Politik | Verfassungsreform

Eine Schutzklausel mit Verfallsdatum?

Die am Dienstag verabschiedete Verfassungsreform mag für die Normalregionen ein Riesenrückschritt sein, die autonomen Regionen haben sich noch retten können.Vorerst.
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„Das Prinzip der dynamischen Autonomie ist auf Verfassungsebene gehoben worden“, ließ LH Kompatscher wissen, „denn für unterschiedliche Situationen müssen unterschiedliche Lösungen gefunden werden.“ Zur Kritik, die SVP stimme für eine zentralistische Gegenreform sagte SVP-Obmann Achammer: „Die SVP sieht es als ihre Aufgabe an, die Rechte Südtirols in einer neuen Verfassung abzusichern.“ Tatsächlich können sich die Normalregionen auch selbst wehren, tatsächlich ist es der SVP gelungen, bis zur Revision des Autonomiestatuts für Südtirol den Status quo abzusichern (Schutzklausel im Art.39, Abs.11 des Reformgesetzes). Bis dahin kann das Statut nicht einseitig geändert werden. Karl Zellers Autonomiegruppe hat es im Senat sogar durchgesetzt, dass die Autonomen Regionen ihre Zuständigkeiten mit einem vereinfachten Verfahren erweitern können, also mit einfachem Staatsgesetz (dies gilt allerdings auch umgekehrt: der Staat kann mit einem Regierungsdekret das Ganze wieder zurücknehmen). Doch warum ist das Einvernehmen nicht prinzipiell verankert worden und was geschieht nach der Revision des Statuts? Warum wird die Schutzklausel nicht demokratischer ausgestaltet, etwa durch das Erfordernis der Zustimmung der Landtage mit Zwei-Drittelmehrheit?

In einem ausführlichen Kommentar wendet L.Abg. Pöder ein: „Schutzklausel und Einvernehmen bis zur Anpassung des Autonomiestatuts sind eine Übergangsklausel. Danach kippt das Einvernehmen wieder und der Staat kann dann über die Südtirol-Autonomie herfallen.“ Art.117 Verf. führt nämlich eine neue zentrale Entscheidungsgewalt des Staates über die Regionen ein: „Su proposta del Governo la legge dello Stato può intervenire in materie non riservate alla legislazione esclusiva quando o richieda la tutela dell‘unità giuridica o economica della Repubblica, ovvero la tutela dell’interesse nazionale.” Das ist Autonomie auf Widerruf. Inwiefern stellt dieser Artikel auch für Südtirol – nach der Revision des Statuts – eine Gefahr da, zumal er für alle Regionen gilt? Dieses Prinzip wird unweigerlich zu häufigeren Kompetenzkonflikten zwischen Staat und Autonomen Provinzen und Regionen führen. Und das Verfassungsgericht hat mit den neuen Regeln eine verstärkte Grundlage, im Sinne des Zentralstaats zu entscheiden.

Mit dem neuen Art. 119 Verf. kann der Staat auch mit einfachem Staatsgesetz – das bedeutet vor allem mit den weiter beschleunigten Regierungsdekreten – einseitig in die Finanz- und Steuerpolitik der Regionen eingreifen. In Art. 120 Verf. behält sich der Staat das Recht vor, Regionalregierungen dann abzusetzen, wenn finanzielle Missstände auftreten. Diese Grundsätze gelten auch nach der Revision des Autonomiestatuts von Trentino-Südtirol, weshalb Pöder ganz zu Recht die Frage aufwirft, warum die Einvernehmens-Schutzklausel nicht permanent Teil der Verfassung geworden ist. Denn nach der Revision des Statuts könne der Staat Bereiche, die nicht vom Pariser Vertrag abgeleitet werden, einseitig ändern. Dann geht das in Südtirol sattsam bekannte Spiel zwischen Regierung und Regierung weiter: Drohung aus Rom, Protest aus Bozen, Anrufung der Schutzmacht, partielles Einlenken der Regierung, große Erfolgsmeldung der SVP. „Südtirol schlittert mit dem Rest des Staatsgebiets,“ schlussfolgert Pöder, „in eine extrem zentralistische und regionenfeindliche Zukunft, zwar mit dem Sicherheitsnetz Schutzklausel und Einvernehmen und Autonomiestatut, das aber wie jedes Netz eben auch Löcher aufweist und nach der Anpassung vom Staat einseitig weggezogen werden kann.“