Gesellschaft | Salto Gespräch

"Es muss Druck entstehen"

Können radikale Lösungen pragmatisch sein? Und wie fügt sich Klimaaktivismus in die bestehende politische Landschaft ein? Der Aktivist David Hofmann im Gespräch.
David Hofmann
Foto: Isacco Gavazzi

David Hofmann ist Neurowissenschaftler und Klimaaktivist. Im Salto Gespräch spricht der Sterzinger darüber, wie wir uns in Südtirols zersplitterten Aktivist:innenlanschaft orientieren können und warum auch systemexterne Lösungen pragmatisch sein können.

 

Salto.bz: David, du hast in den USA Physik und Neurowissenschaften studiert. Jetzt bist du zurück in Südtirol, wo du dich vor allem fürs Klima engagierst. Wie kam es dazu?

David Hofmann: Südtirol ist für mich eine Homebase, wo ich noch immer gut angebunden bin. Nachdem ich meine Arbeit an der Emory University abgeschlossen hatte, bin ich im Herbst 2020 hierher zurückgekommen und arbeite seitdem von Südtirol aus als Datenanalyst im neurowissenschaftlichen Bereich am MIT. Die Frage, wie Menschen Entscheidungen treffen, beschäftigt mich dabei sowohl bei meiner Arbeit als auch in meinem Klimaaktivismus, für den ich mich schon seit dem Studium engagiere.

Vor zwei Jahren hast du die Umweltorganisation Regala Zukunft mitbegründet. Was genau ist das Ziel dieser Gruppe?

Unser Ziel ist es, Bürgerinnen und Bürger für die wichtigen Themen unserer Zeit zu sensibilisieren. Hier drängt sich in erster Linie die Klimakrise auf, wir sind aber eigentlich keine reine Umweltgruppe. In diesem Zusammenhang haben wir im Dezember 2020 zusammen mit Extinction Rebellion einen Flashmob gestartet und heuer schon zum zweiten Mal eine Klima-Fastenaktion organisiert. Diese hat vor allem im letzten Jahr, wahrscheinlich auch aufgrund des Lockdowns, sehr gut funktioniert: Es war einfacher, auf das Auto zu verzichten und man hatte mehr Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

 

In Südtirol gibt es eine ganze Reihe an Gruppierungen, die sich für das Thema einsetzen: 1khopes, Fridays for Future, Extinction Rebellion, Mava Seggo, aber auch den AVS und den Heimatpflegeverband zum Beispiel. Warum eine neue Gruppe gründen?

Wir sind als Freundeskreis gestartet. Es geht uns also nicht darum, neue Mitglieder zu rekrutieren, sondern wir möchten andere Gruppierungen durch Kollaborationen und Kommunikation vernetzen und ins Zentrum rücken. Deshalb veranstalten wir unsere Aktionen immer mit Partnerorganisationen. Die Vernetzung hat sich bei den Toblacher Gesprächen, wo das Bündnis Climate Action Südtirol geschaffen wurde, dann beinahe von selbst ergeben!

Apropos Climate Action Südtirol: Hier haben sich die einzelnen Organisationen, die sich fürs Klima einsetzen, unter einer Dachorganisation zusammengeschlossen. Inwiefern macht in diesem Zusammenhang die Weiterführung der einzelnen Umweltgruppen überhaupt Sinn?

Ich glaube, dass Climate Action Südtirol ein sehr zeitgemäßes Bündnis ist: Einerseits reflektiert es den Trend der Individualisierung und Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Andererseits antwortet das Bündnis auf die Herausforderung, die einzelnen Trends wieder zusammenzuführen, um als Kollektiv zu funktionieren. Wie in der Wissenschaft gibt es auch im Aktivismus ein Bestreben nach Interdisziplinärität und Austausch.

Gleichzeitig ist es auf diese Weise aber schwer, als Kollektiv eine Position zu ergreifen.

Genau das ist die Herausforderung, der wir uns stellen müssen. Ich glaube nicht, dass das Modell der 70er und 80er-Jahre, wo es vor allem im linken Lager zu Kaderbildungen kam, noch zeitgemäß ist. Die Zersplitterung ist Realität. Wir müssen jetzt versuchen, gemeinsam an konkreten Aktionen und Problemstellungen - wie der Überarbeitung des Klimaplans der Landesregierung - zu arbeiten. Gleichzeitig geht es darum, verschiedene Personengruppen zu erreichen und abzuholen und die einzelnen Diskurse zu überbrücken. Ich habe den Eindruck, dass das im Bündnis Climate Action auch funktioniert. Es ist uns allen klar, dass systemische Änderungen notwendig sind.

Das heißt, der Südtiroler Heimatpflegeverband und FFF sind hier auf einer Wellenlänge?

Jein. In der Kerngruppe sind vor allem die jüngeren Organisationen aktiv, das heißt, Fridays for Future, Mava Seggo, Regala Zukunft und 1khopes. Der AVS oder der Heimatpflegeverband unterstützen uns zwar, sind aber jenseits der 12 Forderungen zum Klimaplan der Landesregierung noch nicht Teil der Kerngruppe. Hier arbeiten wir im Moment daran, eine Struktur aufzubauen, die es uns erlaubt, uns dynamisch zu bewegen und Entscheidungen zu fällen. Bis jetzt hat sich vor allem die Kerngruppe um Entscheidungen gekümmert. Die anderen Organisationen haben darauf vertraut, dass wir keinen Unfug machen. Das hat zwar ganz gut funktioniert, gleichzeitig waren wir so aber viel vorsichtiger. Etablierte Organisationen wie den Dachverband gibt es aber schon. Unsere Arbeit ist es, uns dynamisch und systemkritisch zu bewegen und mit Aktionsformen zu arbeiten, die über den Lobbyismus hinausgehen.

 

Du bist nicht nur Mitbegründer von Regala Zukunft, sondern engagierst dich auch in der Lokalgruppe von Extinction Rebellion; eine Gruppierung, die vor allem mit gewaltfreiem zivilen Ungehorsam arbeitet, gleichzeitig aber einen institutionellen Dialog sucht. Wie wird diese Brücke geschlagen?

Extinction Rebellion ist überraschenderweise sehr pragmatisch in ihren Methoden und Zielsetzungen und legt auch gegenüber der Polizei und den Ordnungskräften ein kooperatives Verhalten an den Tag. Wir kündigen unsere Proteste beispielsweise immer an und lassen uns auch von der Straße ohne jeglichen Widerstand wegtragen. Bei den Zielsetzungen fordert Extinction Rebellion drei Dinge: Erstens, dass die Regierungen den Klimawandel wahrheitsgemäß darstellen. Zweitens, Klimaneutralität bis 2025. Und drittens, die Einsetzung von Klimabürgerräten.

Klimaneutralität bis 2025 scheint alles andere als ein pragmatisches Ziel zu sein.

Es ist durchaus legitim, dass Graswurzelbewegungen Forderungen stellen, die weiter gehen als das, was EntscheidungsträgerInnen als realistisch erachten. Klimaneutralität bis 2025 scheint zwar unmöglich, muss es aber nicht sein. Die neuseeländische Regierung hat sich dieses Ziel beispielsweise gesetzt! Im Moment ist der CO2-Fußabdruck der NeuseeländerInnen etwa so hoch wie in Südtirol. Bis 2025 Klimaneutralität zu erreichen ist also auch für sie eine unglaubliche Herausforderung. Aber damit sich etwas bewegt, muss Druck entstehen und je mehr Menschen ihre Energie bereitstellen und in einen Veränderungsprozess investieren, desto mehr kann bewegt werden. Es muss uns bewusst werden, dass vieles, das unmöglich scheint, durch politische Trägheit bedingt ist. Und durch einen Mangel an Fantasie! Vor allem die Entscheidungsträgerinnen wie Jacinda Ardern lassen mich wirklich staunen, was alles möglich wäre. In Südtirol passiert hingegen nichts. Im Gegenteil: Wir laufen weiter in die falsche Richtung. Aber wer weiß, was noch auf uns zukommt.

 

Klimaneutralität bis 2025 scheint zwar unmöglich, muss es aber nicht sein

 

Politischer Druck - vor allem in Form von Straßenblockaden und zivilem Ungehorsam - kann aber auch zu Ablehnung und Verärgerung führen. Inwiefern ist diese Methode wirklich effektiv, um Menschen hinter einem gemeinsamen Ziel zu vereinen?

Viele Menschen rümpfen bei Extinction Rebellion die Nase. Vor allem dann, wenn sie selbst von einer Straßenblockade betroffen sind. Ziviler Ungehorsam ist historisch gesehen aber das probateste Mittel, um Veränderung zu erreichen. Wir erzeugen auf diese Weise einen enormen politischen Druck. Im ersten Moment kann es aber durchaus als antidemokratisch wahrgenommen werden, wenn eine kleine Minderheit darüber bestimmen will, was die gesamte Bevölkerung machen soll. Aber genau deswegen werden die Bürgerräte gefordert. XR fordert keine Maßnahmen, sondern das Erreichen der Klimaneutralität, die ja wissenschaftlicher Konsens ist. Und sie fordern eine vernünftige Revision der Demokratie.

XR hat unlängst mit dem italienischen Umweltminister gesprochen, eine Tatsache, die von den Mitgliedern als großer Erfolg gefeiert wurde. In welcher Relation steht diese Errungenschaft mit den ambitionierten Forderungen von XR?

Die institutionelle Wahrnehmung ist durchaus ein Erfolg - nicht, weil sie sich unmittelbar auf die Politik auswirkt, aber weil sie die Bewegung stärkt, Aufmerksamkeit schafft und auch innerhalb der Bewegung eine Mobilisierung schafft. Und es ist natürlich Teil des Prozesses. In Trient hat man es übrigens geschafft, die Diskussion zu den Klimabürgerräten in den Gemeinderat zu bringen. In Turin hat hingegen ein Hungerstreik dazu geführt, dass das Thema diskutiert wird. 

Sieht man von der kleineren Straßenblockade am letzten Sonntag in Bozen ab, ist XR in Südtirol hingegen kaum aktiv. Und wenn man aktiv ist, dann ohne Gesetze zu brechen. Warum?

Ich glaube, dass wir dem Aktivismus in Südtirol prinzipiell mit Vorbehalten begegnen. Wir halten das vielleicht - eingelullt in unserem paradiesischen Südtirol - noch nicht aus. Ich kann das zwar verstehen, aber die Situation wird sich auch hier unweigerlich zuspitzen. Wir müssen nur an die momentane Trockenheit denken! In diesem Jahr hatte das Vinschgau soweit noch Glück, da aufgrund des vielen Schnees im letzten Jahr noch Wasser vorhanden ist. Aber die Entscheidungsträger scheinen hier recht zuversichtlich zu sein, dass das immer so weiter gehen wird: einmal etwas mehr, einmal etwas weniger Regen. Diese Einstellung wundert mich sehr. Wir müssen uns nur die Reports der Eurac durchlesen, um zu verstehen, dass die Wintermonate zusehends schneeärmer werden, wodurch im Sommer Wasserreserven fehlen. Extinction Rebellion und ähnliche Formen des politischen Widerstands werden angesichts dieser Tatsachen auch immer mehr an Relevanz gewinnen.

 

Inwiefern konnte Extinction Rebellion mit ihren Aktionen in Südtirol ein Publikum erreichen? 

Wir sind überrascht, wie viel mediale Aufmerksamkeit es für unsere Aktionen gab! Beispielsweise für die Nacktaktion am goldenen Sonntag, bei der Extinction Rebellion zusammen mit Regala Zukunft gegen den Konsumexzess protestiert hat. Du musst dir vorstellen, vom Gesamtfußabdruck der SüdtirolerInnen ist rund ein Drittel auf nicht essenziellen Konsum zurückzuführen! Wir waren damals eine sehr kleine Gruppe und haben - da wir keine Gesetze brechen wollten - auf Nacktheit gesetzt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Das hat wirklich gut funktioniert. Wir waren in Radio, TV und auf den Tagesblättern bis Trient. Dabei haben viele Menschen, auch jene, bei denen wir es uns nicht erwartet hätten, sehr positiv auf die Aktion reagiert.

Zum Beispiel? 

Die Mama einer unserer Mitstreiterinnen hat beispielsweise ihre Tochter auf die Aktion aufmerksam gemacht, wusste aber gar nicht, dass ihre Tochter direkt involviert war. Ganz zum Erstaunen der Tochter war sie wirklich begeistert von der Aktion. Das war köstlich! Vielleicht ein Zeichen dafür, dass die Bevölkerung viel offener wäre, als viele von uns glauben.

 

*Der Artikel wurde am 20. März um 22:23 Uhr ergänzt.