die bedrohlichen Zahlen der vielen Südtiroler und Südtirolerinnen, die dem Land (auch wegen der Wohnungsnot) den Rücken kehren.
Autonomes Handeln statt Südtirol-AutonomieSpazio 77 ist ein autonomes, von Ehrenamtlichkeit getragenes Raum-Projekt in der Bozner Dalmatienstraße Nr. 77. Die Initiative hat sich seit wenigen Jahren das Ziel gesetzt, soziale Barrieren abzubauen, Integration zu fördern und gemeinsame Aktivitäten im Dienste eines besseren Zusammenlebens anzubieten. Angeboten werden Repair-Cafés, Computerkurse, Beratungs- und Infoangebote, kulturelle und politische Veranstaltungen und vieles mehr. Vergleichbare basisdemokratische Einrichtungen waren bereits in der Geschichte immer von großer Bedeutung und Zünder, wenn die gewählte Politik nicht imstande ist, ihrem Auftrag nachzukommen.
Bei einer ersten Sitzung am Mittwochabend (just am Tag als in Innsbruck der zweite von vielen Prozessen gegen Renè Benko anstand) wurden vor einer bunt zusammengewürfelten Runde gemeinsame Ziele, Strategien und Kommunikationswege für eine wohnpolitische Initiative in Bozen erörtert und in den kleinen 77er-Raum gestellt. Man wolle die Leerstände der Stadt endlich einer Neunutzung zuführen und konkrete Projekte zur Schaffung von leistbarem Wohnraum sichtbar machen – beispielsweise Gebäude, die teilweise in gutem Zustand sind, überschaubaren Renovierungsbedarf haben und auf Bewohnerinnen und Bewohner warten, die unermüdlich nach einem Dach über dem Kopf suchen.
Während es immer mehr den Anschein hat, dass auf dem ausbeuterischen Wohn- und Immobilienmarkt keinerlei Regeln eingehalten werden, gibt es solche sehr wohl bei der freundlich einberufenen Versammlung. Durch den Abend führten ein Moderator und eine Moderatorin und nach einer kurzen Einführung geht es los. Es folgten zahlreiche Statements und Berichte zum Thema, jeweils mit einer Zeitbegrenzung von fünf Minuten. Dazu kommen einfache Hinweise über Handzeichen, die einen respektvollen Umgang gewähren.
Barbianer ModellDen Anfang machte ein junger Mann, der ein gemeinschaftliches Wohnprojekt im kleinen Barbian vorstellte. Nach dem Motto Selbstorganisiert wohnen – solidarisch wirtschaften berichtete er (in Anlehnung an das deutsche Modell des Mietshäuser Syndikats), über die Anfänge ihrer lokalen Genossenschaft, die das Ziel verfolgt, Gebäude dauerhaft dem kapitalistischen Immobilienmarkt zu entziehen und sozialen, leistbaren Wohnraum für alle zu schaffen. Die rund ein Dutzend starke Gruppe aus dem Eisacktal hatte bis vor kurzem vor, ein leerstehendes Barbianer Hotel zum Preis von 1,6 Millionen Euro zu erwerben. Der Kauf wäre mithilfe eines Bankkredits möglich gewesen, und die dafür erforderlichen 350.000 Euro Eigenmittel hatte man so gut wie beisammen, um den Kredit, gemäß Modell, in 20 bis 30 Jahren abzubezahlen. Doch das akute Problem des selbstverwalteten Ansatzes liegt nun aber darin, dass der Eigentümer abgesprungen ist und nicht mehr verkaufen will. Zumindest an die Gruppe. Diese zeigt sich enttäuscht aber dennoch optimistisch, sucht nach anderen leerstehenden Gebäuden im Land und denkt – man will sich ja nicht vom Kapitalismus kleinkriegen lassen – in größeren Vorhaben weiter. Demnach sollen gemeinschaftlich Häuser gekauft und dem Markt entzogen werden, um gegen die scheinbar unaufhaltsame Gentrifizierung ankämpfen.
Bozner LeerständeNach dem Barbianer Modell folgten Einwände zur allgemeinen Wohnsituation und zu Leerständen in Bozen. Einige Beispiele leerstehender Gebäude wurden bereits fotografiert und auf sozialen Plattformen veröffentlicht. Und wieder fällt das Thema WaltherPark. Die 110 neuen Wohnungen stünden rund 50 Tage nach der Eröffnung immer noch leer, da zahlungskräftige Kundschaft ausbleibt, während die Stadt Bozen nicht imstande ist, sozial gerechten Gemeindewohnbau auf die Reihe zu bekommen. Öffentlicher Boden müsse doch der Allgemeinheit dienen und nicht zweifelhafter Spekulationslogik, oder?
Eine Teilnehmerin berichtete von einem Aufenthalt in München, wo sie soziale Wohnprojekte und Genossenschaften kennengelernt habe und wo aktive kommunale Politik im Sinne der Bewohnerinnen und Bewohner arbeite. Dadurch seien ökologisch hochwertige und sozial durchmischte Stadtteile entstanden.
Nach ihr sprach ein weiterer Teilnehmer über die Situation von Menschen mit Migrationshintergrund. Er beklagte, dass Vermieterinnen und Vermieter, sobald sie Sprachakzent oder Herkunft zu erkennen glauben, gerne behaupten, die Wohnung sei bereits vergeben – was oft gar nicht der Wahrheit entspreche.
Wohnen als fundamentales Menschenrecht einfordern – neben dem Recht auf Nahrung und ein würdiges Leben.
Viele Personen müssten – laut einem weiteren Redebeitrag – in überfüllten Wohnungen ohne Vertrag leben. Andere berichteten, dass viele Arbeiter und Arbeiterinnen – selbst solche mit regulärem, unbefristetem Arbeitsvertrag und stabilem Einkommen – keinen offiziellen Mietvertrag erhalten und nur „schwarz“ einziehen können. Dies betreffe nicht nur Migranten und Migrantinnen, sondern zunehmend auch einheimische junge Menschen oder italienische Studierende. Auch Berufseinsteigerinnen seien betroffen. Sogar eine junge italienische Universitätslehrende habe monatelang keine Unterkunft gefunden, obwohl sie für eine feste Stelle an die Universität nach Bozen gekommen sei.
Platz für Niemand?: Erwähnt wird am Abend eine Statistik, der zufolge rund 75 % der italienischen Bevölkerung Wohneigentum besitzen. Dieser hohe Anteil führe letztlich dazu, dass Preissteigerungen am Immobilienmarkt politisch und gesellschaftlich toleriert oder sogar begrüßt werden, da ein Großteil der Bevölkerung davon profitiere. Foto: Spazio 77(K)eine vorübergehende Krise?!Im lockeren Fünf-Minuten-Takt ging die Versammlung weiter und ließ weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Wort kommen. Referiert und debattiert wurde über die extremen Schwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt und die strukturellen Ursachen der Wohnungsnot. Ein Teilnehmer erinnerte daran, dass die Einwohnerzahl der Landeshauptstadt seit Jahren relativ stabil geblieben sei, die Zahl der Einpersonenhaushalte jedoch stark zugenommen habe. Es brauche daher eine grundlegende Neuorientierung der Stadtplanung, um Bozen in eine sozial gerechte Zukunft zu steuern.
Die bisherigen staatlichen Maßnahmen – insbesondere Mietzuschüsse – gelten als unzureichend, betonen einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer, diese wären doch überholt und in manchen Fällen sogar kontraproduktiv, denn oft führten Zuschüsse lediglich dazu, dass Vermieterinnen und Vermieter die Mieten erhöhen, wodurch Staat oder Land indirekt spekulative Dynamiken unterstützen. Wie wäre es stattdessen neuen öffentlichen Wohnraum zu schaffen, aufzubauen und die spekulative Entleerung wichtiger Wohnungsbestände zu begrenzen?
Es handle sich, so der allgemeine Tenor an diesem ersten und nicht letzten Versammlungsabend, nicht um eine vorübergehende Krise, sondern um die logische Folge jahrzehntelanger Fehlleistungen der Politik, welche Wohnungen zunehmend zu Investitionsobjekten statt zu sozialen Gütern gemacht habe. Schuld daran ist der systemisch unfaire Markt. Auch der Tourismus, als hochgepriesenes Wachstumsmodell der Südtiroler und Südtirolerinnen, entziehe viel Wohnraum. Zu viel!
Was wäre nun – neben der Stärkung der öffentlichen Debatte – zu tun? Gefordert werden im Spazio 77 vor allem Wissensproduktion und Transparenz, die regelmäßige Veröffentlichung von Daten und Analysen, das Sichtbarmachen von Bürgerinitiativen zur Regulierung von Leerstand, proaktive Maßnahmen gegen spekulative Nutzung von Immobilien, eine effiziente Regulierung touristischer Kurzzeitvermietungen, sowie die großzügige Unterstützung selbstorganisierter Lösungen für eine sozialliberale Belebung im Sinne vielversprechender Wohnkonzepte.
Nach rund zwei Stunden neigte sich diese erste Sitzung im Spazio 77 dem Ende zu und es wurden noch weitere Schritte Richtung medialer Öffentlichkeitbesprochen. Man konnte an diesem Abend in der Bozner Dalmatienstraße den Eindruck gewinnen, dass sich in Bozen endlich etwas bewegt. Die Versammlung war ein starkes soziales Erwachen aus dem süßen Traum kapitalistischer Betäubung, den – allen voran – die Politik immer noch schläft.
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BRAVO!!!!
BRAVO!!!!
"Gebäude dauerhaft dem…
"Gebäude dauerhaft dem kapitalistischen Immobilienmarkt zu entziehen"
?????
...klingt für mich wie Hausbesetzung!
Das Gesetz der leerstehenden…
Das Gesetz der leerstehenden Wohnungen ist vom Landtag wieder abgeschafft worden und begünstigter Darlehensvertrag (3. Säule) ist bis heute noch keiner abgeschlossen worden.