Kultur | Salto Afternoon

Klassiker in Buchform

Eine fast unscheinbare, aber regelmäßig erscheinende Buchreihe bringt seit Jahren der Folio Verlag auf den Buchmarkt. Ein Gespräch mit dem Verleger Ludwig Paulmichl.
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Foto: Quelle: Folio Verlag

Salto.bz: Bei Folio sticht eine fein gestaltete Buchserie ins Auge, die mit literarisch wertvollen Inhalten, kulturhistorische Brücken in die Vergangenheit schlägt.
Ludwig Paulmichl:
Wir haben eine lose Reihe von bibliophilen Büchern konzipiert, die in erster Linie so etwas wie moderne Klassiker darstellen, mit Fokus auf Italien, Südtirol und Österreich, aber die geografische Bestimmung ist kein Muss.

Ein Buch etwa ist der Roman von Emilio Lussu „Ein Jahr auf der Hochebene“. Was macht dieses Buch heute noch aktuell?
„Ein Jahr auf der Hochebene“ haben wir 100 Jahre nach dem Ende des Krieges an der Dolomitenfront wieder neu aufgelegt, mit einer ausführlichen Biografie des Autors.

Das Buch ist ein Klassiker der Antikriegsliteratur. Es beschreibt die Sinnlosigkeit der Kriege und den Zynismus und die Menschenverachtung der Obrigkeit, die sich letztlich in der Etappe verschanzt.

Emilio Lussu ist der demokratische Offizier, der hingegen mit seiner Truppe lebt und leidet. Er erzählt Episoden aus dem Alltag, lässt uns Menschen in ihrer Zerbrechlichkeit, mit ihren Ängsten und in ihrer Anmaßung lebendig werden: der sardische Bauer, der nicht weiß, warum er gegen Berggipfel anrennen soll, der Soldat, den das Glimmen der Zigarette verrät, der General, der in vollem Bewusstsein der Schlachterei seine Soldaten durch offenes Gelände in den Tod schickt, der Offizier, der den Befehl verweigert.
Lussu erscheint bereits hier als die herausragende Persönlichkeit, die er dann im Kampf gegen den Faschismus und als Minister und Nachkriegspolitiker geworden ist.

Der Journalist Claus Gatterer, der zum Roman das Nachwort verfasst hat, war mit Emilio Lussu sehr gut befreundet. Was weiß man von der gegenseitigen Wertschätzung der beiden „Minderheiten-Versteher“?
Lussu war in der Zwischenkriegszeit Abgeordneter im römischen Parlament für die sardische Autonomistenpartei, im Exil in Paris war er ein führender Kopf des Antifaschismus für die liberalsozialistische Gruppe von Giustizia e libertà und in der ersten Nachkriegsregierung war er Minister. In der Folge dann Senator für kleinere linke Parteien.
Jenseits ihrer persönlichen Verbindung hat Gatterer in Lussu einen wirklichen Vertreter der kleinen einfachen Leute gesehen, der Bauern und Arbeiter, dessen Minderheiten-Engagement einen europäischen Atem hatte.

Claus Gatterers „Schöne Welt, Böse Leut“ läuft ebenfalls in der Reihe. Wird es noch gekauft, gelesen?
Gatterers „Schöne Welt, böse Leut‘“ ist ein Klassiker, der viele Auflagen erlebt hat und nach wie vor viele Leser findet.

Es ist wohl der erfolgreichste Roman der Südtiroler Literatur, der bisher literarisch etwas unterschätzt war, weil er vordergründig nur historisch gelesen wurde. Gatterer hat es aber geschafft, beides zu verbinden: Literatur und Geschichte.

Der Literaturwissenschaftler Arno Dusini hat im lesenswerten, sehr präzisen Nachwort zu unserer Neuausgabe Gatterers sprachliche und literarische Leistung deutlich herausgestrichen und gewürdigt, und das Buch in den Kanon der österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts eingeschrieben.

Mit „Neapel ’44“ von Norman Lewis ist das Tagebuch über seine Zeit als Nachrichtenoffizier in Neapel wieder aufgelegt worden. In einer Rezension lese ich: Eines der zehn Bücher über den Zweiten Weltkrieg, die bleiben. Stimmen Sie zu?
Es ist ein Klassiker über die Landung der alliierten Truppen bei Salerno und Neapel unmittelbar nach der Befreiung. Es ist ein Bericht aus dem Erleben heraus, der Soldat Lewis ist als Sicherheitsoffizier für das britische Heer in Neapel stationiert und muss sich mit kleineren Gaunereien der Bevölkerung, mit Sabotageakten der deutschen Wehrmacht, mit territorialen Mafiascharmützeln in den Provinzdörfern und mit den fantasievollen Überlebensstrategien der Neapolitaner auseinandersetzen.

Lewis begegnet dem allem mit Staunen, Kopfschütteln, Neugier und großer Sympathie für die Menschen.

Das Buch ist das facettenreichere Gegenstück zu Curzio Malapartes Roman „Die Haut“, wenn man einen Vergleich machen möchte, bis hin zur Beschreibung einiger identischer Szenen.

Die Wiederentdeckung eines bedeutenden italienischen Romantikers macht die Folio-Buchreihe mit „Am Ufer des Varmo“ von Ippolito Nievo. Was erzählt uns Nievo?
Ippolito Nievo, neben Manzoni der Autor des italienischen Risorgimento, ist auf dem deutschen Markt mit seinem Hauptwerk – Bekenntnisse eines Italieners – kein Unbekannter.
Wir haben die drei marktantesten seiner „novelle campagnuole“, seiner Dorfgeschichten, neu übersetzt.

Nievo erzählt dort mit sozialromantischem Gestus vom Leben der einfachen Leute. Von der Schönheit der Natur, der Idylle, vom reinen Herzen der Menschen und vom Sieg des Guten über das Böse.

Er beschreibt sehr eindringlich die friulanische Landschaft, aber alles gespickt mit sehr feinem Humor.

Wie bei Nievo befinden wir uns mit dem Buch Pier Paolo Pasolini in friulanischen Gegenden. Allerdings rund 100 Jahre später. Unter dem Buchtitel „Kleines Meerstück“ werden zwei wichtige Prosastücke des jungen Pasolini wiederentdeckt. Wovon erzählt die Filmlegende?
Die zwei Prosastücke in diesem Band, nämlich „Romàns“ und „Kleines Meerstück“, sind deshalb bemerkenswert, weil sie für Pasolinis Schaffen einen Wendepunkt zur großen Form hin markieren.

Das Buch ist gerade für Kenner von Pasolini interessant.

„Kleines Meerstück“ erzählt in einer lyrischen Prosa von der Unbeschwertheit eines Jungen in den Gassen seines Dorfes Sacile und den Spielen am Ufer des Po bei Cremona. Diese Spiele sind gleichsam die Reisen, bei denen der Protagonist sich verliert wie Odysseus auf seinen Reisen übers Meer.
In „Romàns“ hingegen wendet sich Pasolini dem Realismus zu und fährt schon mit all seinen klassischen Figuren auf: arme Bauern, Pächter, Tagelöhner – ebenso wie er Leitmotive seines nachmaligen Werkes einsetzt: soziale Gerechtigkeit, Religiosität und Homosexualität.

Mit „not / a concrete pot von Ian Hamilton Finlay, Ernst Jandl“ serviert Folio: Text, Bild und Poesie, in der Form eines Briefwechsels der zwei Ausnahmekünstler der internationalen Nachkriegsavantgarde. Ein sehr spezielles Buch. Was macht es lesenswert?
Dieser Briefwechsel ist sehr interessant und kurzweilig. Er kann ein wenig als Geschichte der konkreten Poesie und der literarischen Avantgarde gelesen werden.

Der Zeitraum des Briefwechsels erstreckt sich von den Anfängen, als Jandl versucht im Angelsächsischen Fuß zu fassen und darum Kontakt zum Herausgeber einer Zeitschrift für konkrete Poesie, Hamilton Finlay, aufnimmt, bis in die Zeit, als Jandl im deutschsprachigen Raum schon bekannt ist und Hamilton Finlay sich mehr und mehr zurückzieht und sich skulpturalen und künstlerischen Arbeiten in seinem schottischen Garten „Little Sparta“ zuwendet.