„Raue, wilde Welten“

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SALTO: Welches Buch hat Sie in Ihrer Kindheit nachhaltiger geprägt, als Sie damals je geglaubt hätten?
Evelyn Reso: Bücher wie Die kleine Hexe von Otfried Preußler oder Ronja Räubertochter von Astrid Lindgren. Ich mochte schon damals raue, wilde Welten, in denen sich eigensinnige Heldinnen allein behaupten. Vielleicht auch deshalb, weil sie so ganz anders waren als meine Wirklichkeit – ich bin in einem Hotel in der Stadt aufgewachsen. Aber genau das ist ja das Schöne an Geschichten: dass man durch sie in jede erdenkliche Welt eintauchen kann – und gerade durch diesen Abstand den eigenen Alltag manchmal erst richtig erkennt und versteht.
Welcher letzte Satz eines Romans ist und bleibt für Sie ganz großes Kopfkino?
Ich habe kürzlich Was man von hier aus sehen kann von Mariana Leky gelesen – und es von der ersten bis zur letzten Seite genossen. Der Schlusssatz bildet eine schöne Klammer zum Anfang, was ich besonders mag. Hier ist er:
„Hinter seinen Lidern sah er ein unbewegtes Nachbild, eine angehaltene Bewegung des Winkens, das angehaltene Lächeln, und alles, was eigentlich hell war, war hinter seinen Lidern dunkel, und alles, was eigentlich dunkel war, war jetzt sehr hell.“
Auf einer einsamen Insel würde ich höchstens einen Survival-Guide zurücklassen.
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Reso oder Caminada: Evelyn Reso arbeitet an der Schnittstelle von Kulturwissenschaft, kuratorischer Praxis und literarischem Erzählen – mit dem Anspruch, Geschichte und Geschichten in unterschiedlichen medialen Formaten verständlich, vielschichtig und berührend zu vermitteln. Unter ihrem Autorennamen Evelyn Caminada veröffentlicht sie zudem Fantasyromane und Kurzgeschichten mit Südtirol-Bezug. Foto: Privat
Reimen ist doof, Schleimen ist noch doofer… Auf welches – anscheinend gute – Buch konnten Sie sich nie wirklich einen Reim machen?
Oje, da gäbe es wohl mehrere. Aber Geschmäcker sind zum Glück verschieden, und ich würde niemandem die Freude an ihrem oder seinem Lieblingsbuch nehmen wollen.
Ein Fall für Commissario Vernatschio. Wie erklären Sie einem Außerirdischen die geheimnisvolle Banalität von Lokalkrimis?
Mangels eigener Erfahrung müsste sich der Außerirdische wohl einen kulturwissenschaftlichen Vortrag anhören – über Regionalität, Identitätsstiftung, die Konzepte von „Heimat“, vom „Eigenen“ und vom „Fremden“, über Stereotype, moderne Märchen und die Erzählformen des Alltags …
Gewichtig! Welchen Buch-Tipps schenken Sie noch uneingeschränkt Vertrauen?
Den Empfehlungen meiner Freunde – wobei mich die des Außerirdischen auch brennend interessieren würden.
Was für ein Fehlschlag! Welches Buch würden Sie auf einer einsamen Insel zurücklassen?
Auf einer einsamen Insel würde ich höchstens einen Survival-Guide zurücklassen.
Das Rauschen des Blätterns. Welches Buch würden Sie auf keinen Fall am E-Book-Reader lesen?
Ich lese grundsätzlich lieber auf Papier und muss das Buch dabei tatsächlich immer wieder mal durch meine Finger rauschen lassen. Wenn der Schnitt dann auch noch besonders gestaltet ist – etwa neonblau wie bei Leky – bin ich dem Blätterrauschen endgültig verfallen.
Welches Buch zu Südtirol oder eines/einer Autors/Autorin aus Südtirol würden Sie unbedingt weiterempfehlen?
Unbedingt Cold Case Ötzi von Josef Rohrer. Ich bewundere sehr, wie es ihm gelingt, komplexes Wissen so spannend und gleichzeitig zugänglich zu erzählen.
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