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Politik | Renaturierungsgesetz

Naturschutz gegen die EVP durchsetzen

Ja, es kann gelingen: eine wichtige Reform zur Wiederherstellung der Natur und Ökologisierung der Landwirtschaft gegen die konservative Mehrheit in der EU durchzubringen.
Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag der Community und spiegelt nicht notwendigerweise die Meinung der SALTO-Redaktion wider.
Blumenwiese
Foto: Othmar Seehauser
  • Zünglein an der Waage war die österreichische Umweltministerin Gewessler, die gestern im Rat der EU-Umweltminister den Ausschlag gab für ein knappes Ja zum EU-Renaturierungsgesetz, gegen den Willen ihrer Regierungsmehrheit. Das EU-Parlament hatte schon im Februar mit deutlicher Mehrheit zugestimmt, wobei auch ein Teil der EVP-Abgeordneten zustimmte. Auch die Mehrheit der österreichischen Abgeordneten (NEOS, SPÖ, Grüne und der ÖVP-Abgeordnete Karas) hatte zugestimmt. Entgegen der Darstellung von Kanzler Nehammer ist die österreichische Wählerschaft in diesem politischen Willensakt sehr wohl widergespiegelt, nur eben nicht die von der EVP vertretene Bauernlobby. Insgesamt haben hier Christdemokraten und Rechtspopulisten eine unheilige Allianz gegen mehr Natur- und Klimaschutz geschlossen, wie das Votum im Parlament schon zeigte. Die Regierung Meloni hat im EU-Rat – wie Dorfmann im EU-Parlament - gegen das Gesetz gestimmt, obwohl gerade Italien eines jener EU-Länder ist, wo am meisten Naturlandschaft versiegelt, verbaut, zersiedelt, beeinträchtigt und zerstört ist. 

  • Die wichtigsten Punkte des Renaturierungsgesetzes

    Die EU-Mitgliedstaaten werden dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2050 erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um nahezu alle geschädigten Ökosysteme auf ihrem Gebiet zu renaturieren. Alle Arten von Lebensräumen müssen einbezogen werden gleich ob Wälder, Moore, Wiesen, Seen, Flüsse und Meere.

    Es gilt ein Stufenplan: bis 2030 müssen in mindestens 30% der Ökosysteme Maßnahmen anlaufen, um sie einen guten Zustand zu bringen; das entspricht etwa 20% der Gesamtfläche der EU. Bis 2040 müssen die Staaten in 60% und bis 2050 in 90% der geschädigten Ökosysteme geeignete Maßnahmen für Renaturierung ergriffen haben. Außerdem sollen die Renaturierungen dazu beitragen, weitere von der EU angestrebte Ziele zu erreichen: die Pflanzung von mindestens drei Milliarden zusätzlicher Bäume bis 2030 und die Schaffung frei fließender Flüsse auf einer Länge von 25.000 Kilometern oder mehr.

    Die EU-Kommission hatte das Gesetz im Juni 2022 vorgelegt, um einer Vorgabe des Weltbiodiversitätsrates zu folgen, wonach es nicht mehr ausreicht, die vorhandenen Naturreste zu schützen, um den Artenverlust zu stoppen. Auch die Welt-Biodiversitätskonferenz von Montreal hatte schon 2023 im „Übereinkommen über die biologische Vielfalt“ beschlossen, 30% der Erdoberfläche unter Schutz zu stellen und auf weitere 30% der Fläche zu renaturieren. Anders als die Beschlüsse von Montreal ist ein EU-Gesetz unmittelbar bindend für die Mitgliedstaaten und muss auch nicht noch einmal von den nationalen Parlamenten beschlossen werden.

  • Renaturierungsgesetz wird bahnbrechend sein

    Das Renaturierungsgesetz ist das weltweit erste Gesetz, das eine ganze Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, Natur nicht nur zu bewahren, sondern zusätzlich bereits zerstörte oder geschädigte Ökosysteme wieder in einen guten Zustand zu bringen. In der EU sind mehr als 80% der Lebensräume in einem schlechten Zustand. Unter dem Verlust an Artenvielfalt leiden nicht nur Tier und Mensch, sondern auch die Landwirtschaft. Wenn es keine bestäubenden Insekten gibt, geht auch die Agrarproduktion zurück. Die Welt der Wissenschaft hat das EU-Renaturierungsgesetz immer mehrheitlich unterstützt. Nur Politiker, die dem agrarischen Produktivitätswahn verhaftet sind, können gegen ein solches Gesetz stimmen. Argumentiert wird dann immer mit der angeblichen „Überregulierung“, doch ohne strenge und überprüfte Regeln geht wirksamer Naturschutz nicht.

    Für Südtirol würde die Umsetzung wohltuende Auswirkungen haben: mehr Schutz bestehender Schutzgebiete, die Pflicht, weitere 5% der Landesfläche unter Schutz zu stellen, mehr Bemühungen zur Senkung des Einsatzes von Düngemitteln und Pestiziden in der Landwirtschaft, etwas mehr Biolandbau. Es wäre die Gelegenheit, mit zentralen Anliegen des Klimaplans 2040 ernst zu machen und die Landwirtschaft in die Pflicht zu nehmen (was im Klimaplan nicht wirklich geschieht).

    Die auch von Dorfmann und der SVP gebotene Ablehnung des Renaturierungsgesetz ist einerseits verständlich, weil Agrarlobby-Interessen dort immer Vorrang haben. Zum anderen aber auch unglaublich kurzsichtig, denn es geht um ein gesamteuropäisches Interesse, vor allem in jenen Ländern mit hochgradig beeinträchtigter Natur wie Italien, es geht um wirksamen Schutz des Klimas und der Artenvielfalt. Nun kommt es wesentlich darauf an, dass es ÖVP-Kanzler Nehammer nicht gelingt, die EU-Zustimmung Österreichs über eine Klage beim EuGH wieder zu kippen.

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Karl Gudauner Mi., 19.06.2024 - 10:25

Die Bevölkerung ist laut Umfragen für einen ökologischen Umbau des Wirtschafts- und Konsumsystems. Die Wissenschaft betont unablässig, dass die Daten zum Klimawandel und zur Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen sowie zum Raubbau an Rohstoffen eindeutig belegen, dass dieser Schritt notwendig ist. Verantwortungsvolle Politik erfordert es, konkrete Wege aufzuzeigen, wie Lebensqualität für kommende Generationen gewährleistet werden kann. EVP und SVP haben dies Aufgabe mutig in Angriff zu nehmen anstatt sich aus der Verantwortung zu stehlen. Wo sind ihre strategischen Konzepte und wie sollen die Maßnahmen aussehen? Wie soll die EU dank pragmatischer Anpassungen, gezielter Förderungen und sozialer Abfederungsmaßnahmen die ehrgeizigen Ziele erreichen? Der EU-Green Deal darf nicht auf dem Misthaufen der Geschichte landen, wenn wir eine lebenswerte Zukunft wollen. Es ist ja bei vielen Programmzielen so, dass die Umsetzung nicht 1:1 erfolgt. Die verschiedenen Wirtschaftsakteure und soziale und umweltpolitische Akteure müssen einbezogen werden. Die Maßnahmen müssen von der EU-Ebene bis auf die regionale und lokale Ebene heruntergebrochen werden und sich sinnvoll ergänzen und finanziert werden. Also lauten die Fragen: Wie soll der Plan der Umsetzung realitätsnahe Konturen erhalten? Welche Schritte sind in Südtirol sinnvoll und können dank proaktiver Konsensarbeit umgesetzt werden? Die EVP als stärkste politische Kraft im EU-Parlament steht in der Verantwortung und muss Vorreiterin bei den Politiken des Klimawandels sein.

Mi., 19.06.2024 - 10:25 Permalink
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Franz Pattis Mi., 19.06.2024 - 10:56

Zitiere oben: „Die EU-Mitgliedstaaten werden dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2050 erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um nahezu alle geschädigten Ökosysteme auf ihrem Gebiet zu renaturieren. Alle Arten von Lebensräumen müssen einbezogen werden“.
Habe den Werdegang dieses nun endlich auch von der EU-Staaten übernommenen Renaturierungsgesetzes letzthin ganz genau verfolgt und bin nun überglücklich!
Vor allem auch im Hinblick auf meine Herzensangelegenheit bzw. den Schutz des stark bedrohten Brixner Auwaldes. Denn dieses 2 Hektar große Ökosystem passt genau in die Kriterien dieses neuen Gesetzes. Will heißen dass dieser Wald jetzt endgültig unter Schutz gestellt werden muss! Und nicht nur das: er muss nun sogar noch renaturiert bzw. wieder vernässt werden und zwar mit einem unterirdischen Rohr vom nahen Eisack. Der bekannte Burggräfler Biologe Martin Hilpold hat dies übrigens bereits im Jahr 2020 gefordert:
https://www.dropbox.com/scl/fi/daypw4b0hlnhwxq82v0vz/Renaturierung-m-gl…
Fazit: Dieses nun definitiv in Kraft getretene EU-Renaturierungsgesetz bedeutet somit das Ende der seit 2019 laufenden Bestrebungen der Firma Progress, den Auwald in der Brixner Industriegebäude für ein neues Betriebsgebäude zu zerstören.
Und sollte weiterhin dieses Vorhaben hinter den Kulissen vorangetrieben werden, wird eine Eingabe beim regionalen Verwaltungsgericht (TAR) diesem Treiben ein für allemal ein Ende bereiten!!
Und damit wird sich auch der neue Urbanistik-Landesrat Peter Brunner abfinden müssen. Der ex Brixner Bürgermeister ist nämlich ein sehr starker Unterstützer der Auwald-Zerstörung und war persönlich Ende Juli 2023 am Progress Sitz dabei, als das neue Projekt vorgestellt wurde, siehe auch das letzte Bild der Presseaussendung des Unternehmerverbandes:
https://www.madeinbz.info/win-win-fur-wirtschaft-und-umwelt/
PS. Bleibt nur zu hoffen dass nach dem Inkrafttreten dieses EU-Renaturierungsgesetzes nun auch die Umweltgruppe Eisacktal inklusive der Dachverband für Natur und Umweltschutz endlich „aufwachen“ und auch für den bedingungslosen Schutz des Brixner Auwaldes einstehen, anstatt sich immer nur hinter den versprochenen Ausgleichsmassnahmen (Erweiterung Millander Au) zu verstecken!!

Mi., 19.06.2024 - 10:56 Permalink
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Franz Pattis Sa., 22.06.2024 - 11:40

Antwort auf von Franz Pattis

Ergänzung zum meinem obigen letzten Absatz…..
Habe leider vergeblich gehofft: am Mittwoch hat der Brixner Stadtrat einen neuen Beschluss zur Auwald-Bauleitplanänderung gefasst und in den Prämissen spricht sich auch die Umweltgruppe Eisacktal leider wieder für den faulen Auwald „Deal“ aus, Seite 5, erster Absatz:
https://albopretoriodl.gvcc.net/011/BESCH/2024/B103158047.PDF
Da dieser Verein erst kürzlich für eine Müllsammlung in der Millander Au (2 !! Säcke laut Foto Presseaussendung) von der Gemeinde Brixen einen Beitrag von 500 Euro erhalten hat, muss man halt auch „treu“ bleiben…..
https://albopretoriodl.gvcc.net/011/BESCH/2024/B103095460.PDF

Sa., 22.06.2024 - 11:40 Permalink
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Gasteiger josef Mi., 19.06.2024 - 19:14

Eine für mich schnell umsetzbare maßnahme i südtirol ware ein stop jedweder waldrodungen für gewerbegebiete viehwirtschaft,(es werden noch immer von gemeinen umwandlungen von wald in wiese oder feld genehmigt) bzw obst u weinbau. Das eugesetz sieht x millionen baumpflanzungen vor. Wir könnten zumindest aufhören wald für eine ohnehin überzüchtete landwirtschaft zu roden . Dass dorfmann dagegen gestimmt hat spricht bände, er vertritt in brüssel nur die landwirtschaft nicht die südtiroler bevölkerung.

Mi., 19.06.2024 - 19:14 Permalink
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Johannes Engl Mi., 19.06.2024 - 21:30

Eine weitere wichtige Maßnahme ist die sofortige Beendigung des
Torfabbaues, die Wiedervernässung der Flächen (wo es noch möglich ist) und der Stop von neuen Torf-Konzessionen. Damit wäre dem Artenschutz und dem Klimaschutz geholfen.

Mi., 19.06.2024 - 21:30 Permalink
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Martin Daniel Do., 20.06.2024 - 09:00

Ein beispielhafter Sieg über die Lobbies, wenn man bedenkt, dass sich 80% der österreichischen Wählerschaft für diese Norm aussprechen. Hoffentlich macht das Schule!

Do., 20.06.2024 - 09:00 Permalink
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Gregor Beikircher Fr., 21.06.2024 - 20:42

Wenn Gemeindeverwaltungen vielmehr auf die Industrie- und Bauernlobby hören und auch kirchliche Institutionen wertvolle Naturlandschaften rein geschäftlich veräußern, wie beim Brixner Auwald es der Fall ist, so müsste das europäische Renaturierungsgesetz hier dringend greifen und zusätzlich zur Verbesserung des Millander Biotops auch noch die Renaturierung dieses Auwaldes verlangen. Das weit kleinere Areal des verseuchtes Intensivanbaugebietes, das man anstelle des Auwaldes zur Renaturierung bereitstellen will, ist keinesfalls ein Ausgleich zum Verlust des bestehenden weit größeren Auwaldareals, das man in den letzten Jahren völlig verkommen ließ. Vielmehr müsste man zusätzlich dieses erhalten und schleunigst renaturieren, so wie es das jetzt in Kraft tretende Renaturierungsgesetz des europäischen Parlaments vorsieht.
Wenn hier auch noch eine Umweltgruppe wie die "Hyla" diesem Verlust mit einem solch völlig zwielichten Handel zustimmt, wie hier in Brixen passiert, so kann Renaturierung sicher nicht ernsthaft funktionieren und eine vielseitige und gesunde Umwelt bleibt weiterhin außen vor.
40 Jahre lang war ich imstande mit meiner Umweltgruppe Brixen in Zusammenarbeit mit anderen Umwelt- und Naturschutzinstitutionen den Auwald dort zu erhalten, jetzt, wann endlich das Reanturierungsgesetz greifen würde, sagt man, das sei kein Auwald mehr. Wieso schreitet man nicht sofort zur Renaturierung, sodass sich dieser Wald wiederum als Auwald anfühlt?

Fr., 21.06.2024 - 20:42 Permalink
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Profil für Benutzer Thomas Benedikter
Thomas Benedikter Fr., 21.06.2024 - 21:49

Mehrere Kommentatoren sehen das vollkommen richtig: der erste Schritt, mit "Renaturierung" ernst zu machen, wäre, unnötige, überzogene, bloßen Renditendenken entspringender "Denaturierung", also Waldrodung, Moorentwässerung, Flächenversiegelung, Bodenerosion durch landwirtschaftliche Übernutzung und anderen Formen von Naturzerstörung ein Ende zu setzen. Im Klartext bei uns: die unzähligen Grün-Grün-Änderungen viel strenger regeln. Daneben enthält diese neue EU-Norm viele weitreichende Bestimmungen, wie z.B. die Erweiterung der Naturschutzgebiete (Südtirol nur zu 25% unter Schutz).
Das EU-Renaturierungsgesetz wird in Kraft treten und hat als EU-Verordnung direkte Auswirkungen. Dennoch können wir gespannt sein, wie Staat und Land entspr. Umsetzungsschritte vollziehen. Da gibt's noch viel zu tun!

Fr., 21.06.2024 - 21:49 Permalink