Kultur | Salto Weekend
100 Eskapaden und ein Besuch

Foto: Alexander Dellantonio
Ausstellungen in Bars sind nicht wie Ausstellungen in Gallerien. Eine Bar ist im Spektrum der Spannung, welcher sich Kunstwerke aussetzen müssen, recht weit von einem White Cube entfernt. Bei seiner kurzen, einführenden Erklärung zeigt sich auch der Künstler dessen bewusst und erklärt, die Lichtverhältnisse in der Bar bei der Auswahl der Werke berücksichtigt zu haben. Er hat sich aus seiner rund 100 Stücke umfassenden in Schwarzweiß gehaltenen Reihe „Surrealist Escapades“ für die Bilder entschieden, die einen dunklen Hintergrund und helle Highlights haben. Präsentiert sind die kleinformatigen Arbeiten auf schlichtem, braunen Paketkarton, der mit Hilfe von Foldback-Klammern aufgehängt wird, was gut zum DIY Charme des Lokals passt. Die Bilder haben auf den ersten Blick cineastische, aber auch traumhafte oder Body-Horror Qualitäten, die sich vielleicht nicht beim ersten, aber sicher auf den zweiten Blick zeigen. Freud hätte seine Freude mit der Analyse. Wer den Rest der Serie sehen wolle, so Dellantonio, der im Laufe des Abends noch als Storyteller seiner eigenen Bilder fungierte, der solle ihn einfach ansprechen und dafür zu ihm nach Hause kommen.
Auch das ist anders als im White Cube: Niemand würde dort eine solche Einladung an alle im Raum anwesenden Fremden aussprechen. Südtirol kann mehr dieser kleinen, für Künstler wesentlich niederschwelligeren Ausstellungsmöglichkeiten brauchen. Gern ging ich auf das Angebot ein und habe den Künstler Abends darauf in seiner Wohnung im Europaviertel besucht.
Im Wohnzimmer stehen schon zwei Stapel Pappen mit Collagen für mich bereit. Davor fällt mein Blick auf eine Arbeit an einer der Wände, das verglichen mit den mitunter minimalistischen Schwarz-Weiß Collagen poppig und komplex ist. Bei einem Glas Cassis-Saft führt er mich durch das Bild, welches mich an die Vielschichtigkeit einer Plakatwand erinnert, die auch etwas Regen abbekommen hat. Es stammt aus seinen Jahren in Berlin, das Ausfahrtsschild in der Ecke zeigt zum Jobcenter, vor dem er als vermittelte Arbeit im Berliner Winter Flyer verteilen musste. Alle Wege führen zum Berliner Jobcenter: Christus, eine Muttergottes, ein Model, die Freiheitsstatue, ein Makler, Karl Marx und weitere Personen finden sich ein. Fast wirkt das wie eine Verbrüderung.
Die „Zombie Portraits“, die er mir zeigt, Décollage-Arbeiten passen auch in das Bild, das ich vom Künstler hatte. Zombiefilme, das passt zum Künstler. Die Bilder sind schrill und verstörend, erzielen sofort einen Effekt und die verschiedenen Schichten lösen sich wie Haut ab, da und dort sichtbare Materialität, wie freiliegender Knochen.
Ich gehe zur Couch und setze mich. Ohne den Abstand, der bei einer Ausstellung da wäre, wirken die Bilder anders. Ich blättere durch den Stapel mit Vorsicht, aber ein bisschen entsteht der Eindruck eines Films, mit weniger Kohärenz. Mir fällt auf, dass Dellantonio für die Ausstellung im Picchio sanftere Bilder gewählt hat, viel Sexualität, Brüste, Penisse und Vaginen, letztere auch gern ineinander verschränkt überrascht mich etwas. Meist weiblich, oft hermaphroditisch und so gut wie fast nicht ist diese Nacktheit rein männlich. Manches davon ist mir zu direkt, ich fühle mich ein bisschen als Voyeur.
Was mir dabei gefällt ist Dellantonios offener Umgang mit seinen Vorbildern. Immer wieder reicht er mir dicke Wälzer über seine Idole, erklärt mir welche der Arbeiten Karel Teige nachempfunden sind, welche Jindřich Štyrský und welche Toyen. Derivativ sind die Arbeiten dabei nicht, es findet eine Übertragung, eine Umwidmung mit ähnlichen, aber nicht gleichen Materialien: Da wird eine Form in ähnlichem Winkel auf ein Riesenrad statt einen Fächer übertragen, dort ein Hinterteil auf die Flügel eines Schwans, statt Brüsten, weil Dellantonio ein Bild des Tieres aus anderer Perspektive hatte. Das Unerwartete und das Surreale bleibt als Eindruck hängen, als eine leichte Dissoziation beim Blick in alle Richtungen, in einen normalen Raum, der mir auf einmal unpassend erscheint. Wir trinken einen weiteren Cassis und gehen zum Interview über, die Wohnung zu öffnen reichte noch nicht.
Salto.bz: Herr Dellantonio, wie viele Elemente sind für eine Collage zu viel oder zu wenig?
Alexander Dellantonio: Das hängt davon ab, was ich im Sinn habe. Ich habe schon auf 15 Quadratzentimeter ich weiß nicht mehr wie viele Materialien eingeklebt und das ist immer noch nicht fertig. Dann gibt es Collagen, bei denen man nur ein Element auf einen Hintergrund klebt und es ergänzt sich schon, weil so viel in letzterem ist. Mir gefällt es wenn die Collage schlicht bleibt und man von Weitem nichts Ungewöhnliches sieht, dann näher herangeht und einen Widerspruch bemerkt.
Es braucht für Sie den Moment des Unpassenden?
Es braucht beides. Im ersten Moment sieht es aus, wie ein Foto von irgendetwas, im zweiten merkt man es ist eine Collage, in der ein störendes Element enthalten ist, aber so dargestellt, dass es nicht stechend, nicht Gewalt aufs Auge ausübend ist.
Viele der Arbeiten haben erotische Inhalte. Gibt es für Sie eine klare Trennlinie zwischen Kunst und Pornographie oder sind die Übergänge fließend und es existiert vielleicht sogar eine Schnittmenge?
Ganz abgesehen von mir selbst findet das immer auf mehreren Ebenen statt. Ich versuche persönlich, die beiden nicht überlappen zu lassen. Mir gefällt es, dass meine Bilder eine gewisse Würde haben. Da es sich hauptsächlich um die Körper von Frauen handelt geht es auch um Respekt. Es geht mir um die Kunst und nicht darum, jemanden zu sezieren.
In der Freudschen Traumdeutung träumt, wer vom Fliegen träumt, eigentlich von Sex. Wovon „träumt“ man in ihren Bildern, wenn Sex dargestellt wird?
Es geht um Eskapismus aus der Realität, die auch im Alltag wichtig ist: Man muss sich nicht alles geben, was passiert, wenn einem etwas nicht gefällt und es nicht die Möglichkeit gibt, daran etwas zu ändern, was alleine nur im Kleinen möglich ist. Es ist der Eskapismus also auch ein Eskapismus vor mir selbst. Auch jetzt, bald vier Monate Nachrichten über den Krieg in der Ukraine, die ich mir trotzdem täglich ansehe. Viele haben schon aufgehört Nachrichten dazu zu konsumieren, weil es schwer auszuhalten ist. Erotik und Körpertanz sind eine Darstellung davon, wie wir hin und her geworfen werden, im Alltag.
Bei der Zerstückelung und Assemblage von Körpern für Ihre Collagen, was bedeutet für Sie das Wort Würde? Das ist schon ein Akt der Gewalt, symbolisch gesprochen.
Man sollte den Körper nicht vergewaltigen. Man kann aber auch sehen, dass die Welt nicht mehr heteronormierbar ist, obwohl es von vielen Seiten so poniert wird. Es kann der sexuelle Akt als Spiel angesehen werden, wenn er mit gegenseitiger Einvernehmlichkeit stattfindet. Dann kann man machen, was man will, Hauptsache, man ist safe. Es gibt so viel Material, dass man der Fantasie freien Lauf lassen kann. Es gibt einige „härtere“ Arbeiten, aber selbst dort ist es ein Spiel für ein Aktfoto und kein Gewaltakt. Mich interessiert nicht das Pornografische, sondern ein Gefühl oder eine Vorstellung. Bereits seit Jahrhunderten setzen sich Künstler etwa mit Androgynie auseinander, aus dem Wunsch heraus alles sein zu können und sich nicht zu limitieren.
Wie träumen Sie?
Wenn ich träume und mich erinnere, dann träume ich heftige Träume. Irgendwie auch in Schablonen: Ein Gebäude, das immer wieder auftaucht, ein Umherlaufen, Hineinlaufen, etwas suchen aber nicht finden, oder selbst gesucht werden. Oft etwas abenteuerliches. Vielleicht fehlt mir das etwas im Alltag. Ich absorbiere auch immer viel, meistens von dem was ich in den letzten drei Tagen gedacht oder gesehen habe.
Hat für Sie der Traum etwas collagenhaftes oder die Collage einen traumhaften Aspekt?
Die Collage das Traumhafte. Aber ein Traum ist auch Patchwork. Am Surrealismus interessiert mich aber auch weniger der Traum, eher wie die zweite Generation der tschechischen Surrealisten, die das Automatische Schreiben nicht als ihren Ansatz betrachteten. Man muss nicht mit geschlossenen Augen träumen, Poesie kommt auch bei wachem Sein vor. Der Surrealismus wurde in seiner Entwicklung etwas weniger "klassisch" traumhaft, man blicke aber auf Yves Tanguy oder z.B. Max Ernst um zu sehen wie wichtig für diese Surrealisten der ersten Stunde der Traum war. Im Feld der Collage haben Künstlerinnen wie die Japanerin Toshiko Okanoue und Dora Maar schöne Schwarzweiß-montagen in diesem Stil gemacht.
Viele ihrer Arbeiten sind politisch: welches ist Ihr Blick auf politische Kunst? Linkspolitische Arbeiten laufen etwa oft Gefahr in einem linkspolitischem Kontext bereits linkspolitisch denkenden Menschen gezeigt zu werden…
Man kann mit Kunst agitieren, ohne Propaganda zu machen. Propaganda ist bereits überpolitisch, muss aber auch nicht unbedingt eine Lüge sein: Auch die Wahrheit lässt sich propagandieren. Viele Themen, die die Welt heute beschäftigen sind politische Themen: Die Umwelt, Ausbeutung auf der Arbeit, die Unterdrückung von Frauen… Die Kunst kann beim Verstehen helfen. Mir ist es einfach auch nicht genug, Blümchen zu malen.
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