Im schicken Kostüm, perfekt frisiert
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SALTO: Frau Braun, Ihr Buch basiert auf unveröffentlichten Tagebüchern aus dem Deutschen Tagebucharchiv. Was hat Sie an diesen Aufzeichnungen – insbesondere an der Geschichte der Sekretärinnen – so fasziniert, dass Sie entschieden haben, diesem Thema ein ganzes Buch zu widmen?
Ich habe im Tagebucharchiv nach einem Thema für ein neues Buch über Frauen recherchiert. Und die Leiterin des Tagebucharchivs hat mir das Tagebuch einer Zugsekretärin empfohlen. Ich wusste nicht, was eine Zugsekretärin ist, und erlebe es bei meinen Lesungen, dass kaum jemand etwas darüber weiß. Die Zugsekretärin Doris Kraus hat sehr ausführlich und lebendig Tagebuch geschrieben, aber für ein ganzes Buch hat es doch nicht gereicht. Deshalb habe ich noch nach anderen Tagebüchern von Sekretärinnen recherchiert und einige spannende Entdeckungen gemacht, z.B. auch einen Rückblick von einer Sekretärin um 1916.
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Der Hintergrund
Sekretärin war in den 1950er-Jahren für viele junge Frauen ein Traumberuf. Im schicken Kostüm, perfekt frisiert und hübsch geschminkt im modernen Büro zu sitzen und wichtige Geschäftsbriefe auf der Schreibmaschine zu tippen, das war schon etwas Besseres, als in der Küche von wohlhabenden Herrschaften zu stehen und Kartoffeln zu schälen oder Wäsche zu waschen-ohne Waschmaschine. Annegret Braun erzählt anhand erstmals veröffentlichter Tagebücher, wie der Alltag der Sekretärinnen aussah und wovon sie träumten.
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Die 1950er Jahre waren eine Zeit des Wiederaufbaus und des gesellschaftlichen Wandels. Inwiefern repräsentierte der Beruf der Sekretärin einen neuen Weg der Emanzipation und des Aufbruchs für Frauen, der in den Tagebüchern besonders deutlich wird?
Der Aufbruch für Frauen, für die der Beruf der Sekretärin ein Weg zur Emanzipation war, geschah viel früher, nämlich Anfang des 20. Jahrhunderts. Um 1900 war es für viele Frauen eine Chance, einen Beruf zu ergreifen. Viele Mädchen durften damals keinen Beruf lernen, sondern arbeiteten ungelernt als Dienstmädchen, Magd oder in der Fabrik. Der Beruf der Sekretärin öffnete Frauen die Tür zu einer Geschäftswelt, die von Männern beherrscht war. Sie mussten nur Maschinenschreiben und Stenografieren können. Mit diesen Fähigkeiten konnten sie im Büro arbeiten. Sie verdienten so ihr eigenes Geld und waren unabhängig. Auch in den 50er Jahren bot der Beruf der Sekretärin Frauen die Möglichkeit, ihr Geld selbst zu verdienen.
Zur PersonAnnegret Braun, geboren 1962, ist Kulturwissenschaftlerin, Autorin und Lehrbeauftragte an der LMU München. Sie promovierte über die Emanzipationsgeschichte und den Frauenfunk des Bayerischen Rundfunks. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Alltags- und Frauengeschichte, wobei sie für ihre erzählenden Sachbücher (wie "Die Sekretärin") oft unveröffentlichte Tagebücher und Zeitzeugnisse nutzt. Sie leitet zudem Forschungsprojekte in der Geschichtswerkstatt Dachau. Vor Ihrem Studium absolvierte Braun eine Ausbildung zur Krankenschwester.
Wie gestaltete sich die Recherche? Gab es Tagebücher oder Geschichten, die Sie persönlich besonders bewegt oder überrascht haben?
Ich musste sehr viele Tagebücher lesen, um etwas über den Beruf zu finden. Manche Sekretärinnen haben kaum über ihren Beruf geschrieben, sondern über ihren Alltag. Die Erinnerungsaufzeichnungen der Sekretärin, die 1916 in ihrem Beruf angefangen hat, fand ich sehr interessant.
Ein Buch, das zwar kein Tagebuch ist, hat mich sehr berührt: Es sind Erinnerungen von Sekretärinnen in Auschwitz.
Es hat mich überrascht, wie hoch ihr Ansehen als Sekretärin in der Behörde war. Man hat gesehen, dass ein Beruf, der von Männern ausgeübt wurde, einen viel höheren Status hatte, als wenn er von Frauen ausgeübt wurde. Ein anderes Tagebuch, das mich sehr überrascht hat, war das Tagebuch der Sekretärin von Hanna Reitsch, die eine berühmte Fliegerin und Hitler-Anhängerin war. Die Sekretärin hing mit abgöttischer Verehrung an Hanna Reitsch, aber ihre Beziehung war toxisch. Ein Buch, das zwar kein Tagebuch ist, hat mich sehr berührt: Es sind Erinnerungen von Sekretärinnen in Auschwitz.
Sie stellen die Geschichte von Doris, einer Zugsekretärin, in den Fokus. Was machte diesen spezifischen Beruf, das Arbeiten in modernen Fernzügen, zu einem so faszinierenden Schauplatz für die Lebens- und Karriereträume dieser Frauen?
Es war so anders als der Beruf einer Sekretärin im Büro. Sie hatte keinen launischen Chef vor sich, sondern viele interessante, internationale Kunden aus der Geschäftswelt, für die sie Briefe schrieb. Sie reiste in ihrem Schreibabteil in modernen Fernzügen und kam viel herum.
Statt dem Chef Kaffee zu servieren, bekam sie von zufriedenen Kunden Kaffee serviert.
Die Kunden, die in ihr Schreibabteil kamen, schätzten diesen besonderen Service und gaben ihr Trinkgeld oder kleine Geschenke. Statt dem Chef Kaffee zu servieren, bekam sie von zufriedenen Kunden Kaffee serviert. Die Zugsekretärin trug in den Anfangsjahren ein Kostüm, war schick gekleidet und hatte durch die sehr verschiedenen Kunden aus aller Welt einen abwechslungsreichen Beruf.
Sehen Sie Parallelen zwischen dem Kampf um Anerkennung und dem Umgang mit Rollenbildern damals und den Herausforderungen, denen sich moderne Frauen heute noch stellen müssen?
Viele Männer haben keine Schwierigkeiten, ihre Leistungen ins rechte Licht zu rücken. Frauen sehen sich oftmals viel mehr als Teil eines Teams und stellen ihr Licht dann unter den Scheffel. Die Arbeitswelt ist immer noch sehr stark männlich orientiert, in denen nach ihren Spielregeln gespielt wird. Frauen müssen deshalb ihre Leistungen und Karrierewünsche sichtbar machen. Doch auch darin zeigen sich alte Rollenbilder. Ehrgeiz wird bei Frauen oft noch negativ bewertet, während es bei Männern positiv, als Zielstrebigkeit bezeichnet wird.
„Die Sekretärin“ ist im Verlag Frankfurter Allgemeine Buch erschienen und wurde von Annegret Braun im Oktober im Frauenmuseum in Meran bei einer Lesung vorgestellt.
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