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Hoffnungsvoller Hilferuf

Kurzentschlossene haben heute noch die Möglichkeit an der Uni Bozen bei „Diplorama SOS - Sorting Out Solutions“ vorbei zu schauen. Man bietet lösungsorientiertes Design. Zu sehen bis 17 Uhr.
„BASTO“ von Davide Anton Dell’Anna
Foto: Davide Anton Dell’Anna
  • Ein SOS-Signal in Designsprache würde im aktuellen Zeitgeist, in dem oft das Gefühl überhand nimmt, dass es zu viele Krisen auf einmal gäbe, vielleicht gar nicht Gehör finden. Lösungsvorschläge sind da scheinbar seltener und damit umso willkommener. Wir waren gestern Nachmittag, kurz vor der Eröffnung der zweitägigen Präsentation der Bachelor- und Master-Projekte von Design-Student:innen an der Freien Universität Bozen und haben uns sieben der ausgestellten Projekte angesehen, die mehr oder weniger direkt Lösungsansätze verfolgt haben. Ebenso kann auf die Fertigstellung des Diplorama 23 Katalogs hingewiesen werden: Dieser fasst Projekte aus den ersten beiden Ausgaben von 2023, sowie der letzten Ausgabe des Vorjahres zusammen.

  • „Via Buonarroti" von Pietro Coda

    Via Buonarotti: Die persönlich Familien-, Stadt- und Architekturgeschichte bringt Pietro Coda in Buchform. Foto: Pietro Coda

    Das Projekt Codas (betreut von Gianluca Camillini und Elisabetta Rattalino) zeichnet, anhand des Beispiels des Elternhauses, die urbanistische Entwicklung Mailands in Form eines Fotobuchs nach. Der Fokus liegt dabei zwar auf einem Haus, zu Beginn führen uns einige Seiten aber erst durch die titelgebende Straße an das Haus heran, bevor aus der Bewegung entlang einer räumlichen Achse eine Bewegung entlang einer Zeitachse, durch das 20. Jahrhundert wird. Dieser Weg führt unter anderem auch an der Beerdigung Giuseppe Verdis vorbei, der unweit von Pietro Codas Elternhaus zu Grabe getragen wurde.

  • Dem Studenten kommt dabei zu Gute, dass Haus und Viertel in dem er seine Nachforschungen - auch über klassischere Quellen, wie Archive - anstellte, immer Bezugspunkt für seine Familie waren. Der Onkel des Studenten etwa besaß ein, im Laufe der Jahre angewachsenes Fotoarchiv, das 3000 Aufnahmen - 300 davon vom Haus - zählte. So kann man sich, zwischen den Seiten und Zeiten blätternd selbst ein Bild davon machen.

  • „BASTO“ von Davide Anton Dell’Anna

    BASTO: Ein Geistesblitz von einem Gehstock, der als Stütze mit den Anforderungen mitgeht. Foto: Davide Anton Dell’Anna

    Neben vielen „editorialen“ Projekten, das heißt in Buchform, findet sich mit „BASTO“ (Betreuung: Klaus Hackl, Camilo Ayala Garcia) ein ganz und gar praktisches. Er wollte „etwas Nützliches“ machen, meint der Student uns gegenüber und hat sich dabei als Gruppe möglicher Nutzer die wachsende Bevölkerungsschicht der Senior:innen auserkoren. In dieser seien sich immer schneller wandelnde Bedürfnisse ausschlaggebend, Dell’Anna hat daher mit „BASTO“ einen modularen Gehstock entworfen, der mit diesem Wandel Schritt halten kann. Austauschbar sind bei dem Stock Spitzen und Griff, seine spezielle Blitzform soll nicht etwa Geschwindigkeit suggerieren, sondern hat ganz und gar praktische Gründe: Zum einen kann der Stock mit ihr über eine Stuhl- oder Tischkante gelegt werden, zum anderen kann die selbe Querstrebe an der Oberseite als Aufstehhilfe aus dem Sitzen genutzt werden. Die vom Nutzer abgewandte Diagonale beherbergt hingegen eine einfach zu bedienende, über die Basis des Stocks aufladbare LED-Leuchte, die bei Bedarf den Weg zu Füßen der Person erhellen kann. Ein kluges, sachliches Designobjekt.

  • "Rotte mediterranee: itinerari di migrazione verso l’Italia” von Francesco Ferretti

    Rotte mediterranee: Am Rand der rechten Seite macht Ferretti den zurückgelegten Weg auf grauem Grund, sowie im schwarzen Bereich die Reisedauer seit Aufbruch anschaulich. Foto: Francesco Ferretti

    Ferrettis Arbeit, deren Endergebnis abermals Buchform annimmt (Betreuung: Gianluca Seta, Elisabetta Rattalino) hält das Versprechen ihres Titels. Ob vom indischen Subkontinent aus oder aus Nordafrika hat er mit Fotografien von zehn „modernen Odysseen“ Routen nachgezeichnet, welche schließlich über das Mittelmeer führen. Dabei zeigt sich auch, dass häufig Stillstand Teil dieser größtenteils illegalen, teils legalen Reisen ist. Die Reisedauer selbst beschränkt sich für die einzelnen Etappen oft auf Stunden, wohingegen Aufenthalte an einem Ort oft Wochen oder Monate dauern.

  • Dieses Warten, das unter anderem mit Arbeit um Geld für die Weiterreise zu verdienen einhergeht, wird uns ähnlich wie beim Projekt Codas über Orte erzählt, die für die Protagonist:innen sprechen, welche in den Bildern nicht direkt vorkommen. Ähnlich wie bei Coda sind es vor allem die fotografischen Aufnahmen, die zu uns sprechen, Worte haben im Büchlein eine dienende, erklärende Funktion, die untergeordnet ist und immer wieder durch die vergleichsweise neutrale Sprache der Zahlen ergänzt wird.

  • „Warming Up Kids“ von Giulia Pezzin

    Warming Up Kids: Ob man Kinder für Umwelt- und Klimaschutz begeistern kann ist allein eine Frage der Vermittlung. Für die Studentin hatten die Workshops Wiederholungspotential. Foto: Giulia Pezzin

    In einer Reihe von Workshops hat Pezzin in ihrem Projekt (Betreuung: Giorgio Camuffo, Claude Marzotto Caotorta) Möglichkeiten erprobt um spielerisch und möglichst früh Kinder mit den Themen Umweltschutz und Klimawandel in Kontakt zu bringen. Die Kinder, so die Studentin, konnten sich rasch für die Themen erwärmen und hatten bei den drei kindgerechten Lektionen in visueller Kommunikation auch ihren Spaß. Herausgekommen sind zwischen zwei Buchdeckeln Beispiele für die durch die Kinder produzierten Arbeiten - etwa aus Abfallmaterialien - sowie an Erwachsene adressierte Überlegungen und Beobachtungen aus der Sicht der Designerin. Diese haben auch den Zweck als Blaupause zu dienen, für den Fall dass jemand Nachahmenswertes nachahmen möchte. Die Studentin würde das Projekt, auch nach ihrem Abschluss, in ausgeweiteter Form wiederholen.

  • „Itinerario Riviera dei Limoni“ von Julia Beruffi

    Itinerario Riviera dei Limoni: In ihrem Projekt bereitet die Studentin Information spannender und kreativer auf als es die meisten Geschichtsbücher tun - und legt die zwei Gesichter eines Ortes offen. Foto: Julia Beruffi


    Was auf den ersten Blick wie ein klassischer Reiseführer für Touristen aussieht (Betreuung: Michele Galluzzo, Giacomo Festi), der entlang einer malerisch-touristischen Route von Gargnano bis nach Salò führt, entpuppt sich als Mogelpackung. Dieses raffinierteste unter den Büchlein, die wir in der Hand hatten, ist eigentlich eine versteckte Geschichtslektion zur aus Sicht des Tourismus unbequemen Geschichtsepoche der Repubblica Sociale Italiana, welche vom September 1943 bis in den April 1945 existierte. Beruffi, selbst an den Ufern des Gardasees aufgewachsen stellte fest, dass sie über diese Zeit trotz unmittelbarer geographischer Nähe zur sogenannten „Repubblica di Salò“ zu wenig wisse und dass das Thema generell totgeschwiegen werde.

  • Öffnet man den „Itinerario Riviera dei Limoni“ so stellt man fest, dass sich viele der Seiten als sogenannter Centerfold nach außen aufklappen lassen und neue, gelb hinterlegte versteckte Seiten preisgeben. Schöpft jene Seite, welche wir auf den ersten Blick sehen die Information zu den einzelnen Stationen aus touristischen Quellen, in denen das Thema mehr oder minder totgeschwiegen wird, so erzählt die verborgene Seite eine gänzlich andere Geschichte. Zum Teil ist diese Geschichte genau jene, wie diese Orte für den Tourismus entdeckt und angeeignet wurden. Der Reiseführer ermöglicht damit einen zweifachen Blick: jenen auf die Geschichte und den, der auf unseren Umgang mit ihr gerichtet ist.

  • „This Video“ von Matteo Antoniazzi

    This Video: Einige der Bilder in der Videoschlaufe Antoniazzis sind nur schwer zu verdauen und schlagen auf den Magen oder die Leber. Foto: Matteo Antoniazzi

    In Form eines gänzlich digitalen 5-minütigen Videoloops (Betreuung: Eva Leitolf, Luca Trevisani) hat Antoniazzi „einen großen Trailer für etwas, das es nicht gibt“ geschaffen. Zentrales Motiv des passagenweise mit Schock- oder Ekelbildern arbeitenden Videos, das starke Bilder, wenige Worte und ein Rhythmisieren des Geschehens verbindet, ist immer wieder die Leber. Der Angriff auf die Sinne, der mit verschiedenen online zu erwerbenden Modellen von Objekten, Körpern oder Körperteilen arbeitet, thematisiert genau deren Künstlichkeit und Hohlheit indem er ein Außeneinflüsse filterndes und wieder absonderndes Organ als zentrales Motiv wählt.

  • Ebenso wie das Video auf etwas nicht Existentes verweist, enden auch diese digitalen Körper, die wir sehen, an der Oberfläche. Ein Videoprojekt, das sich der unsichtbaren Grenze zwischen Design und Kunst annähert und uns, statt dass wir uns hier in der schwierigen Diskussion verlaufen, auch einfach als Denkanstoß gelten darf.

  • „Men-tal(k)“ von Hannah Marti, Arthur Holt und Hannah Gröll

    Dem letzten Projekt in dieser Vorstellungsrunde könnten Salto Leser:innen bereits im Juli begegnet sein. In den letzten Monaten hat die Student:innen-Gruppe ihre Recherche vertieft und konnte dabei auch auf die Unterstützung des Forums Prävention zählen. Die Studentin Hannah Gröll, die Sozialarbeit studiert betont, wie ihre beiden Kolleg:innen keine Fachfrau in Sachen Psychologie zu sein, gemeinsam stoßen sie aber auch auf interessante Fakten und Lösungsansätze, die auch den Bereich Design betreffen. Thema des Projektes ist es, unschwer zu erahnen, die psychische Gesundheit der Männer ins Gespräch zu bringen. Nach wie vor ist in Südtirol der Selbstmord zu etwa 75 Prozent männlich und während eine Frau in der Krise im Schnitt 9 Monate benötigt um Hilfe in Anspruch zu nehmen, so sind dies bei Männern durchschnittlich 69 Monate, also fast sechs Jahre.

  • Dentro: Zu entdecken gibt es noch viel mehr, unter anderem auch Illaria Fauris Graphic-Novel zu den unerwarteten Problemen, die mit einem Leben im Gefängnis einhergehen. Foto: Illaria Fauri

    Besonders schwer fällt es, so habe man im Gespräch mit Vertreter:innen des Forums Prävention festgestellt, Männer in einem Alter von 30 bis 65 Jahren mit Hilfsangeboten zu erreichen. Hier lag also der Schwerpunkt der Arbeit von Marti, Holt und Gröll. Zu viele ersichtliche wie auch unsichtbare Hürden bestünden auf dem Weg zur psychologischen Unterstützung, ob diese nun finanzieller Natur sind, aus verinnerlichtem Schamgefühl oder schwieriger Erreichbarkeit der Dienste bestünde. Auf der Suche nach Lösungen hat man mit zwölf betroffenen Männern und neun Expert:innen gesprochen. 

  • Der geographische Kontext Südtirols führe auch dazu, dass es gerade in den Dörfern zum einen oft schwierig sei zu den Hilfestellungen zu gelangen (die mehrheitlich in den Städten zu finden sind; telefonische und online Angebote helfen hier) und zum anderen das Stigma ein stärkeres ist. Wer zum Beispiel in Kastelruth einen Vortrag zur Suizidprävention organisiert, der müsse sich nicht wundern, wenn viele diesem aus Angst vom Nachbar gesehen zu werden fortblieben. Es gelte also Stigmata und Schamgefühle abzubauen und dort wo dies nicht möglich ist, nach Möglichkeit Anonymität garantieren. Auch dafür nannte Gröll bereits angewandte Lösungen, die in dem von den Student:innen ausgearbeiteten: Die Männerberatung der Caritas setzt etwa auf einen gesonderten, etwas versteckt gelegenen Eingang und die Lebensberatung für bäuerliche Familien kommt direkt an den Hof der Hilfesuchenden. Egal, wie groß ein Problem scheint, auch wenn es schwierig ist, eine Lösung lässt sich oft finden. Manchmal im Design.

  • Bis 17 Uhr!

    Die dritte Ausgabe der Diplorama kann noch heute, Samstag 18. November bis 17 Uhr besucht werden. Unter anderem ist dort auch das Masterprojekt „Gen-BZ“ der Studentin Kseniia Obukhova zu sehen, mit der wir im Oktober gesprochen haben.