Inneinandergreifende Gesten
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Im Stadttheater Gries, während draußen am Grieser Platz „Smoke on the Water“ und die Zapfhähne des Oktoberfests plätscherten, zeigte das Festival für Gegenwartstanz mit alpenländischen Wurzeln, ein auf den ersten Blick kunterbuntes, auf den zweiten, am roten Faden gereihtes Schmuckstück.
Den Anfang machte, als Uraufführung, das Stück „Von Anfang an der Dreiklangfang“ von Marion Sparber. Ein anfänglich sanfter, später stürmischer Auftakt, der in der zweiten Hälfte, inklusive Kostümwechsel der Tänzer:innen, einen derart starken Umbruch erfährt, dass man auch von zwei Stücken sprechen hätte können. Zu dritt - die Choreographin erhält durch Efthymia Chatzakou und Alan Fuentes Guerra auf der Bühne Unterstützung - werden Windspiele in Schwingung gebracht, anfänglich synchron, dann individuelle Rhythmen suchend und schließlich die Klänge im elektronischen Musikteppich von Stefano Ciardi verwebend.
Das Bewegungsinventar wird, wenn sich die Windspiele nicht mehr als grundlegende Struktur, sondern als klingender Akzent finden, ein wagemutigeres - der Tanz wird allmählich zur Akrobatik und der Atem des Publikums stockt. Es kommt Tanz auf die Bühne, der vom Spektakel lebt, aber nicht nur. Über die Spannung hinaus ist auch die Zärtlichkeit des Stückes, die sich neben viel Körpereinsatz und gerade gegen Ende in eng verschlungenen Konstellationen, die an die Laokoon-Gruppe erinnern mögen, findet (mit Armen und Beinen wie Schlangen) zu erwähnen. Eine präzise ineinandergreifende Maschinerie komplexer Hebefiguren, die immer wieder zuverlässig ist, auch wenn da und dort mal ein Griff an der Hand vorbei an einen Arm geht.
Der Auftakt macht es, sollte man meinen, schwer für das was danach kommt, wobei nach einem langen Outro ohne Bewegung, es ebbt nur die Musik Langs ab, die Bühne und das Auge frei sind für gänzlich anderen Tanz.
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An der Schnittmenge zwischen Tanz und Theater bewegt sich, ausgesprochen eigentümlich der zweite Teil der Performance, in neuen Kostümen von Sparber, diesmal in sportlichen Boxershorts. Gemeinsam mit den beiden Mit-Tänzer:innen hat Sparber eine zweite Choreographie erarbeitet, die durchwegs spielerisch, aber auch undurchsichtig in ihrer Absicht bleibt. Es ereignet sich auf der Bühne eine Regression ins Kleinkindalter, bei der die Klang und Choreographie prägenden Windspiele nur noch Objekt kindlicher Neugier und nicht mehr koordiniert zum Einsatz kommen.
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Fast wirkt es so, als wolle man der in Literatur, Film und Liebe oft problematischen Dreiecksbeziehung ein positives Gegenbeispiel zur Seite stellen, indem man zur Unschuld zurückkehrt. Dabei ist das Bewegungsvokabular ein anfänglich ganz und gar kindlich krabbelndes, das sich zwar in die aufrechte Ebene weiterentwickelt, aber immer fragmentarisch bleibt und sich nicht in einen Flusszustand hinein tanzt.
Auf Klangebene werden wir unter anderem mit Zungenbrechern konfrontiert, ein glöckchenhaftes Klingeln in der Musik Stefano Ciardis schafft bei einer gänzlich anderen Tanzsprache zumindest klangliche Kontinuität. Dann schwenkt das zu Zungenbrechern um „tre tigri“ und „trentatre trentini“ - humorvoll ist das Stück, schlau wird man aus ihm weniger, aber am Ende unterwandert es seine eigene Humorigkeit. Als auf Audio-Ebene eine Frauen- eine Männerstimme bittet, einen Zungenbrecher erst mit trauriger, dann mit glücklicher Stimme aufzusagen, bleibt die Platte bei einem Satz hängen und das Stück schlägt damit ein letztes Mal um: „I don’t know how to be happy.“ Ein Outro folgt, das Einfachheit erneut gegen Komplexität und Akrobatik tauscht.
In FrauenkreisenAuf Traurigkeit folgt Glück, in diesem Fall ein zyklisches: „Cyclic Bliss“ von Anastasia Kostner, der auf der Bühne Sabrina Fraternali und Camilla Bundel zur Seite stehen, hat es erstmals auf italienischen Boden geschafft. Ein Wunder, denn trotz USA-Bezügen ist das Stück auch in Italien ausgesprochen relevant. Es geht um Abtreibung und das Recht darauf, auch wenn das Stück nicht gleich mit der Tür ins Haus fällt. Die drei Tänzerinnen, im Kostüm ein Grazien-Klischee bedienend, halten, jedes Mal, wenn sie eine neue Gruppenpose einnehmen, etwas länger als angenehm den direkten Blickkontakt mit dem Publikum, mit aufgesetztem Zahnpasta-Lächeln. Oder, auch dieser Vergleich scheint passend, einem Werbespot für Damenhygieneartikel.
Alles höchst artifiziell und ironisch, beides gewollt. Als sich dann noch das Audio einer Game-Show zum weiblichen Körper einschaltet, in der Männer mit ihrem Nichtwissen glänzen. Gefolgt wird das mit der Frage: „Are you eligible to vote?“ (Bist du wahlberechtigt?) Das Stück formuliert die berühmte Forderung „My body, my choice“ im Wortlaut mit Fragezeichen am Ende, bevor in einem tänzerischen Befreiungsschlag die Antwort darauf gegeben wird. Es wäre aber nicht zyklisches „Glück“, wenn am Ende nicht alles noch einmal auf Anfang ginge. Die drei „Grazien“ sehen sich gezwungen, noch einmal in die Ausgangsposen zurückzukehren. Ein ausgesprochen starkes Stück, das die berechtigte Frage aufwirft, warum Männer bei Grundsatzdebatten über Frauenkörper ein Mitspracherecht haben. Ein vergleichsweise weniger ausladendes Stück, das seine Aussage auf den Punkt bringt.
Mauern aus LichtAls Uraufführung, das Video und Tanzstück „Geistesblitz“ von Sabine Raffeiner. Das von den Versen Paolo Quartas inspirierte Spektakel schaukelt sich langsam, allmählich aus dem Dunkeln und der Stille hoch. Auf der Leinwand (Video und Sound: Christian Lang) und vor der Leinwand öffnen sich zwei dunkle Räume, in welchen aus Leuchtkugeln ein Kreis geformt wird, der einerseits das Geschehen schummrig beleuchtet und andererseits den Handlungsspielraum beschränkt. Neben Raffeiner hatten auch Hugo Olagnon und Giulia Manica, die den Tanz auf Leinwand und Bühne ausführen bei der Choreographie im selbstbeschränkten Raum ein Mitspracherecht.
Deutungsoffen bleibt, ob das Stück auch noch auf die Pandemie Bezug nimmt, Grenzen errichten wir aber nicht nur in Pandemiezeiten. Ein paar Mal macht die leicht unebene Bühne einen Strich durch die Rechnung, wenn die Dinge auf der Bühne allzu „rund“ laufen, aber Olagnon und Mancia reagieren jedes Mal geistesgegenwärtig und lassen den Zufall ein Stück weit mittanzen. Im beengten Raum entwerfen sie dabei, wenn sie nicht beide mit Auf- und Abbau beschäftigt sind, Bilder der (zwangsweisen) Nähe und der wechselseitigen Abhängigkeit und dem Hadern mit selbiger. Vom zärtlichen Anlehnen an der Schulter bis hin zur symbolischen Darstellung des Akts.
Der Videoraum an der Bühnenrückwand ermöglicht es dabei, andere Blickwinkel und Close-Ups zu zeigen, die aus der Sicht des Publikums unmöglich sind und gleichzeitig auf einen Umstand verweisen, der im letzten Abschnitt des Abends an Bedeutung gewinnt: In Tanz-Filmen gibt es einen weiteren, unsichtbaren Tänzer, der Bewegungen aus- und fortführt. Er steht hinter der Kamera.
Ausbruch, Aufbruch, Umbruch„The Birdcage“, der letzte Programmpunkt des Abends, ist ein experimenteller Tanzkurzfilm von Emma Giuliani (Regie, Kamera und Schnitt). Die Choreographie wurde von der jungen Nachwuchstänzerin Vanessa Morandell gestaltet, die damit auch die Glanzmomente eines etwas zu metaphorischen Films gestaltet hat, der ansonsten in seiner Substanz nur schwer greifbar wäre. In traumhaften Szenen bewegen wir uns aus einem einsamen Einzelzimmer samt Röhrenfernseher mit Tennismatch (von welchem der erste Rhythmus in den Film kommt) zu einer Dinner-Szene, in der auch noch keine Heilung der Einsamkeit zu finden ist.
Unser Protagonist ist in Gesellschaft - bei der Tischkonversation und der übertriebenen Mimik klinkt er sich aus - nicht mehr allein, kann jedoch keinen Kontakt herstellen. Nach der Szene zu Tisch, welche sich etwas in die Länge zieht, werden zwei Entwürfe für einen möglichen Paartanz präsentiert. Luis-Felipe Julio Barrera tanzt erst mit Valentina Radmann, dann mit Vanessa Morandell. Das Bewegungs-Vokabular und die Kamerasprache sind, wie der Handlungsraum, erst draußen vor dem Fenster und im Freien, dann zurück im Zimmer, jeweils andere. Der Film wirft die Fragen auf in welchem Rahmen wir Intimität, Verletzlichkeit und Vertrauen zulassen können und wie wir darüber hinwegkommen, wenn diese verletzt werden.
Der methodische Einsatz des Kamerablickwinkels, der Bewegungen oft über die Körper der Tänzer:innen hinaus verlängert schafft es, dass wir - wenn auch nicht bei der seltsamen Dinnerszene - emotional involviert werden und das auch kleinere, tastend-testende Bewegungen als kraftvoll und mutig verstanden werden können.
Letzter TerminDas Festival Alpsmove endet Samstag, 21. Oktober im Brixner Astra. Es stehen ab 20 Uhr, neben den Tanzfilmen „Awakening“ von Rixa Rottonara und Sarah Merlers „On Forces that affect us“ erneut „Von Anfang an der Dreiklangfang“ und „Cyclic Bliss“ auf dem Programm.