Chronik | Verbrechen

Ein Täter in weiblicher Obhut

Am Freitag wurden die ersten Zeug:innen im Fall des Elternmordes angehört: In der Zeit nach der Tat flüchtete Benno Neumair offenbar zu seinen Tinder-Bekanntschaften.
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Foto: Anna Luther

Am 18. März beginnt im Schwurgericht Bozen die Zeugenanhörung im Fall Benno Neumair. Erster Befragter ist der Polizeibeamte, der die Vermisstenanzeige zu seinen Eltern aufnahm. Denn Benno Neumair war am 5. Januar mit seiner Tante Carla Perselli ins Polizeikommissariat gegangen, um Anzeige zu erstatten. Unaufgeregt schildert der Beamte die Geschehnisse. Neumair wird vorgeworfen, am 4. Januar 2021 seine Eltern Peter Neumair und Laura Perselli in der Wohnung der Familie in Bozen erdrosselt zu haben, er gestand die Tat nach anfänglicher Leugnung.

 

Die Sicht der Tinder-Bekanntschaften

 

Die zweite Zeugin ist jene Frau, die Neumair am Tag der Tat am 4. Januar 2021 bei sich in Auer beherbergte. Kennengelernt hatten sich die beiden auf der Dating-Plattform Tinder. Sie begannen, im Dezember 2020 mehr Zeit miteinander zu verbringen. „Ich merkte, dass Benno kein gutes Verhältnis zu seinen Eltern hat“, sagt sie vor dem Schwurgericht aus. „Wie schwerwiegend die Probleme mit seinen Eltern aber tatsächlich waren, realisierte ich erst, als er am 2. Januar in einem Telefongespräch zu weinen anfing.“

 

„Wie schwerwiegend die Probleme mit seinen Eltern aber tatsächlich waren, realisierte ich erst, als er am 2. Januar in einem Telefongespräch zu weinen anfing.“ - Martina

 

Die beiden planten, den Abend des 4. Januar gemeinsam zu verbringen und er kündigte vormittags an, mit dem Auto seiner Eltern zu kommen. Zuvor war er immer mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu ihr gefahren. „Weil es oft schneite und seine Eltern ihm das Auto nicht gern gaben“, erklärt Martina.

 

Wie Martina und ein Nachbar der Familie Neumair vor dem Schwurgericht schildern, wirkte Neumair am Abend des 4. Januars ruhig und entspannt. Allerdings verspätete er sich bei Martina um zwei Stunden. „Nachdem wir uns umarmt haben, habe ich ihm angeboten bei mir zu duschen, da er meinte, das noch nicht geschafft zu haben.“ Als sie die verschwitzten Kleider am Boden im Bad sah, fragte sie, ob sie sie waschen sollte. Er bejahte.

Am 5. Januar informierte Neumair sie von der Vermisstenanzeige seiner Eltern, wenige Tage später durchsuchte die Polizei ihre Wohnung. „Als er mich das nächste Mal im Geschäft, wo ich arbeite, besuchte, sagte er mir, es tue ihm leid, dass ich in die Sache mithineingezogen werde“, erklärt Martina. Bei dieser letzten Zusammenkunft machte sie ihm klar, dass sie nichts mehr mit ihm zu tun haben wolle.

 

Spuren verwischen

 

Am 5. Januar bekam Neumair von einer weiteren Tinder-Bekanntschaft Besuch. Jasmin war von St. Ulrich zu ihm gefahren, weil sie ihn nach dem Verschwinden seiner Eltern unterstützen wollte. Sie blieb bis zum 11. Januar mit ihm in der Wohnung und half ihm geeignete Putzmittel zu finden. „Er sagte, der alte Hund der Familie habe sich im Eingang der Wohnung übergeben und es muss gereinigt werden“, sagt sie vor dem Schwurgericht.

„Wir schliefen und aßen in dieser Zeit sehr wenig, ich war ausgebrannt.“ Als die Polizei von Neumair nach einem Verhör seine Jacke verlangte, gab er sie ihnen erst am nächsten Tag. In der Nacht wusch er sie und befahl Jasmin sie für fünf Minuten zu tragen, damit sie nicht mehr nach ihm riecht. „Ich erlebte Benno als sehr selbstsicher und überzeugend“, beschreibt Jasmin den Täter.

 

„Wir schliefen und aßen in dieser Zeit sehr wenig, ich war ausgebrannt.“ - Jasmin

 

Die letzten Tage vor der Verhaftung

 

Am Abend des 9. Januars fing Neumair zu weinen an. „Er wolle nicht ins Gefängnis und überlegte nach Indien zu flüchten, um dort ohne Familie ein neues Leben anzufangen“, sagt Jasmin. Zu diesem Zeitpunkt verstand sie nicht, wie er darauf komme und war verwirrt.

 

„Er wolle nicht ins Gefängnis und überlegte nach Indien zu flüchten, um dort ohne Familie ein neues Leben anzufangen“, sagt Jasmin.

 

An dem Wochenende darauf besuchte Jasmin Neumair erneut in Bozen und wurde Zeugin eines Streits mit seiner Schwester Madè. Madè warf ihm vor, etwas mit dem Verschwinden ihrer Eltern zu tun zu haben, Neumair weinte, so Jasmin. „Er litt darunter, dass seine Schwester erfolgreicher war und anders als er in seiner Familie behandelt wurde“, erklärt Martina vor dem Schwurgericht.

Eine ehemalige Nachbarin der Familie Neumair bestätigt, dass die Mutter Laura Perselli gerne von ihrer Tochter sprach. „Als sie einzogen, erzählte sie mir von Madè und zeigte mir Fotos von ihr. Madè war immer die perfekte Tochter und Laura erschien mir, als wolle sie eine idyllische Welt vorspielen“, erzählt Jessica, die ehemalige Nachbarin.

 

„Madè war immer die perfekte Tochter und Laura erschien mir, als wolle sie eine idyllische Welt vorspielen“ - Jessica, eine ehemalige Nachbarin

 

Am 18. Januar bekam eine dritte Tinder-Bekanntschaft von Neumair Besuch. „Nachdem Ben und ich uns Anfang des Jahres wieder schrieben und auch einmal trafen, stand er eines Tages abends mit einem Koffer vor meiner Haustür“, erklärt Daniela aus Bozen vor dem Schwurgericht. Sie hatte ihm in dieser schwierigen Zeit wiederholt ihre Hilfe angeboten. „Er blieb bis zu seiner Verhaftung bei mir und wir lebten wie in einer Wohngemeinschaft zusammen“, sagt sie. Verliebt sei sie nicht in ihn gewesen.

 

Der Prozess

 

Insgesamt werden an diesem Tag der Polizeibeamte, die drei Frauen, zu denen Neumair eine tiefere Beziehung hatte, vier Nachbar:innen und eine Kosmetikerin von der Staatsanwaltschaft, den Nebenklägern und der Verteidigung befragt. Die Kosmetikerin hatte den Täter wenige Tage vor seiner Verhaftung behandelt. Benno Neumair ist bei der Anhörung nicht anwesend. Er hätte sich am Tag zuvor nicht gut gefühlt, lautet die Begründung der Verteidigung. Der Prozess wird am 29. März fortgeführt.