Randnotizen
salto.bz: Welchen Fragen wollen Sie in Ihrem Roman „Am Rand“ nachspüren?
Hans Platzgumer: Die Grundgeschichte hat mit dem im Buch beschriebenen Gipfel zu tun. Ich hab mir gedacht, wie es wäre, wenn man sich an der Felskante hinsetzt, etwas schreibt, das Geschriebene unter dem Fels versteckt und dann den letzten Schritt macht. Und wie wäre das dann für den nächsten Menschen, der das Geschriebene findet. Was macht er damit? Ruft er die Polizei? Oder geht er zu einem Verlag und veröffentlicht es? Man wird ja zum Mitwisser.
Am Rande geht es auch um die sogenannten Südtirolersiedlungen und die Menschen die dort wohnen. Eigentlich ein Tabu-Thema…
Es ist ein Tabu-Thema. Außerhalb von Vorarlberg und Tirol weiß in Österreich kaum jemand etwas über die Südtiroler-Siedlungen. Mich hat es fasziniert, wie durch eine historische Entscheidung, geplante Ghettos entstanden sind, vor allem in West-Österreich. Ich habe selbst mal in einer Südtirol-Siedlung gewohnt, als ich vor Jahren den Zivildienst geleistet habe. Dort zu wohnen war günstig. Jetzt wohne ich in Lochau, einem Vorort von Bregenz. Nur einen Häuserblock weiter beginnt die dortige Südtiroler-Siedlung. Es ist dort wie in einer anderen Welt, die Häuser sind anders, die Leute reden anders. Es ist eine Parallel-Gesellschaft geblieben, die nie wirklich integriert wurde, auch wenn heute neben Südtiroler Auswanderern der zweiten und dritten Generation, auch Migranten oder Menschen aus unteren Einkommens- und Bildungsschichten in den Südtiroler-Siedlungen leben.
Er hatte recht. Südtirolersiedlungen gab es hier überall, und alle waren gleich. Manche ausgedehnter als andere, aber überall die gleichen Häuser, die gleichen Straßen, die gleichen Namen. Überall ein Guido, ein Gerold, ein Sascha Jovanic.
(aus dem Roman: Am Rand)
Sie haben Südtiroler Wurzeln. Ihre Vorfahren stammen von einem Weiler im Vinschgau?
Die Platzgummer kommen aus Platzgumm bei Naturns. Da gibt es am Berg ein kleines Gehöft, welches ich auch im Buch beschreibe. Im Grunde stammen meine Vorfahren, alle Platzgummer sozusagen, von eben diesem Platzgumm. Mein Teil der Familie ist schon vor langer Zeit, im 18. Jahrhundert, nach Nordtirol ausgewandert. Früher hat mich die Platzgummer-Geschichte überhaupt nicht interessiert. Erst als mein Onkel – ein mittlerweile verstorbener bekannter Mathematiker in Wien – den Stammbaum der Platzgummer aufgearbeitet hat, hab ich mich mit meinen Vorfahren auseinandergesetzt. Laut Forschung haben sich die Platzgummers so benannt, da sie Kummer mit dem Platz hatten: Platzkummer. Mein Onkel hat in seiner Arbeit auch über den Erzbischof von Brixen Johann Platzgummer (1565-1647) geschrieben. Auf der ersten Seite ist ein gemaltes Bild des Johann Platzgummer zu sehen, der einst mehrere Reformen durchgesetzt hat und auch musikalisch tätig war. Tatsächlich hat sein Gesicht eine große Ähnlichkeit mit meinem Gesicht.
Sie haben „Ihr Gesicht“ in Ihren Roman eingebaut?
Ich hab mir den Spaß erlaubt, den Platzgummer Hansi einzubauen, eine Figur die schon nahe an meiner eigenen Person entlang zirkelt. Die Idee war, mich selbst auftauchen zu lassen, wie Hitchcock, der selbst in seinen Filmen mitspielt.
Sie sind Musiker und Schriftsteller. In Prozent ausgedrückt?
Ich würde sagen, ich mache gegenwärtig 80% Literatur und 20% Musik.
Wann haben Sie das Schreiben entdeckt?
Das war 1999, aber schon vorher hab ich als Musiker begonnen Hörspiele musikalisch zu gestalten und Theatermusik zu schreiben. Dadurch war ich auch immer wieder mit Texten konfrontiert. Also von der Musik über das Hörspiel zur Literatur.
Und wie hat alles begonnen?
Ich kam schon mit sechs Jahren an das Musikkonservatorium in Innsbruck, habe die Ausbildung allerdings mit 11 Jahren abgebrochen und mir eine elektrische Gitarre gekauft, um nur mehr E-Gitarre und meine eigenen Sachen zu spielen.
In ihrem Künstlernamen verzichten sie auf ein m, nennen sich Platzgumer. Weshalb?
Das mit dem Künstlernamen geht auf meine Matura-Arbeit zurück. Als ich damals selbst das Cover meiner ersten Schallplatte gestalten durfte, wollte ich das Doppel-m so schreiben, wie man es früher in der alten Handschrift machte, indem man eben eine Wellenlinie über das eine m legte. Später, bei Schreibmaschine und Computer, war diese Wellenlinie dann nicht mehr auf der Tastatur. Geblieben ist Platzgumer.
Ein m verschwindet, dann eine Wellenlinie, dann der ganze Hans Platzgumer… Sie sind bereits als junger Mann nach New York und feierten mit ihrer Band H.P. Zinker frühe Erfolge in der Underground-Musikszene.
Es war eine gute Szene in diesen Jahren. Ich war nicht einmal 20. Wir spielten unsere ersten Konzerte und waren zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. In wenigen Monaten hatten wir einen kometenhaften Aufstieg. Es ging dann auch wieder abwärts.
Für mich ist dieses Land Vergangenheit. Es steht nicht mehr auf meiner To-do-Liste.
(Hans Platzgumer)
Woran ist die Szene zerbrochen?
Zusammengebrochen ist das Ganze mit Nirvana, mit denen wir auch gespielt haben. Alle Bands der Grunge-Szene dieser Jahre waren auf dem gleichen Level. Und dann hatte eben Nirvana den Wahnsinnshit, der die Musikwelt in Amerika und den Rest der Welt komplett verändert hat. Es wurde alles kommerzialisiert, die Major-Labels sind eingestiegen und es war vorbei mit der Grunge-Szene. Die intellektuelle Verknüpfung mit Musik hat nicht mehr stattgefunden.
Sie haben der USA den Rücken gekehrt, sich der elektronischen Musik zugewandt. Wie ist heute ihr Verhältnis zu den USA?
Meine Frau und ich sind zunächst nach Los Angeles und dann 1996 nach Hamburg, wo wir Freunde hatten. Dort brodelte es. Die „Hamburger Schule“ nahm ihren Anfang. Zurück in die USA kehren ich und meine Frau nicht besonders gerne. Dieses oberflächliche, seichte, stupide Geschwafel dort, haben wir damals nicht mehr ertragen. Und jetzt mit Trump. Ich habe überhaupt keinen Bock mehr dorthin zu fahren. Für mich ist dieses Land Vergangenheit. Es steht nicht mehr auf meiner To-do-Liste.
– Dann machen wir es Südtiroler-Style, sage ich.
Er nickt. Südtiroler-Style, nickt er.
(aus dem Roman: Am Rand)