Kultur | Kinogeschichte

Baumis Welt

Vor 10 Jahren verstarb der Brunecker Filmproduzent Karl Baumgartner. Eine Erinnerung an einen der mehr für die Filmgeschichte geleistet hat, als man glauben möchte.
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Foto: Karl-Theo Stammer
  • Karl Baumgartner hat den Vorteil der Mehrsprachigkeit, die er in Südtirol seit früher Kindheit lebte und miterlebte, für seinen späteren beruflichen Alltag optimal nutzen können. Vor 75 Jahren wurde er in Bruneck geboren, vor zehn Jahren verstarb er, am 18. März 2014. 
    Als Vermittler zwischen verschiedenen Kulturräumen hat Baumgartner ein beindruckendes filmisches Schaffenswerk hinterlassen, entsprechend einem Credo für ein Kino des anspruchsvollen Films: „Es interessieren uns Regisseure, Künstler, die Film auch als Kunst begreifen“, beteuerte er in einem Interview als er einmal als Juror bei den Filmtagen in Bozen geladen war, „es zählt die Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, um dem Zuschauer mehr mitzugeben als reine Unterhaltung.“ 
     

    Baumi las lieber Bücher und Zeitungen, ließ sich die Haare wachsen und traf sich mit seinem mehrsprachigen Freundeskreis zum intellektuellen Austausch.

  • Fußballtalent auf nationaler Ebene: Hatte zwar zwei linke Hände für die Gastwirtschaft aber beeindrucke Füße für eine Fußballkarriere, die Karl Baumgartner dennoch nicht verfolgen wollte. Foto: Privat

    Die Leidenschaft Baumgartners für besondere Geschichten beginnt in den 1950/60er Jahren in seinem Herkunftstort Bruneck. „Er hat viel gelesen und viel Fußball gespielt“ erinnerte sich etwa seine Schwester Margit Baumgartner. Zuhause im Hotel Blitzburg hätte Baumi, wie er fast durchwegs genannt wird, zudem im Betrieb seiner Eltern mithelfen sollen, aber seine „zwei linken Hände“ ließen solche Tätigkeiten nicht zu. Baumi las lieber Bücher und Zeitungen, ließ sich die Haare wachsen und traf sich mit seinem mehrsprachigen Freundeskreis zum intellektuellen Austausch. „Es gab einige Sommer in unserer Jugend, da trafen wir uns immer wieder morgens, tauschten uns über alles Mögliche aus, über Literatur, Philosophie und Kunst. Sehr intensiv etwa über Walter Benjamin“ entsinnt sich Peter Litturi, Jugendfreund aus Baumis Schulzeit: „Wir haben damals gerne eine Art Bildwahrnehmungsinterpretation betrieben, im dialogischen Sinn, und diskutierten.“ Die beiden Freunde fuhren einmal sogar nach Bozen, um über Egmont Jenny, den Gründer der Sozialen Fortschrittspartei Südtirol, eine Art Filmfonds zu initiieren. Früh übt sich. 

  • Arbeiten für den Film: Als Tonmann in den 1970ern in Rom Foto: Privat

    Die Begeisterung zur Filmwelt, insbesondere zum alternativen Kino, begleitet Baumi insbesondere sportlich, als bemerkenswertes Talent am Fußballplatz. „Er wollte mit dem Ball zaubern“ erzählt sein Bruder stolz: „Er wäre ja beinahe professioneller Fußballspieler geworden, doch er endschied sich für den Film, da er sich nicht in ein System einbinden lassen wollte. Ihm war es wichtig, am Abend frei zu haben, anstatt das Fußballtraining besuchen zu müssen.“ Gegen Ende seiner Oberschulzeit begann Baumi immer häufiger die Schule zu schwänzen. In seiner freien Zeit fuhr er, allein oder in Begleitung, per Anhalter nach München oder Verona und besuchte Kinos, die außergewöhnliche Filme spielten und ihm neue Kulturräume zugänglich machten. Mit seinem Freund, dem Filmemacher Ivo Micheli, verließ er vorzeitig das Lyzeum – der eine das italienischsprachige, der andere das deutschsprachige – und ging nach Rom, wo er sich mitunter als Tellerwäscher durchzuschlagen vermochte. Später folgten Arbeiten in der Filmstadt Cinecittà, im Kulissen- und Bühnenbau oder beim Kostümfundus. 
     

    Heute wissen wir: die beiden revolutionierten damals die Filmlandschaft. 

  • Rasch arbeitete sich Baumi nach oben, doch dass er mit seiner Passion für den Film einmal zu den sehr erfolgreichen der Szene gehören würde, war damals nicht abzusehen. In diesen Jahren des Aufbruchs wollte Baumi – und mit ihm eine ganze Generation – mit klaren politischen Vorstellungen die Welt verändern und besser machen. Alternative Ideen trieben ihn an und er ging mit Freundin Sandra nach Frankfurt. Seit seinem sechzehnten Lebensjahr waren die beiden ein Paar, überstanden sogar jene Jahre, „in denen die Konstanz einer Beziehung als kleinbürgerlich angesehen wurde“. Sandra und Baumi verbündeten sich auch politisch und kämpften an der Seite der Bewegung Lotta continua. Der perfekt zweisprachige Baumi betrieb bei den italienischen Arbeitern der nahegelegenen Opelwerke in Rüsselsheim Agitation. Später gründete er in Frankfurt im Kollektiv das alternative Kino Harmonie und betreute und belebte es mit Filmen, die vorwiegend aus dem Ausland angeschafft wurden und viel Farbe und kulturelle Vielfalt ins biedere und spießige Frankfurt brachten. Mit dabei ist in diesen Jahren und bis an Baumis Lebensende auch Reinhard Brundig, mit dem Baumi einige Jahre später den Filmverleih Pandora gründen wird. Die beiden kümmerten sich zunächst um den Ankauf von Filmen, bald auch um den Verleih. Sie besuchten regelmäßig Filmfestivals und kehrten mit neuen Eindrücken und Filmrollen wieder zurück nach Frankfurt. Heute wissen wir: die beiden revolutionierten damals die Filmlandschaft. 
     

    Er glaubte an junge Talente und unterstützte sie in ihrem Tun. 

  • Lebenslange "Harmonie": Reinhard Brundig und Karl Baumgartner Foto: Pandora

    „Er war jemand, der ständig auf der Suche nach Geschichten war, Geschichten aus dem Leben, die authentisch sind“, erinnert sich Siegfried Baur, ein Freund aus Baumis Brunecker Clique: „Der Baumi war ein unglaublich neugieriger Mensch und gleichzeitig sehr offen, er war getragen von der Überzeugung, dass alle Menschen gleich sind, dass sich die Kulturen nicht essentiell unterscheiden, und dass auf einer bestimmten Ebene etwas entstehen kann, was man als Weltgesellschaft bezeichnen könnte – eigentlich war er ein exzellenter interkultureller Pädagoge.“ Beachtenswert war Baumis wirtschaftliche Kompetenz. Er konnte Leute überzeugen, Geld in filmreife Geschichten zu investieren. Er glaubte an junge Talente und unterstützte sie in ihrem Tun. Mit viel multikultureller Kompetenz agierte er als Vermittler zwischen den Welten und spielte seinen politischen Grundgedanken einer kulturellen Internationale auf die Leinwände der Kinos. Diese Interkulturalität produzierte sich durch sein Schaffen immer wieder aufs Neue und sorgte am Ende für eine Vielzahl an produzierten Filmperlen, für Preise und Ehrungen auf wichtigen Filmfestivals. 

  • Tochter und Vater: Martina Valentina Baumgartner mit ihrem Vater Karl. Foto: Privat

    Wenn er von seinen Reisen in regelmäßigen Abständen nach Bruneck zurückkam, kommentierte er seine cineastischen Glanzleistungen bescheiden und ohne Starallüren: „Er hat daraus nie ein asymmetrisches Verhältnis gemacht. Es war einfach eine weitere Geschichte, die er uns erzählt hat“ weiß Peter Litturi zu berichten, „nur manchmal, da glaubte Baumi, er hätte sein künstlerisches Talent verraten und keinen eigenen Film gemacht“. Er betonte mehrmals selbst, er könne wohl das am besten, was auch sein Vater – dieser starb, als Baumi 15 Jahre alt war – am besten gekonnt hatte: Handel treiben. Daneben galt Baumis Stärke dem bildlichen Erzählen: „Da hattest du das Gefühl, du bist mitten im Film“, erinnert sich sein Bruder. Baumis Tochter Martina Valentina erinnerte sich vor allem an die vielen Geschichten, die ihr Vater ihr von seinen Reisen aus den fernsten Ländern mitgebrachte, passend zu einem kleinen Geschenk. Dem Weltenbürger gelang es mühelos, sich voll und ganz in neue Realitäten und Kulturräume hineinzuversetzen. Der Schriftsteller Ilija Trojanow, dessen Romanerstling Die Welt ist groß und Rettung lauert überall Baumi im Jahr 2008 in die Kinos brachte, erinnert sich beispielsweise an die vielen Stunden, in denen Baumi, er und andere bulgarische Filmfreunde zum Drehbuch diskutierten und sich fantasiereich die möglichen zu verfilmenden Szenen vorstellten: „Je länger der Abend andauerte, umso mehr verstärkte sich der Eindruck, der Baumi entwickelte sich zum Bulgaren und die Bulgaren um ihn herum zu Ausländern.“ 
    Mit prophetischer Kraft hat Baumi die internationale Filmszene wie kaum ein anderer geprägt, stets vermittelnd und mit politisch korrektem Ansatz: Gegen Ungleichheit, Ausbeutung und jede Form von Lüge. 

  • Lesen, lesen, lesen. Und Filme schauen: Karl Baumgartner in jungen Jahren Foto: Privat