Gesellschaft | Holocaust-Gedenken

Zukünftige Leuchttürme auf Reisen

Bei einer Pressekonferenz im Bozner Goethe Haus wies man heute auf die Möglichkeit für 17 bis 25-Jährige hin, sich für das Projekt „Reise der Erinnerung“ anzumelden.
Auschwitz Birkenau, Die Reise der Erinnerungen - Promemoria Auschwitz
Foto: Riccardo Prandini
„Die Reise der Erinnerungen - Promemoria Auschwitz - Il viaggio della memoria“, ist ein Projekt, das sich 2011 auf den Weg machte. Es wurde heute im Beisein der drei Kulturlandesräte noch einmal vorgestellt und trotz Par Condicio kamen Achammer, Alfreider und Vettorato gleichermaßen zum Projekt ins Schwärmen. Erst vor drei Tagen jährte sich der Beginn der Auslöschung der jüdischen Gemeinde Merans zum 80. Mal, ein Datum, an das auf der Konferenz erinnert wurde.
Etwa 160 junge Menschen (für die Reise gibt es auch 2024 wieder 164 Plätze plus ein Reservekontingent) nehmen jährlich aus Südtirol an der Reise teil, das Projekt involviert auch die beiden Euregio-Nachbarregionen Tirol und Trentino und kennt damit keine (Sprach-)grenzen. Von Berufs- und Oberschüler:innen, bis hin zu Student:innen gestaltet sich die Reisegruppe sehr heterogen.
 
Schindler Museum, Die Reise der Erinnerungen - Promemoria Auschwitz
Schindler Museum, Die Reise der Erinnerungen - Promemoria Auschwitz: Es ist mehr als eine Reise in die Vergangenheit und ein anderes Land. Durch die Vor- und Aufbereitung werden die Themen mit der Gegenwart verknüpft. | Foto: Riccardo Prandini
 
Im Vorfeld der sechstägigen Reise (von 16. bis 21. Februar), die auch heuer wieder nach Krakau führt und u.a. den Besuch der Gedenkstätten Auschwitz und Birkenau vorsieht, werden die ausgewählten Teilnehmer:innen in den Monaten Dezember und Jänner auf die Reise vorbereitet. Anmeldeschluss für die Reise, deren Kostenpunkt 140 Euro beträgt, ist der 31. Oktober. Wer zwischen 17 und 25 Jahre alt ist, kann sich mit einem kurzen Motivationsschreiben (max. 2000 Zeichen) auf dieser Webseite um einen der Plätze bewerben. Das ist kürzer als dieser Artikel bis zum Interview.
In der Vorbereitung auf die Reise, wie auch in deren Nachbereitung werden regionale Aspekte der Shoa vertieft („damit man nicht immer nur mit dem Finger auf andere zeigt“) und auch eine Anknüpfung der Themen Rassismus und Ausgrenzung an die Gegenwart versucht.
Ziel sei es, die „Bürger:innen von morgen auszubilden“, welche in Anbetracht der Sterblichkeit von Zeitzeugen die Erinnerung lebendig halten. Es gelte „Leuchttürme auf den Weg zu bringen“ und „Leuchttürme zu schaffen, die nach draußen gehen“. Ist diese Metapher auch etwas schräg, so zeigt sie doch auch wieviel auf dieser Reise in Bewegung kommt. „Man kann Auschwitz nicht mit allen Antworten verlassen.“, hieß es, aber auch: „Das Licht in den Augen ist nach der Reise ein anderes.“
 
Verena Hafner
Verena Hafner: Sie betreut das Projekt seitens der Arbeitsgemeinschaft der Jugenddienste im Land und unterstreicht die zukunftsweisende Wichtigkeit von Erinnerungsarbeit. | Foto: Privat
 
Salto.bz: Frau Hafner, wenn alle Jugendlichen ein Motivationsschreiben einreichen sollen, wie bewegend sind diese mitunter? Es wird von der Familiengeschichte bis hin zum sozialen Engagement verschiedene Beweggründe geben…
 
Verena Hafner: Die Motivationsschreiben sind immer sehr bewegend und zum Teil kommen Familiengeschichten zu Tage, wo es in der Zwischenzeit vielleicht nicht mehr um die Großeltern sondern die Urgroßeltern geht, oder um alte Fotografien oder Tagebücher. Zum Teil geht es auch um Migrations-Geschichten von Jugendlichen, die in der zweiten Generation in Südtirol sind.
Es ist für uns immer wieder bewegend, die Schreiben zu lesen und auch im weiteren Verlauf zu sehen, wie intensiv sich junge Menschen auch in Folge mit dem Thema auseinandersetzen.
 
Es findet ein Generationenwechsel statt: Bei den Teilnehmer:innen von Y auf Z und gleichzeitig wird die Zahl der noch lebenden Zeitzeugen immer kleiner. Wieviel schwieriger gestaltete sich die Suche nach Zeitzeugen im Laufe der Zeit?
 
Bei der ersten Ausgabe war Franz Thaler bei der Verabschiedung der Jugendlichen dabei, was natürlich sehr bewegend war. Es waren immer wieder Zeitzeugen dabei, was natürlich hier in Südtirol immer schwieriger ist. Es war auch eine Frau in Südtirol, die eigens aus Deutschland angereist ist und als kleines Mädchen in Auschwitz war. Es wird schwierig und es ist schon schwierig, aber gerade deshalb ist es uns ein Anliegen, junge Menschen an das Thema heranzuführen. Es ist ein Unterschied, ob man diese Dinge direkt erlebt, oder ob man sich indirekt damit befasst. Darum ist es uns wichtig, die Erinnerung wach zu halten und aus der Erinnerung etwas fürs Hier und Jetzt mitzunehmen. Was kann ich, als meinen kleinen Beitrag in der Gesellschaft leisten, damit diese Ungerechtigkeiten nicht mehr passieren. Es öffnet auch den Blick für verschiedene Grenzen, auf Rassismus und das Mittelmeer etwa. Wir wünschen uns, dass die Teilnehmer:innen hier mit einem kleinen Beitrag, aktiv werden.
 
Auschwitz-Birkenau, Die Reise der Erinnerungen - Promemoria Auschwitz
Auschwitz-Birkenau, Die Reise der Erinnerungen - Promemoria Auschwitz: ​​​​​​​Jugendliche am Eingang der Gedenkstätte. Es ist eine Reise, die laut allen Beteiligten, Spuren hinterlässt. | Foto: Riccardo Prandini
 
Wie hat sich der Zugang der Teilnehmer:innen seit dem Start des Projekts verändert? Begegnen Jugendliche dem Thema heute anders?
 
Das Interesse ist immer noch groß. Für uns ist es immer schön zu sehen, wie sich junge Menschen einbringen, nicht nur durch die Motivationsschreiben, sondern auch auf der Reise selbst, wie sie etwa beim Besuch der Gedenkstätte selbst aufeinander achtgeben. Bei den Nachtreffen und den Überlegungen, die sie im Rahmen dieser anstellen, zeigen sie sich dann oftmals reflektierter als so manche Erwachsenen. Was sich vielleicht verändert hat ist, dass früher mehrheitlich Oberschüler:innen dabei waren. Mittlerweile ist die Zielgruppe heterogener geworden, was sehr toll ist, weil dadurch unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungen zu dem Projekt stoßen. Wir haben festgestellt, dass auch die Studierenden und Berufsschüler:innen aus den unterschiedlichen Teilen Südtirols eine große Bereicherung für das Projekt sind und alle voneinander lernen können.
 
Sprechen wir einen Moment von dieser Verschiedenheit. Von außen ist es vielleicht verwunderlich, dass diese hier einen hohen Stellenwert hat. Muss nicht unser aller Haltung einfach nur „nie wieder“ sein?
 
Ich glaube einfach, dass jemand der mit 17 und noch in der Oberschule ist, unterschiedliche Erfahrungen hat und etwa anders mit Medien umgeht, als jemand der studiert. Das muss nicht unbedingt so sein, aber es geht dann darum, genau hinzusehen und kritisch zu hinterfragen. Nicht alles, was in den Medien oder einer Socialmedia-Blase als Fakt gilt, ist für bare Münze zu nehmen. Es gilt, gemeinsam zu überlegen und gerade das ist vielleicht heute wichtiger denn je. Jedes Mal wenn wir dieses Projekt vorgestellt haben, gab es für uns Betreuer:innen ein Element bei dem wir dachten, es könne nicht schlimmer kommen. Rassistische Äußerungen, antisemitische Angriffe oder das Mittelmeer als Massengrab, das alles sind Punkte, bei denen man in den letzten Jahren eine Verschlechterung beobachten konnte. Es ist schön jetzt ein möglichst breites Spektrum zu haben, da wir nur in der Vielfalt gemeinsam wachsen können, wenn wir diese auch als Stärke anerkennen.